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Roland Koch und Lenin

"Konservativ" und "elitär" sind viel zitierte Worte. Hinter beiden steckt ein Quäntchen Erlösungshoffnung für all diejenigen, die sich beim sozialdemokratischen Genossen-Du peinlich berührt fühlen. Konservativ ist er, der hessische Ministerpräsident Roland Koch, politische Feinde siedeln ihn schon mal rechtsaußen an. Dass er der politischen Elite angehört, ergibt sich allein aus seiner atemberaubenden Karriere. Da ist Zug drin, das müssen selbst seine Gegner zugeben, der Zug nach oben. Und obwohl es im kleinbürgerlich gestimmten Deutschland angeraten ist, das Herkunftsmilieu zu verschleiern, wenn es nicht dem des Wählers entspricht, kommt er nicht von ganz unten.

Von Florian Felix Weyh | 07.01.2005
    Der Vater Wirtschaftsanwalt, Lokalpolitiker, Landtagsabgeordneter, Landesminister. Der Sohn Wirtschaftsanwalt, Lokalpolitiker, Landtagsabgeordneter, Ministerpräsident. Alles ist parallelisiert in dieser Biographie, zugleich perfekt verzahnt, denn dass politische Mandate im freien Kampf konkurrierender Angebote vergeben werden, glauben nicht mal mehr verträumte Romantiker. Nein, ohne die strategische Präsenz von Vater Koch an den richtigen Stellen in der hessischen CDU hätte es der Sohn weitaus schwerer gehabt, auch wenn man ihn anfänglich unterschätzte. Das lag an seiner Jugend und seinem Eifer. Wer bei der Jungen Union freiwillig Sitzungsprotokolle schrieb, war auch der bürgerlichen Bohème suspekt.

    Doch Protokollschreiben kann Ausdruck von Fleiß, Zielstrebigkeit und Beharrungsvermögen sein - drei Eigenschaften, die Kochs Biograph nicht müde wird zu betonen. Genau wie seine Intelligenz, die sich in einem ausgezeichneten Juraexamen nach nur sieben Semestern niederschlug. Der im Buch verwendete Begriff ist indes reduziert, seine Semantik entspricht der "raschen Auffassungsgabe". Ganze Bereiche fehlen, etwa die emotionale und soziale Intelligenz, kreative und schöpferische Begabungen und das vertiefte, ruhig mal spekulative Interesse an geistigen Vorgängen. Jedenfalls finden sich in der Biographie keinerlei derartigen Ansätze, alles zielt auf jene rasche Auffassungsgabe, die Informationen zu verarbeiten und Sachverhalte ökonomisch zu strukturieren hilft. "Das muss erledigt werden, sofern in vertretbarer Zeit vertretbare Ergebnisse herauskommen", heißt die Grundmaxime Kochschen Handelns laut seinem Büroleiter, und darin versteckt sich wohl kaum intellektuellem Erkenntnisinteresse. Ganz zu schweigen von der an demoskopische Erwartungen gekoppelten Haltungslosigkeit, die im Begriff "vertretbar" mitschwingt. Vertretbar vor wem? Doch wohl hauptsächlich vor dem, der wählt und abwählt.

    Da wären wir wieder beim Konservatismus, der sich ursprünglich einmal zugute hielt, es besser zu wissen als der Plebs. Echt konservative Attribute lassen sich an Roland Koch nirgends ausmachen. Weder ist er Bildungsbürger, noch kulturell zu begeistern. Wo andere "Château Pétrus" verkosten, kann er Colasorten auseinander halten. In Kleidungsfragen wird die Eleganz von der Preiswürdigkeit übertrumpft, seinen eigenen Körper behandelt er wie eine Maschine, nicht wie ein Gottesgeschenk. Das Konservativste an ihm ist die Aufrechterhaltung klassischer Familienstrukturen, in der der Ehemann und Vater durch permanente Abwesenheit glänzt wie weiland in den 50er-Jahren.

    Wer einen solchen Politiker historisch verorten will, landet nicht bei Adenauer, sondern verblüffenderweise bei Lenin. Es sind die Sozial- und Gesellschaftsingenieure, wie man sie sich in den Regelungsträumen Anfang des 20. Jahrhunderts ausgedacht hat, die beileibe nicht nur in Einparteienstaaten nach oben kommen. Auch die Führungsauslese unserer Volksparteien privilegiert diesen Funktionärstypus, der an anderen Orten in der Gesellschaft hohe Verdienste erwerben könnte: als Vorsitzender einer Krankenkasse, als Leiter eines Arbeitsamtes zum Beispiel. In der Politik stellen sie dagegen die Doppelbesetzung zur Verwaltungsspitze dar - so viel uninspirierte, technisch-effiziente Vollzugsorientierung kann einem Gemeinwesen auf Dauer nicht gut tun.

    Bleibt das Rätsel des Biographen. Als ehemaliger Spiegel-Ressortleiter ist Hajo Schumacher ganz sicher kein politischer Weggefährte Roland Kochs. Schumachers zentrales Credo lautet: "Je näher man ihm kommt, desto sympathischer wird er." Das ist wohl als Entschuldigung für die Freunde aus dem Spiegel-Milieu gemeint, beschreibt aber zugleich das Scheitern des Buches: Sympathisch wird einem dieser entrückte Politingenieur nie. Im Bemühen, dessen emotionale Leerstellen durch Begriffe wie "Kompetenz" und "Respekt" zu übertünchen, treten sie als Mangel umso schärfer ins Blickfeld. Dass Koch ein solches Buch zugelassen und ihm offensichtlich zugearbeitet hat, spricht für seine Souveränität. Oder für sein Kalkül: Wenn ich mich schon nicht ändern kann, mag er sich denken, sollten sich die Leute frühzeitig an mich gewöhnen. Bei Helmut Kohl hat das schließlich auch geklappt.