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Roth: 1995 hat man nicht eine Frau, sondern mich als Kandidatin gewählt

Das Männer-Netzwerk sei so eng, dass diese Frauen gar keine Chance ließen, sagt Petra Roth. Das ehemalige Stadtoberhaupt der Bankenmetropole Frankfurt spricht sich für eine Quote in der Politik aus. Zum Image der Banken und der Eurokrise sagt sie, dass ein Fehlverhalten von gewissen Industriesegmenten nicht auf eine Stadt abfärben dürfe.

Petra Roth im Gespräch mit Rainer Burchardt |
    Sprecherin: Sie macht eine gute Figur beim Empfang für die norwegische Prinzessin Mette-Marit ebenso wie beim Plausch mit den Marktfrauen in der Frankfurter Kleinmarkthalle, heißt es über sie in einer soeben erschienenen Biografie von Matthias Arning. Und weiter: Sie ist bodenständig geblieben und repräsentiert gleichzeitig stilsicher ihre Stadt bei Begegnungen mit Prominenten und Wirtschaftsführern. Die Rede ist von der CDU-Politikerin Petra Roth, bis vor Kurzem Oberbürgermeisterin von Frankfurt am Main, bekannt geworden auch als langjährige Präsidentin des Deutschen Städtetages. Die 1944 in Bremen als Petra Martin geborene Roth entstammt einer Bremer Kaufmannsfamilie und blickt auf eine bemerkenswerte politische Karriere zurück: So trat sie 1972 in die Frankfurter CDU ein und verdiente sich dort ihre ersten kommunalpolitischen Sporen als Sozialbezirksvorsteherin und dann als Mitglied der Stadtverordnetenversammlung, von 1987 bis 1995 war sie Mitglied des Hessischen Landtags und von 1992 bis 1995 Parteivorsitzende der Frankfurter Christdemokraten. Drei Mal in Folge, beginnend 1995, wurde Petra Roth zur Frankfurter Oberbürgermeisterin gewählt und hat in 17 Jahren das Gesicht der Mainmetropole entscheidend geprägt. Wenn sie sich so richtig in ihrem kommunalpolitischen Führungselement fühlte, sagte sie oft: ich als Stadt Frankfurt. In ihrer gewinnenden Art, aufzutreten, sowie mit ihrem Vermögen, politische Glaubwürdigkeit auszustrahlen, hat sie nicht nur die Frankfurter Bürgerinnen und Bürger für sich einnehmen können. Ihre positive Wirkung ging und geht weit über die Stadt der Karlskirche hinaus. Zweimal war sie sogar als mögliche Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten im Gespräch, zuletzt als Nachfolgerin von Christian Wulff.


    Petra Roth: Die Bereitschaft, sich zu engagieren als aktiver Wahlbürger, aber auch als aktiver Politiker, nimmt ab.

    Sprecher: Reflexionen am Ende einer Dienstzeit, Nachfolgefragen und moderne Kommunalpolitik.

    Rainer Burchardt: Frau Roth, es ist ja nicht allzu lange her, seitdem Sie Ihr Amt abgegeben haben. Insofern ist die Frage vielleicht am Anfang unseres Gesprächs auch durchaus naheliegend, zu fragen, wie es Ihnen geht. Denn viele Politiker gerade und Politikerinnen, die, wenn sie zurückgetreten sind oder auch abgetreten sind, fallen ja manchmal in ein tiefes Loch und wissen mit ihrer Zeit erst mal gar nichts anzufangen, oder es kommt dann dieses berühmte "Ich weiß gar nicht, wie es geht, ein Bahnticket zu lösen".

    Roth: Also, ich möchte mal gleich mit einem Widerspruch beginnen: Ich bin nicht zurückgetreten und ich falle auch nicht in ein Loch, sondern meine Dienstzeit ist zu Ende. Ich habe nur die dritte Wahlperiode um ein Jahr verkürzt. Diese Verkürzung habe ich strukturpolitisch bei mir selber sehr genau durchdacht. Ich werde jetzt eine kleine Stiftung führen von Herrn Töpfer in Bezug auf Nachhaltigkeit, Umweltschutz, der Bauindustrie in Hessen und Thüringen, und da stehen schon die ersten Termine an. Mir persönlich geht es sehr gut und ich bin mit großer Leidenschaft politisch aktiv gewesen als Oberbürgermeisterin, das ist auch das, was faszinierend ist, umsetzen zu können. Und ich werde weiter ein politischer Mensch bleiben. Ich bin ein sehr temperamentvoller Mensch und glaube, dass diese Eigenschaften auch mir weiter meine alten Freunde, die Möglichkeit geben, sich wieder mit denen zu treffen, wie aber auch weiter neue Freunde zu gewinnen.

    Burchardt: Der Ihnen ja politisch sehr durchaus zugeneigte und auch persönlich zugeneigte Daniel Cohn-Bendit wird mal zitiert, dass er gesagt hat, Ihre letzte Entscheidung war die schlechteste. Er hat angespielt darauf, dass Sie Ihren Parteikollegen Rhein nominiert haben beziehungsweise vorgeschlagen haben, Ihr Nachfolger zu werden, und dann ist der Rhein nicht gewählt worden, sondern der Sozialdemokrat Feldmann. Ich meine, das wurmt doch, oder nicht? Oder ist das an Ihnen so vorbeigegangen?

