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Rotenburg an der Wümme
Streit um Umbenennung der Lent-Kaserne

Seit 1964 ist eine Kaserne in Rotenburg an der Wümme nach Helmut Lent benannt - einem Soldaten der Luftwaffe und Liebling der NS-Propaganda. Seit Jahren wird darum gestritten, ob dieser Name noch tragbar ist. Gegner der Umbenennung argumentieren damit, dass Lent nie in der NSDAP war.

Von Dietrich Mohaupt | 25.05.2018
    Der Name der Lent Kaserne steht auf einem weißen Sockel vor dem Haupttor des Kasernengeländes in Rotenburg/Wümme (Niedersachsen).
    Ist der Name Lent-Kaserne tragbar oder nicht? Darüber wird seit Jahren diskutiert (picture alliance / Ingo Wagner / dpa)
    In einem Eiscafé in der Fußgängerzone von Rotenburg blättert Michael Quelle in einem Ordner voller Dokumente über Helmut Lent. Schon seit Jahren stöbert der gelernte Heilerziehungspfleger im Auftrag einer Initiative zur Umbenennung der Lent-Kaserne in staatlichen Archiven und privaten Unterlagen, um sich ein möglichst genaues Bild von dem Mann zu machen, der für die Nazi-Führung ganz offensichtlich ein Held war.
    "Das ist hier der Lageplan vom Garnisonsfriedhof in Stade – das Oberkommando des Heeres und Oberkommando der Luftwaffe hat sich im März 1945 noch Gedanken darüber gemacht, wie der Garnisonsfriedhof in Stade so umgestaltet werden kann, dass das Grab von Helmut Lent und seiner Besatzung im Zentrum eines neuen Ehrenhaines liegen kann."
    Liebling der NS-Propaganda
    Helmut Lent kam im Oktober 1944 bei einem Flugunfall ums Leben. Ein begeisterter Soldat, ein harter und zäher Kämpfer, ein strahlender Held – so würdigte Reichsmarschall Hermann Göring Lent bei einem Staatsakt. Nach Görings Worten war Lent aber nicht nur Soldat, nicht nur Kämpfer, er war auch ein leidenschaftlicher Anhänger unserer nationalsozialistischen Weltanschauung."
    Als Lent starb, war er gerade mal 26 – ein junger, erfolgreicher Jagdpilot und Liebling der NS-Propaganda. Die Frage nach seiner persönlichen Schuld sei sicher nicht ganz einfach zu beantworten, meint Michael Quelle, es sei aber sehr deutlich, dass er kein ausgewiesener Gegner des Nazi-Regimes gewesen sei.
    "Ich habe nirgends gefunden, dass er in irgendeiner Opposition zum Nationalsozialismus gestanden hat, ich würde ihn als Hitler-treu bezeichnen, also bis zum Schluss. Und die letzten Aussagen, die er gemacht hat in seinen Briefen – da hatte er einen Sprachgebrauch wie 'Die Feiglinge müssen gnadenlos ausgerottet werden', 'fanatisch bis zum Endsieg kämpfen'. Er war also zum Schluss ein fanatisierter Offizier, auch vor dem Hintergrund, dass andere Offiziere ja in den Widerstand gegangen sind."
    Klares Bekenntnis zu Christentum und Vaterland
    Das Regime habe den erfolgreichen Jagdflieger für seine Propaganda missbraucht – halten Gegner einer Kasernen-Umbenennung dagegen. Lent sei eben kein Nazi, sondern einfach ein hervorragender Soldat im Dienste einer falschen Führung gewesen. Seine Distanz zu dieser Führung belege unter anderem die von ihm selbst verfasste Todesanzeige, in der er auf die übliche Floskel "gefallen für Führer, Volk und Vaterland" verzichtet und nur ein klares Bekenntnis zu Christentum und Vaterland formuliert habe. Er könne deshalb die endlose Diskussion über den Namen Lent nicht mehr nachvollziehen, betont der Bürgermeister von Rotenburg, SPD-Mann Andreas Weber.
    "Ich würde mich freuen, wenn endlich diese Diskussion beendet wird und unser Wunsch, den wir geäußert haben, den wir auch im Stadtrat diskutiert haben, und zwar schon im September 2016, dass dieser Wunsch auch erfüllt wird, dass wir den Namen der Lent-Kaserne hier in Rotenburg auch behalten können."
