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Rolf Düsterberg: Hanns Johst - "Der Barde der SS". Karriere eines deutschen Dichters

Hans Johst wollte überzeugen, seine "Confessio" an das Publikum bringen. Er las nicht, er deklamierte. Die verschleierte und doch so volle, weite Stimme übte einen eigentümlichen Reiz aus: Sie strömt nicht zu dem Hörer hin, sie zieht an und sammelt in ihrer Verhaltenheit. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die starke menschliche Erschütterung, die sichtbar von Johst ausging, nicht allein durch die künstlerische Leistung begründet ist. Vielleicht ist das Höchste, was einem Dichter begegnen kann: wenn er wirklich die Sache größer machen kann als sich und sein Werk.

Von Helmar Harald Fischer | 07.06.2004
    Diese Eindrücke hat der Schriftsteller Jochen Klepper 1928 nach einem Leseabend mit Hans Johst in Breslau festgehalten. Johst rührte damals schon die nationalsozialistische Trommel, und 1933 avancierte er zum Hofdichter des Hitlerismus. Der 1890 in Sachsen geborene braune Agitproppoet wurde Präsident der Reichsschrifttumskammer und Präsident der Deutschen Akademie der Dichtung. Jochen Klepper hingegen fiel wegen "jüdischer Versippung" auch bei Johst in Ungnade. 1942 schied er gemeinsam mit seiner von Deportation bedrohten Frau und deren Tochter freiwillig aus dem Leben. Der Osnabrücker Literaturwissenschaftler Rolf Düsterberg hat Hans Johst zum Gegenstand einer Biographie gemacht, und Helmar Harald Fischer hat sie gelesen.

    Sein berühmtestes Theaterstück hieß "Schlageter". Und so martialisch wie der Klang dieses Titels war die Verehrung seines Autors für den Mann, dessen Name titelgebend war: Albert Leo Schlageter. Johsts Drama erschien zum zehnten Todestag des Freikorpskämpfers, der den Ersten Weltkrieg im französisch besetzten Ruhrgebiet privat fortgesetzt hatte. Er verübte Sprengstoffanschläge in Essen und Düsseldorf, um den Abtransport deutscher Kohle nach Frankreich zu verhindern. Von einem französischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt, war er im Frühjahr 1923 auf Befehl des Ministerpräsidenten Poincaré erschossen worden. Die Uraufführung von "Schlageter" fand in Anwesenheit Adolf Hitlers zu dessen Geburtstag am 20. April 1933 im Staatstheater am Gendarmenmarkt in Berlin statt - gerade mal sechs Wochen, nachdem Hanns Johst als Erster Dramaturg des Staatlichen Schauspielhauses am Gendarmenmarkt inthronisiert worden war. Bereits fünf Tage nach Hitlers Machtübernahme konnte man über Hanns Johst als möglichen Nachfolger Ernst Legals in der "Vossischen Zeitung" lesen:

    Wenn er jetzt auf Legals Posten berufen werden sollte, so hebt ihn natürlich nicht seine Lyrik, sein Drama, nicht sein Roman, sondern sein Parteibekenntnis in die Höhe.

    Nach Schlageters Exekution in der letzten Szene des Schauspiels erhob sich das Publikum und sang das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied. Mit ausgestrecktem rechtem Arm grüßte der 43-jährige Hanns Jost auf der Bühne in den tosenden Applaus hinein seinen "Führer", dem er das Stück gewidmet hatte. Im ganzen Reich folgten daraufhin Gedenkfeiern zum zehnten Todestag Schlageters, und das Stück wurde allein 1933/34 an 115 Theatern inszeniert und in über tausend Städten aufgeführt. Hanns Johst, der seit 1914 veröffentlichte und 1917 am Düsseldorfer Schauspielhaus seinen Durchbruch erlebt hatte mit der Uraufführung seines Dramas über den deutschen Dichter Christian Dietrich Grabbe "Der Einsame", galt als stärkste Hoffnung der neuen Dramatik. Er positionierte sich seit Ende des Kaiserreichs zunehmend als Dichter des Völkischen, stellte sich mit seinem Eintritt in Alfred Rosenbergs "Kampfbund für deutsche Kultur" als Sprachrohr der nationalsozialistischen Weltanschauung zur Verfügung und brachte es schließlich zu einer beispiellosen Vermehrung seiner Arbeits- und Lebensmöglichkeiten. Rolf Düsterberg belegt in seiner Johst-Biographie bis ins Detail, wie Hanns Johst seine Macht- und Einflussposition hemmungslos auch zum großen Geldverdienen nutzte. Als Präsident der Reichsschrifttumskammer und Preußischer Staatsrat hatte er ein festes Nettoeinkommen von monatlich 1.800 RM, mehr als das Sechsfache der 270 RM, die z.B. ein Oberleutnant der Wehrmacht verdiente. 310.000 RM kamen von 1933 bis 1944 allein an Tantiemen dazu. Und die Kultur-Preise und staatlichen Geschenke, die Johst während des Dritten Reiches erhielt, summierten sich auf 129.000 RM steuerfrei. Und damit nicht genug:

    Für das Jahr 1945 belegt ist noch die Überweisung eines "Honorarentschädigungsanspruchs" über 10.599,24 RM für die im Dezember 1943 infolge eines Luftangriffs im Verlag Langen-Müller vernichteten Werk-Exemplare Johsts.