    Roth: Ja, also, erst mal kann man überhaupt niemanden zum Nachfolger vorschlagen bei einer Direktwahl in den Kommunen und im Amt des Oberbürgermeisters. Richtig ist, dass ich Boris Rhein der Partei vorgeschlagen habe zu nominieren als Kandidaten für den Oberbürgermeister in Frankfurt am Main. Und das hat die Partei ja auch mit großer Freude bestätigt. Und entscheidend war, dass die Bürger zwischen - zunächst waren es elf Kandidaten und dann nachher in der Stichwahl -, zwischen diesen beiden Kandidaten sich für Peter Feldmann entschieden haben. Das liegt immer an den Personen und das hat nicht unbedingt was mit der Politik zu tun. Persönlichkeitswahlen sind im hohen Maße bei den Direktwahlen zum Amt des Oberbürgermeisters festzustellen. Traut man dem Menschen zu, sich meiner Sorgen anzunehmen, traut man diesem Menschen zu, standfest zu sein, traut man diesem Menschen zu, Mitgefühl zu haben? Also all das, was ganzheitlich in der Politik eigentlich verlangt wird, ist im Amt des Oberbürgermeisters tagtäglich gefordert. Und so ist die Entscheidung dann gewesen.

    Burchardt: Wenn das jetzt das Ausschlaggebende war: Sie sind ja, wenn ich das so sagen darf, Pardon, ein political animal, also, Sie verstehen ja nun weiß Gott was von der Politik. Und hätten Sie da nicht persönlich auch vielleicht sehen müssen, dass das unter Umständen eine schwierige Entscheidung war und vielleicht nicht ganz die richtige?

    Roth: Nein. Wir hatten zwei Kandidaten beziehungsweise eventuell auch einen Dritten, und diese drei Kandidaten und nachher die Zwei haben ja mit mir sich dahin gehend geeinigt zu sagen, ich - also Boris - kandidiere. Und der jetzige Kämmerer Uwe Becker hat gesagt, dann mache ich den Parteivorsitz, also, dass wir hier mit zwei jungen Männern in eine strategisch gut aufgestellte Vorwahlkampfphase gegangen sind. Und die Prognosen waren ja so überwältigend, das schadet häufig auch einem Kandidaten, wenn alle sagen, das läuft für den, dass alle gesagt haben: Der wird es und kein anderer. Dann ist natürlich in der politischen Landschaft einiges geschehen in diesen Monaten, es kam der Fluglärm durch die neue Inbetriebnahme der Landebahn, es kam hinzu, dass Themen in der Wohnungspolitik vom Land gespielt wurden, die für Frankfurt nicht groß von Vorteil gewesen wären, und die Begründung, dass wir in Frankfurt das gar nicht machen, was das Land mir vorschlägt, hat natürlich nicht gegriffen. Und so kommen dann die Ergebnisse zustande.

    Burchardt: Da Sie gerade die politische Stimmung angesprochen haben: Es ist ja auch die Zeit des Wutbürgertums gewesen, auch die Sache, dass die großen, die etablierten Parteien gewisse Legitimationsnachteile haben, dass Leute einfach sagen, wir haben ein bisschen von der etablierten Politik auch die Nase voll, so machen wir es nicht mehr weiter, entweder werden sie Protestwähler oder sie gehen gar nicht zur Wahl. Hat man da vielleicht auch das ein bisschen leichtgenommen und gesagt, das läuft automatisch?

    Roth: Nein, also, hier läuft überhaupt nichts automatisch. Das höchste Gut, was ein Bürger hat, ist, ein Wählervotum für einen Kandidaten zu geben. Das basiert auf der Grundlage des Vertrauens, der Authentizität, die der Kandidat rüberbringen muss, und dann der Zustimmung vom Wahlbürger. Von alleine läuft gar nichts und Sie müssen sich was erarbeiten. Und der Wahlbürger möchte auch, dass sich der Kandidat ihm andient und zeigt: Ich bin für euch da. Und das haben alle Kandidaten getan. Die Wahlentscheidungen sind heute leider überhaupt nicht mehr in der Größenordnung festzustellen wie noch vor 20 Jahren. Bei meiner ersten Wahl vor 18 Jahren gab es über 50 Prozent zur Oberbürgermeisterwahl und bei meiner letzten Wiederwahl waren es 35 Prozent. Also, da kann man nun auch nicht draus schließen, dass die Bürger fauler geworden sind, sondern die Bereitschaft, sich zu engagieren als aktiver Wahlbürger wie aber auch als aktiver Politiker, nimmt ab. Das sehen Sie auch in den Vereinen: Es gibt kaum Menschen, die noch bereit sind, ehrenamtlich etwas zu tun, und die Politik ist natürlich in hohem Maße ein ehrenamtliches Mandat.

    Burchardt: Also, selbst im Kirchenbereich, bei den Gewerkschaften hört man es auch, die Hilfsorganisationen haben ja Probleme ...