    Im Frühjahr wurde eine Kaserne in Hannover umbenannt und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nutzte diesen Termin, um öffentlich über den neuen Traditionserlass der Bundeswehr zu sprechen. Was kann sinnstiftend sein für eine Tradition, auf die sich heute die Bundeswehr noch berufen kann, berufen darf, fragte die Ministerin – und gab gerade mit Blick auf Angehörige der Nazi-Wehrmacht eine eigentlich recht klare Antwort.
    "Es kommt auf die einzelne Person an, und wir müssen immer sorgfältig abwägen. Und dieses Abwägen muss auch die Frage nach persönlicher Schuld stellen. Und die Aufnahme in unser Traditionsgut muss zudem eine Leistung zur Bedingung machen, die vorbildlich und sinnstiftend in die Gegenwart wirkt."
    Klares Votum der Politik für den Erhalt des Namens
    Es gibt ein klares Votum der Politik in Rotenburg für den Erhalt des Namens Lent-Kaserne – und auch die rund 1.000 dort stationierten Soldatinnen und Soldaten des Jägerbataillons 91 haben sich so entschieden. Das war allerdings vor dem neuen Traditionserlass – gleichwohl hält sich das Verteidigungsministerium in der Diskussion eher vornehm zurück. Auf Grundlage des neuen Traditionserlasses sei zu prüfen, ob an bestehenden Kasernenbenennungen festgehalten werden könne, oder ob eine Umbenennung erforderlich sei. Darüber werde in der Lent-Kaserne derzeit hoffentlich nachgedacht, heißt es aktuell in der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage einiger Bundestagsabgeordneter der Linken. Nils Bassen sitzt für die Linken im Kreistag von Rotenburg – ihm reicht diese Antwort nicht.
    "Vielleicht sollte das Verteidigungsministerium noch mal mit der Kaserne sprechen und denen sagen 'Hey Leute, macht noch mal eine Veranstaltung, informiert noch mal die Soldaten vor Ort.' Und ich glaube, die Soldaten, die würden gerne noch mal darüber diskutieren, über neue Inhalte. Und ich glaube, das wäre ganz spannend."
    Genau das will aber das Verteidigungsministerium vermeiden. Auf keinen Fall soll offenbar der Eindruck entstehen, es gebe aufgrund neuer Inhalte im Traditionserlass "Druck von oben". Denn die Initiative zu einer Umbenennung – oder zu einer Diskussion darüber – muss laut Traditionserlass vom jeweiligen Standort ausgehen. Für den Militärhistoriker Sönke Neitzel von der Uni Potsdam steht fest: Nicht die Wehrmacht als solche, aber ein einzelner Soldat – wie eben Helmut Lent – könne durchaus sinnstiftend für das Traditionsverständnis der Bundeswehr sein. Wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Lent sei zum Beispiel ein tief gläubiger Christ gewesen.
    Und "er war nicht an der Ostfront, er hat keine Kriegsverbrechen begangen, er war nicht in der Partei, und er hat letztlich, auf den Punkt gebracht, die deutsche Zivilbevölkerung vor britischen Bombenangriffen geschützt, vor britischen unterschiedslosen Angriffen auf Deutschland. Die entscheidende Frage ist: Reicht das bis in die Gegenwart oder gar in die Zukunft? Und diese Frage, die können nur die Soldaten selber beantworten."
    Meinungen der Einwohner gehen auseinander
    Bleibt die Frage, ob die Soldatinnen und Soldaten in der Lent-Kaserne überhaupt noch einmal gefragt werden. Derzeit sieht es jedenfalls nicht danach aus. In der Fußgängerzone von Rotenburg gehen die Meinungen weit auseinander.
    "Das Votum war eindeutig für die Nicht-Umbenennung." - "Ich hätte kein Problem damit, wenn die Kaserne einen neuen Namen bekäme. Auf der anderen Seite können wir nicht alles wegwischen, was wir hier gehabt haben. Eine Erinnerungstafel mit dem deutlichen Hinweis, dass auch dieser Mensch nicht sauber durch sein Leben gekommen ist, wäre für mich auch eine denkbare Lösung."