    Demgegenüber wurde Hanns Johst im Entnazifizierungsverfahren für die Einstufung als "Mitläufer" 1949 zur Zahlung eines einmaligen Betrags von 500 DM verurteilt. Das Verfahren wurde aufgrund massiver Proteste und inzwischen freigegebener Dokumente mehrfach wiederaufgenommen. Aber Johsts Rechtsanwalt Dr. Alfred Holl, der "schon im Hitlerprozess 1923 die Betroffenen-Seite vertreten" hatte, gelang es mithilfe vieler hochrangiger Zeugen aus dem SS-Apparat und Kulturleben, mit dem vierten Spruch der Hauptkammer München im Mai 1955 eine endgültige Einstellung des Verfahrens zu erreichen. Die Kosten fielen der Staatskasse zur Last. Hanns Johst überlebte in seinem Haus in Oberallmannshausen am Starnberger See, von wo aus er in allen seinen staatstragenden Positionen hauptsächlich agiert hatte, bis 1978.

    Vor allem Johsts völlige Übereinstimmung mit Worten und Taten seines engen Freundes Heinrich Himmler erklärt den unvergleichlichen Weg eines Schriftstellers, der als Dreißigjähriger in familiärem Rahmen Thomas Mann bewirtete und als Fünfzigjähriger mit dem Reichsführer SS an Massenexekutionen und Umsiedlungskontrollen in den zur Germanisierung eroberten polnischen Gebieten teilnahm. Johst, der ab 1936 öffentlich nur noch in SS-Uniform auftrat, bereitete sich auf seine Rolle als Chronist der heroischen Eroberungskriege um die Errichtung eines künftig tausendjährigen Großgermanien vor und sah sich schon als Homer oder Tacitus der großen Saga von Helden, denen der Gruß seines Führers "Hostie eines endlichen Glückes" war. Durch seine Sprach- und Inhaltsanalysen der Johstschen Lyrik, Novellistik und Dramatik bis hin zu seinen demagogischen Propagandawerken und der Nachkriegsveröffentlichung seines Romans "Gesegnete Vergänglichkeit" vermag Rolf Düsterberg das Unbegreifliche dieser Karriere so aufzuschlüsseln, dass die über die Biographie des Hanns Johst hinausgehenden Folgerichtigkeiten sichtbar werden. Johsts schon Ende des expressionistischen Jahrzehnts einsetzende wahnhaft nationalistische Fixierung auf Genie und Blut, Führermythos und Mutterkult ließ ihn ohne alle Gewissenbisse seinem Glauben nach handeln, als die Stunde da war, fanatische Verabsolutierungen in die Tat umsetzen.

    Gnadenlos verfolgte er in leitender Funktion am Staatstheater wie als Präsident der Reichsschrifttumskammer und Vorsitzender der Deutschen Akademie der Dichtung jeden, der sich nicht zum Werkzeug der nationalsozialistischen Herrschaft und Rassenideologie machen ließ. Düsterberg kann sogar nachweisen, dass Johst dabei war, als Heinrich Himmler im Juni 1941 die "Höchsten Funktionsträger des rassischen Vernichtungskampfes" auf die Wewelsburg bei Paderborn berief, um "Ihnen mitzuteilen, dass der Angriff auf die Sowjetunion unmittelbar bevorstehe" und welche Sonderaufgaben für die SS sich daraus ergäben. Es werde "zu einem Volkstumskampf von unerbittlicher Härte kommen, in dessen Verlauf (...) 20 bis 30 Millionen Slawen und Juden umkommen" würden. Und Düsterberg schildert, wie Johst mit Himmler auch nach Kiew, Südrussland und auf die Krim reiste, zu Truppenbesuchen, ins Führerhauptquartier und zur SS-Gruppenführertagung in Posen, auf der Himmler seine "berühmt-berüchtigte Rede" über die "Endlösung der Judenfrage" hielt - im selben Jahr, als Johst unter dem Titel "Die große Wandlung 1933-1943" schrieb:

    Als ich damals, vor zehn Jahren, in der Nacht nach Berlin fuhr, um von der ersten Stunde an mithelfen zu dürfen, an Stelle kritischer Forderungen praktische Nationalsozialistische Kulturpolitik zu leisten, hätte ich nicht geglaubt, dass die völlige Wandlung aller künstlerischen Disziplinen so reibungslos vonstatten gehen würde.

    Mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln hatte Johst kämpferisch zur Umwertung aller Werte beigetragen, wobei er offensichtlich in den zuvor bestehenden Kulturinstitutionen und bei den im Reiche verbliebenen Künstlern und Intellektuellen auf wenig Widerstand gestoßen war. Nach dem Krieg fühlte er sich missverstanden und wurde in den Siebziger Jahren, wie seine Tochter Krista dem Biographen Düsterberg mitteilte, zunehmend verbittert. "Im völkischen Staat", hatte er ja schon seinen Schlageter verkünden lassen, gebe es überhaupt nur eine Schuld: den "Mangel an Treue".

    Helmar Harald Fischer über Rolf Düsterberg, "Hanns Johst: Der Barde der SS -
    Karriere eines deutschen Dichters". Diese Biographie ist im Paderborner Schöningh Verlag erschienen, 462 Seiten, 39,90 Euro.