    Roth: ... ja, Kirche, Gewerkschaften, Vereine, überall. Wir leben in einer zunehmend individualisierten Gesellschaft, auf die im Übrigen die Politik reagieren muss. Sie kann nicht mir große Entscheidungen von Jung bis Alt durchsetzen, sondern sie muss auch individuelle Angebote machen. Nehmen wir mal die Bildungspolitik, nehmen wir mal die frühkindliche Betreuung, nehmen wir aber auch bitte mal die Betreuung von älter werdenden Menschen. Früher hieß es, mit 65 geht man in den Ruhestand und dann haben die Menschen gelebt, da braucht sich keiner mehr drum zu kümmern, da gab es die Sozialgesetzgebung, die einen gewissen Wohlstand garantierte. Heute ist es so, dass alte Menschen - und wir stellen ja fest, dass ein Großteil der sogenannten Wutbürger, die im dritten Lebensabschnitt sind, die sich jetzt auch mal engagieren -, also, wir müssen für diese Menschen Bildungsangebote, Freizeitangebote, die dann wieder mit der Wirtschaftspolitik zu tun haben, im Portfolio von kommunaler Politik haben. Also, die Gesellschaft ändert sich, wir können nicht immer nach rückwärts schauen, sondern wir müssen auf - und das gilt im Besonderen für Frankfurt und hier das Rhein-Main-Gebiet -, wir sind ein ganz früher Fokus der globalisierten Politik gewesen schon vor 20 Jahren, und die Einflüsse, die durch die Globalisierung nach Deutschland und hier ins Rhein-Main-Gebiet kommen, haben Auswirkung auf das gesellschaftliche Leben miteinander, der Integration, der Gesundheitspolitik, der frühkindlichen Bildung. Und das engagiert natürlich viele Menschen. Und dann sozusagen parteipolitisch sich noch zu engagieren, warum?

    Burchardt: Ist denn das jetzt eigentlich ein gesellschaftspolitischer Paradigmenwechsel, den wir hier erleben? Irgendein Philosoph hat mal gesagt, die Altachtundsechziger sind jetzt auch wirklich 68 und das ist vielleicht die Generation, die aber auch noch nicht ganz abtreten will. Es sind ja Leute wie Sie und ich und es sind Leute, die eigentlich sagen: Mensch, wir können doch noch!

    Roth: Also, das Zahlenspiel ist sehr passend auch für mich. Als ich jetzt im Mai 68 wurde, habe ich von vielen, endlich auch eine Achtundsechzigerin! Und politisch, inhaltlich ist da sehr viel Wahres dran. Die nur vom Alter her jetzt Achtundsechziger sind doch sehr viel gesellschaftspolitisch liberaler, aufgeschlossener, international geworden, gesellschaftspolitisch sagt man das, als das vor 25 oder vor 40 Jahren mit den damals Achtundsechzigern war, die altersmäßig so waren. Und ich glaube schon, dass wir hier einen Paradigmenwechsel zu verzeichnen haben, der aber nicht sprunghaft oder abrupt geschieht, sondern der hat sich besonders in den letzten 18 Jahren, seitdem ich hier die Stadt regiere, dargestellt. Hat was mit Europa zu tun politisch, kommunalpolitisch, hat was mit dem Exportland Bundesrepublik Deutschland zu tun, der Qualität der Produkte, die wir haben, die wir in die Welt verkaufen, damit wieder mit Wohlstand. Und dann hat es etwas mit dem Zuzug der vielen anderen Nationen, die in die Region kommen, zu tun. Dann kommen wir zur Frage der Religionsfreiheit und damit der Wertegesellschaft. Also, gesamtgesellschaftlich ist die Bundesrepublik natürlich - wäre schlimm, wenn es nicht so wäre - im Jahr 2010 eine andere als 1970, das sind die 40 Jahre, in denen ich als CDU-Mitglied mich engagiert habe und gewirkt habe. Und ich bin auch, wie ich so schön sage, mit meinen politischen Aktivitäten durchgealtert. Ich habe mal begonnen, indem ich mich für den Zebrastreifen vor dem Kindergarten meiner Kinder eingesetzt habe, und ich bin heute eine sehr große Vertreterin des demografischen Wandels, den zu erklären. Ich bin eine engagierte Politikerin in der Nachhaltigkeitsfrage geworden, in der Strukturpolitik Metropolregionen zu entwickeln, sie mit einer Satzung zu verfestigen, sie unabhängig zu machen von den Ländern, weil das in Europa gefordert wird. Also, da habe auch ich einen großen Wandel durchgemacht. Und jetzt müssen die Nächsten - der Nachfolger in meinem Amt ist ja auch 15 Jahre jünger - die Stadt an den Herausforderungen, die die Welt hier diktiert, führen.

    !Burchardt: Wenn wir beim Thema Wandel bleiben: Ich habe irgendwo in den Unterlagen gefunden bei der Vorbereitung, Sie hätten 1969 die SPD gewählt, 72 sind Sie in die CDU eingetreten. Was ist in dieser Phase bei Ihnen als Wandel geschehen?

    Roth: Eigentlich gehört zu dem Votum, dass ich 69 SPD gewählt habe, der Feminismus, die Emanzipation von Frauen, auch die gesellschaftspolitische Entwicklung der Bundesrepublik. Ich bin Jahrgang 44, ich bin ein typisches Friedenskind, ich bin auch familiär in einem Umfeld aufgewachsen, in dem es Wohlstand gab, ich bin in einer Familie, in der sehr viel sportliche Aktivitäten ...

    Burchardt: ... Sie kommen aus einer Bremer Kaufmannsfamilie ...

    Roth: ... Bremer Kaufmannsfamilie, wir haben viel mit Sport und Geselligkeit, im Sport gab's Klub-Leben, also englische Country-Klubs von Golf, Tennis, Hockey und ein Schwimmbad da war, das erlebt. Ich bin so alt, dass damals man erst mit 21 wählen durfte, noch nicht mit 18, ich habe mit 20 geheiratet, da musste mein Vater die Genehmigung dafür geben, als ich dann mit 20 Jahren arbeiten wollte, weil ich sonst nichts zu tun hatte als junge Ehefrau mich zu beschäftigen, hat mein Mann das unterschreiben müssen, dass das erlaubt ist. Ich habe mich dann sehr jung scheiden lassen. Das war also wirklich nicht selbstverständlich. Ich bin dann, wie gesagt, ja auch in eine Partei eingetreten, auch das war nicht selbstverständlich, ich war immer die erste Frau politisch, ich war auch in der CDU die erste Vorsitzende dann, die weiblich war. Diese Dinge haben natürlich eine Rolle gespielt, dass ich 1969 die SPD gewählt habe. Ich fand das gut, dass man - da war ich 24 -, dass man da die Volljährigkeit auf 18 runtersetzen wollte ...

    Burchardt: ... das war ja auch der Beginn der sozialliberalen Koalition ...

    Roth: Das ist der Punkt und ich fand auch, mich hat Politik immer interessiert, die Öffnung zum Osten, also, die Ostverträge, was Willy Brandt dann gemacht hat, Wandel durch Annäherung. Ich habe die Emanzipation, indem Frauen also für sich selber zuständig sein wollen auch, sehr intensiv verfolgt, indem es dafür Gesetzgebung, Initiativen gab, und das ist dann Anfang der 70er-Jahre etwas gewesen, was ich bei der CDU stärker vertreten sah als woanders. Und dann bin ich Mitglied geworden und habe gesagt: Ich habe Zeit, ich habe Lust und lasst mich mal ein bisschen machen!

    Burchardt: Wollten Sie denn den - mal etwas flapsig formuliert -, den Laden aufmischen? Denn das, was Sie jetzt gerade genannt haben, Ostverträge, das war ja damals ein rotes Tuch für die Union! Insofern ist es ja eigentlich unlogisch, dass Sie jetzt sagen, also, ich bin für die Ostverträge, ich finde das alles gut, Emanzipation, das war ja nun also konträr das Gegenteil von dem, was die damalige Union wollte. Ich sage jetzt mal Franz Josef Strauß, Rainer Barzel und andere!

    Roth: Erstens muss man - das hat mir mal Alfred Dregger gesagt -, man muss nicht zu 100 Prozent den Programmpunkten der Partei zustimmen. Wenn es 50,1 sind, dann reicht es. Und eine Partei ist dann lebendig und passt sich auch den Strömungen an und debattiert, und dies auch mit einer Lust an Streitkultur, wenn auch gegenläufige Meinungen aufeinandertreffen. Und die CDU war in den 70er-Jahren eine extrem diskussionsfreudige Partei. Ich habe mich sehr begeistert an Barzel, an Biedenkopf, an Geißler, mein Gott, was waren das für streitbare Köpfe! Und was man da nachlesen konnte und auf Parteitagen, die Grundsatzdebatten, da geht einem schon das Herz auf! Also, ich bin ein sehr temperamentvoller Mensch und lebendig, das war spannend, das war Leben, da passierte was! Und da ich auch nicht berufstätig war in dem Sinne, wo ich acht Stunden dann an einem Produkt arbeiten musste, konnte ich mich mit der Weite, die sich in der Politik ergab durch Diskussionen und die Vielfalt, mich mit begeistern und einsetzen und habe dann ja auch in der Partei das Delegiertenmandat bekommen, den Vorsitz in Vereinigungen, dann den Vorstand Beisitzer im Vorstand, dann auf Landesebene, dann habe ich früh Frauenpolitik gemacht, habe damals aber den konservativen Teil der Frauenpolitik gegen Frau Alice Schwarzer vertreten ...

    Burchardt: ... mit Rita Süssmuth zusammen ...

    Roth: ... ja, genau, ich bin eine Schülerin oder zusammen mit Frau Süssmuth ...

    Burchardt: ... aber das war nicht unbedingt gelitten in der Union ...

    Roth: ... nein, nein, genau, Frau Süssmuth hat nicht unbedingt die Zustimmung. Ist ja auch nicht so, dass ich mein Leben lang hier mit Hosianna durchgereicht wurde, ich habe auch gekämpft! Aber ich habe aber auch immer gewonnen. Ich habe jede Wahl, wo ich angetreten bin, gewonnen, und habe auch sehr bedeutende familienpolitische Initiativen mit Frau Süssmuth durchgesetzt auf Bundesparteitagen, das Erziehungsgeld oder heute heißt es frühkindliche Erziehung, dann den Kindergartenplatz 1992, dass man ab drei einen Rechtsanspruch hat. Und das macht Freude!

    Burchardt: Bevor Sie Oberbürgermeisterin wurden, waren Sie ja auch unter anderem Landtagsabgeordnete. War das nicht eine selbst verfügte Zurückstufung von politischer Einflussnahme für Sie, gerade vor dem Hintergrund der Themen, die wir angesprochen haben?

    Roth: Nein. Also, ich bin 1977, damals sagte man hier, ich sei ein Seiteneinsteiger und das wäre eine Karriere, ich war gerade viereinhalb Jahre in der Partei und war dann schon auf der Liste für die Stadtverordnetenversammlung. Nun ist ein Frankfurter Stadtverordnetenmandat auch ein sehr vielfältiges und hat auch eine hohe Reputation. Und dann war ich gleich Stadtverordnete. Dann bin ich Ausschussvorsitzende im Sport geworden, die erste Frau auf Bundesebene überhaupt, die das hatte. Und dann war das Nächste, wo Entscheidungen getroffen wurden, der Hessische Landtag. Und da habe ich gesagt, dann will ich eigentlich auch mal in ein solches Parlament.

    Burchardt: Haben Sie das als Sprungbrett gesehen?

    Roth: Ja, ich weiß es nicht. Mich hatte die CDU damals schon mal gebeten, ein Mandat für Bonn, also für den Bundestag ins Auge zu fassen. Da waren meine Kinder noch sehr klein und da habe ich gesagt, ich möchte meine Kinder selber erziehen und nicht am Wochenende nur da sein, dann muss man Wahlkreisarbeit machen. Der Hessische Landtag ist näher, ich bin in 35 Minuten von Frankfurt in Wiesbaden, und dann bin ich, wie gesagt, mit einem Wahlkreis hier in Frankfurt und der war ritzerot, den hatte der Matthöfer früher mal, den habe ich dann für die CDU, also ich gewonnen. Und das ist kein Rückschritt, nein. Das ist ... Sie müssen ja wissen, dass Kommunalpolitik ...

    Burchardt: ... nein, ich meine das auch nicht als Rückschritt, sondern so eine ...

    Roth: ... Kommunalpolitik ist ja keine ...

    Burchardt: ... Reduzierung auf Regionales ...

    Roth: ... ist ja Selbstverwaltung, Kommunalpolitik. Und der Parlamentarismus, also, die Gesetzgebung, ist eben auf Land und Bund beschränkt. Und das hat schon für meinen weiteren Lebensweg, den ich damals so nicht gesehen habe, mir sehr viel Kenntnis vermittelt. Der parlamentarische Bereich. Und da ist der Begriff auch richtig. Eine Kommune hat kein Parlament, sondern eine Gemeindevertretung. Und dann kam das Angebot, doch zu kandidieren. - Nicht Oberbürgermeister zu werden, jetzt sind wir wieder bei der ersten Frage bei Ihnen, wer ist der richtige Kandidat für eine solche Wahl, sondern zu kandidieren für die CDU, das Amt des Oberbürgermeisters, das war die erste Direktwahl in Frankfurt. 1992 hat die hessische das mit einem Volksentscheid bei der Landtagswahl Hessen so entschieden ...

    Burchardt: ... haben Sie sofort Ja gesagt?

    Roth: Na ja, ich habe mir das schon ein bisschen überlegt, mein Lebenstraum war das nicht, Oberbürgermeister der Stadt zu sein. Ich bin aber auch immer davon ausgegangen, dass ich das werde, wenn ich kandidiere. Lachen wir alle heute eigentlich drüber, denn ich hätte mir ja gar nicht so viel Gedanken machen müssen, kandidieren kann man ja, wenn ich gedacht hätte, dass ich sowieso nicht gewinne. Aber ich habe die Verpflichtung und die Last ein wenig da drin auch gesehen. Und dann habe ich es mir überlegt und mein Mann hat vor allen Dingen gesagt: Mach das - ich war damals Parteivorsitzende -, die Arbeit in Frankfurt machst du sowieso, dann kandidiere auch! Das war 1992. Na ja, dann ist es so geworden, wie wir heute alle wissen. Ich habe die Kandidatur angenommen, ich habe gegen Andreas von Schoeler, der damals der schönster Oberbürgermeister Deutschlands war, gewonnen. Ich hatte vorher als Parteivorsitzende mich bemüht, Kandidaten zu finden, weil das die Aufgabe auch ist als Parteivorsitzende, Kandidaten zu finden. Viele wollten Oberbürgermeister von Frankfurt werden, das war schon was, aber keiner wollte von denen einen Wahlkampf riskieren, wo alle sagten, genau wie heute wieder alle sagten, der Schoeler, der ist unschlagbar!

    Burchardt: Es wird ja der Spruch kolportiert gerade im Wahlkampf, dass von Schoeler sagte, na ja, Sie können bei mir mitmachen, und Sie sollen gesagt haben: Ich will nicht mitmachen, sondern ich will auf deinen Stuhl!

    Roth: Ja, das ist auch richtig. Also, ich war Landtagsabgeordnete und Stadtverordnete zusammen und damals hatte die SPD eine Koalition hier in Frankfurt mit den Grünen. Und da rumpelte es ab und zu und da haben. Man fummelt ja auch ein bisschen in der Politik und da kam von der SPD die Überlegung, ob man nicht die CDU in den Magistrat, also in die Regierung holt und damit dann die Grünen ein bisschen klein hält. Da hätte man die CDU auch befriedigt, dann machen die nicht so eine rigide Oppositionspolitik. Und zu diesem Punkt hat mich der damalige Oberbürgermeister zu sich gebeten ins Dienstzimmer und hat mir angeboten, sogar Bürgermeister zu werden. Das wird indirekt gewählt, Bürgermeister, und da habe ich gesagt, ich will nicht Bürgermeister werden, ich will Oberbürgermeister werden, ich will Ihren Stuhl haben, weil ich ja Parteivorsitzende war, Spitzenkandidatin, und habe gesagt, nein, ich nehme das nicht an. Und das ist auch richtig - jetzt sind wir bei Parteipolitik -, Sie können nicht um ein Amt sich bewerben, wenn Sie mit eingefangen sind in die Regierungspolitik. Das ist ja immer das Problem auch, wenn in anderen Städten der Bürgermeister gegen den Oberbürgermeister kandidiert. Der hat alles mit zu verantworten. Sie müssen schon aus der Opposition heraus deutlich machen, was Sie anders machen wollen und werden wollen. Und dann hat es ja auch geklappt.

    Burchardt: Wie haben Sie denn während Ihrer Dienstzeit als Oberbürgermeisterin hier in Frankfurt sozusagen diese Disparität gesehen: Die Landespolitik wird von Wiesbaden aus gemacht und die Kommunalpolitik, sozusagen die kleine Münze, in Anführungsstrichen, die muss man ja in der Stadt machen.

    Roth: Frankfurt hat ein ganz großes Selbstbewusstsein, die Stadt und die Stadtgesellschaft, und wir ziehen uns mit diesem Selbstbewusstsein auf, die ehemals Freie Reichsstadt, die wir dann 1866 nicht mehr waren, weil wir den falschen Verbündeten hatten, wir hatten uns mit Österreich verbündet und den Krieg haben die Preußen gewonnen und Frankfurt ist 1866 preußische Provinzstadt geworden. Und wir haben uns immer noch so benommen über diese ganzen 150 Jahre, als ob wir selbstständig sind. Das hat sogar seinen Niederschlag in der Verfassung zu der Förderung der Stadt Frankfurt vonseiten des Landes Hessen, bei der Gründung des Landes Hessen, geführt, dass man gesagt hat, Frankfurt kann so vieles, so selbstständig, so stark, wir wollen denen als Land nicht vorgeben, was wir ihnen bezuschussen. Zum Beispiel die Kulturpolitik ist verhältnismäßig gering seitens oder sagen wir mal: Die Finanzierung der Kulturausgaben in Frankfurt werden kaum vom Land mit unterstützt. Das ist darin zu finden, dass Frankfurt vieles besser konnte als das Land. So, und wir haben in Frankfurt immer eine bessere Finanzpolitik gemacht als das Land, wir haben Kindergartenplätze, 1992 hatten wir schon 85 Prozent Kinder, nach dem Gesetz hätten wir das gar nicht haben müssen. Die Stadt Frankfurt hat große Politiker hervorgebracht, nehmen wir mal jetzt auch Rudi Arndt ...

    Burchardt: ... ein Sozialdemokrat, ja ...

    Roth:.... der dann später Fraktionsvorsitzender im Europäischen Parlament von den Sozialisten wurde, der ... . Dann nehmen Sie den ersten frei gewählten Oberbürgermeister zum Aufbau Walter Kolb, dann Walter Wallmann, also, das war ja eine Sensation, dass 1977 ein CDU-Mann kandidierte, und - das war noch eine indirekte Wahl - die CDU dann als Partei mit 51,3 Prozent die Kommunalwahl für sich entschied, und früher hatte die SPD eine absolute Mehrheit. Das hat alles was mit dem Selbstbewusstsein der Stadt zu tun, und ein Frankfurter OB zu sein, das ist mehr als Abgeordneter des Hessischen Landtags.

    Burchardt: Ja, und vor allen Dingen Oberbürgermeisterin, um es mal deutlich zu sagen. Sie sind ja die bekannteste Oberbürgermeisterin dieser Republik.

    Roth: Ja, das ... Ich will mal sagen, dieses "in" ist mir immer gar nicht so bewusst. Ich mache so lange Politik, bin immer eine Frau gewesen oder ein weibliches Wesen und eine Frau. Später erst hat man gesagt, ich bin die erste Frau gewesen. Wie gesagt, im Sport, ich bin die erste Frau, die Kreisvorsitzende der CDU in Deutschland gewesen ist mit damals viereinhalbtausend Mitgliedern, ich bin die erste Frau gewesen, die im Landessportbund Hessen war, Präsidentin. All diese Dinge. Aber ich weiß dass 1995, als ich kandidierte, nicht die Leute eine Frau gewählt haben, sondern mich als Kandidatin. Wenn man nur eine Frau nimmt, weil man sagt, man muss jetzt mal eine Frau haben. Ich halte da nicht sehr viel von. Denn die Frauen sind selber so gut und sie setzen sich überall dort durch, wo sie gefordert werden für eine Aufgabe. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich mich für eine Quotierung von weiblichen Wesen in vielen Bereichen einsetze, weil nicht alle Frauen stark sind. Und wenn wir es gesellschaftsfähig machen, dass Frauen grundsätzlich in solchen Ämtern auch sein müssen oder in Führungsaufgaben in der Wirtschaft, dann ist es für die Kandidatur von Frauen einfacher zu sagen, ja, F eine Frau auch mal sich melden. Das Netzwerk der Männer ist so eng und so fest, die lassen anderen Frauen gar keine Chance. Und deshalb ist die Quotierung von Frauen in der Politik richtig, die Quotierung auch im Wirtschaftsbereich. Aber in der Spitze nachher zu sagen, ich muss jetzt hier, ich habe drei Vorstände und der eine muss weiblich sein, das schadet auch dem Unternehmen. Aber wir haben ja gute Frauen in Hülle und Fülle! Und wenn Sie in mein Büro schauen, oder mein Büro war mit 60 Prozent Frauen besetzt.

    Burchardt: Im Rückblick betrachtet noch mal zum Thema Wiesbaden, Frankfurt, Selbstbewusstsein der Stadt: Auf der anderen Seite hat die Stadt in Anführungsstrichen ja auch ein bisschen gelitten teilweise unter landespolitischen, aber auch bundespolitischen Entscheidungen, sagen wir mal Flughafenausbau, was da so alles unterwegs war. Da haben Sie ja oftmals die Probleme gewissermaßen per Landes- oder Bundespolitik vor die Tür geworfen! Würde möglicherweise aus Ihrer Sicht es sinnvoller gewesen sein, den Regierungssitz auch in Frankfurt zu haben. Hier sollte ursprünglich der Deutsche Bundestag etabliert werden!

    Roth: Also, es ist immer für jede Stadt von Vorteil, wenn sie Landeshauptstadt ist. Und es gibt auch in den Länderverfassungen der anderen 16 Bundesländer ganz besondere Zuweisungen für die Landeshauptstädte. Frankfurt ist aber häufig, wenn es um Spitzennominierungen ging, es nicht geworden, auch wenn es um den Bischofssitz geht, der ist nach Limburg, Mainz und Fulda. An sich hätte Frankfurt einen Bischofssitz verdient, aber da waren schon die Streitereien zu groß, man wollte nicht die Stadt noch mächtiger machen. Und daraus haben die Bürger, die in dieser Stadt, die Zünfte früher oder die Entwicklung der Bürgergesellschaft dann eine besondere Nähe untereinander entwickelt, stark zu sein. Und in der Amtskette des Frankfurter Oberbürgermeisters oder -in steht auch drin: stark im Recht. Und sich sollte man darauf immer beziehen.

    Der damalige Oberbürgermeister Kolb hatte schon hier im Hessischen Rundfunk eine Glückwunschrede formuliert und die ist auch auf Tonträgern zu hören, wenn man sie einbestellt, und freut sich, dass Frankfurt die Bundeshauptstadt geworden ist. Aber wir wissen alle, dass das ja mit einer Stimme Mehrheit dann Bonn geworden ist. Ach, wissen Sie, heute, wo wir in einem Europa leben, in dem es Metropolregionen gibt, in dem die Globalisierung wie in keinem anderen Kontinent so stark spürbar ist, da ist es großartig, eine Stadt wie Frankfurt führen zu können. Hamburg ist der Hafen der Welt über die Meere, Frankfurt ist über den Flughafen mit allen Kontinenten der Industrie und den Arbeitsmärkten verbunden. Das ist auch die Ressource, aus der sich diese Region entwickelt.

    Burchardt: Und das Bankenwesen nicht zu vergessen.

    Roth: Das Bankenwesen, aber der Flughafen, der Ausbau - wir sind der drittgrößte Flughafen in Europa - musste sein, wenn man die Infrastruktur berücksichtigt, die wir brauchen zum Produktionsprozess der Bundesrepublik. Also nicht nur Arbeitsplätze, sondern das Produkt, was die Arbeitnehmer entwickeln und schaffen, muss ja irgendwo entwickelt werden und dann exportiert werden. Das geht heute eben hauptsächlich über die Fracht und über den Luftverkehr. Wir haben ja nicht nur den Flughafen, wir haben den größten Hauptbahnhof, die Anbindung an den Flughafen wieder mit S-Bahn, wir sind einer der größten Binnenhäfen, wir haben den Rhein-Main-Donau-Kanal. Also, hier ist wirklich eine starke Verdichtung von Infrastrukturen, über die die Distribution von Warengütern und damit die Produktionsstätte von Fabrik oder Arbeitsplatz generiert möglich ist. Da muss die Politik sich auch zukunftsweisend einsetzen. Das heißt, Sie müssen über Bauleitplanung, Sie müssen über Wohnungsbau, Sie müssen über Umweltzonen sich engagieren und sagen, Lebensqualität, in der heutigen Zeit, wo Emissionen zusätzlich kommen durch Abgase aus der Luft von Kerosin oder vom Auto von unten, müssen wir die Lebensqualität erhalten, wir müssen das als eine Chance sehen, die Innovation, die durch neue Produkte möglich ist, hier am Standort zu entwickeln und dann einzusetzen.

    Burchardt: Das ist eine fulminante Rede einer Ex-Präsidentin des Deutschen Städtetages.

    Roth: Ja, der Deutsche Städtetag ist ja einer der drei kommunalen Spitzenverbände und er ist, sagen wir mal, der bedeutendste, weil er die großen Städte in sich hat, große Städte. Und die Probleme sind in allen großen Städten, die gleichen. Egal ob ein Sozialdemokrat, ein Christdemokrat die Stadt regiert oder der Gemeinderat mehrheitlich rot-grün ist: Wir sind uns alle einig, dass wir leider - wir, die Oberbürgermeister - kein Verständnis für unsere Probleme im Deutschen Bundestag haben. Dort sitzen die Abgeordneten mit einem Mandat aus unseren Städten und machen große Politik, wie die selber sagen, statt dass sie mal die Interessen und die Sorgen, die die Kommunen haben in der Gesetzgebung, in der globalisierten Welt, in dieser Welt heute von Integration und von Energiewende, dass da Gesetze mal pro Kommune geändert werden müssten. Das ist nicht der Fall und deshalb ist der Deutsche Städtetag ein ernst zu nehmendes Gremium. Und wir haben uns Gehör verschafft beim Deutschen Bundestag und beim Bundesrat und bei der Bundesregierung, egal ob das sozialdemokratisch oder christdemokratisch ist. Und das, der Bundeskanzler, jetzt eben die Bundeskanzlerin hat ein offenes Ohr für unser Anliegen. Denn man muss die Zahlen wissen: 70 Prozent der Investitionen in der Bundesrepublik kommen aus den Kommunen. Also, das ist nicht der Privatmann, sondern das sind die Institutionen, sind die öffentlich-rechtlichen Institutionen, 70 Prozent. Heute sind nahezu 80 Prozent aller Europa-Entscheidungen kommunalpolitische Entscheidungen. Wenn Sie die Umweltzonen nehmen, wenn Sie die Lärmemissionen nehmen, das sind alles Dinge ... oder Wettbewerbsrecht, Sparkassengesetz, die sind alle heute in Brüssel anhängig. Wo werden sie aber umgesetzt und gelebt: in den Kommunen! Und dann müssen sich die anderen Gesetze da verändernd einpassen!

    Burchardt: Sind denn nach Ihrer Meinung die Kommunen unterprivilegiert, insbesondere was die finanzielle Ausstattung angeht? Denn das Schlagwort von der Finanznot der Kommunen ist ja nun sehr gängig und zwar schon seit Jahren, dasselbe gilt ja eigentlich auch zu der Thematik kommunaler Finanzausgleich, wo Bayern jetzt, nachdem es Geberland geworden ist, auch klagt. Da ist ja nun auch durchaus Ambivalenz unterwegs.

    Roth: Ist völlig richtig, was Sie sagen. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Länderverfassungen gehen von einem freien, gleichen, sozialen Rechtsstaat aus, und das eben vor 60, 65 Jahren verfassungsmäßig beschlossen. Bedeutet, dass Sie in Ostfriesland oder im Bayerischen Wald annähernd die gleichen, oder in den neuen Bundesländern, annähernd die gleichen Lebensgrundlagen geben müssen ...

    Burchardt: ... steht übrigens in den Römischen Verträgen der Europäischen Union ...

    Roth: ... so, müssen! Das heißt aber, nur der, der viel verdient, kann im Grunde genommen das bezahlen, was in der Infrastrukturödnis in gewissen Teilen der Bundesrepublik gefordert wird, weil da auch Menschen leben. Und so ist der kommunale Finanzausgleich innerhalb der Länder zu sehen, so ist der Länderfinanzausgleich in der Bundesrepublik zu sehen, und so wird demnächst die Fiskalunion diskutiert werden müssen. Da will ich weiter gar nicht sehr viel zu sagen, weil das eine ganz schwierige Frage der Solidarität und der Subsidiarität ist für Politiker. Wenn ich mich solidarisch erkläre mit den anderen Lebensformen in Europa, dann muss ich subsidiär eine Lösung finden: Bleibe ich weiter ein europäischer Nationalist, dann bin ich auch nicht bereit, sehr viel Geld woanders in andere Gebiete ... Da aber die Exportwirtschaft so abhängig ist in der Bundesrepublik von den Nehmerländern, die das kaufen, was wir produzieren, ein ganz komplexes Thema! Und wie Herr Schäuble ja auch sagte: ein großes Zukunftsthema. Muss man vorangehen und das ist ganz, ganz schwierig und bedarf einer intensiven Debatte und man muss sich da Zeit nehmen und man muss auch die demokratischen Grundrechte, die in der Verfassung nicht nur für den Menschen, sondern auch für Gebiete fixiert sind, berücksichtigen.


    Burchardt: Vorletzte Frage, vielleicht für Sie nicht ganz so angenehm, aber mich interessiert einfach Ihre persönliche Beurteilung: Frankfurt, die Bankenstadt und ein großes Verdienst auch Ihrer Arbeit auch, was hier jetzt alles etabliert ist. Da ist die Deutsche Bank, die Bundesbank, die Europäische Zentralbank. Ich muss nicht viel sagen, in welchem Ruf im Augenblick die Banken stehen. Leidet darunter auch nach Ihrer Meinung das Image einer solchen Stadt?

    Roth: Also, das, was Sie ansprechen, ist ja die ethisch-moralische Frage: Was dürfen Führungskräfte und was sollen Führungskräfte verantworten ...

    Burchardt: ... und was tun sie an der Politik vorbei ...

    Roth: ... was tun sie vorbei ... Also, kein Schritt abseits vom Wege ist meine Auffassung auch hier. Und was wir hier erfahren durch Lesen von Fachzeitungen, aber auch eben der Börsenkurs spiegelt das ja wider, dass das Vertrauen in diese Banken wegbricht sozusagen, weil man in Bereichen sich hier bewegt, die im Grunde genommen contra legem sind.

    Burchardt: Ist das Demokratie gefährdend?

    Roth: Das hat was mit der ersten Frage zu tun: Warum wählen die Menschen nicht mehr? Weil sie das Gefühl haben, sie haben keinen Einfluss! Ich vertrete die Meinung, wir sollten auch den Fachbereich Wirtschaft in den Grundschulkanon mit aufnehmen, damit wir überhaupt verstehen, was diese Banken da machen. Die haben ja Jahrzehnte völlig allein, aber müssen wir auch selbst schuld sagen, ohne unser Interesse Bank- und Geldgeschäfte gemacht. Und in den letzten zehn Jahren hat sich sehr, sehr viel im Bankensektor aus der Globalisierung heraus verändert. Das Image einer Stadt dürfte ein Fehlverhalten von gewissen Industriesegmenten nicht zur Folge haben. Da liegt es daran, dass der Oberbürgermeister, der die Stadt vertritt, offiziell auch nach innen und nach außen deutlich macht, dass er sich auf dem Weg des Grundgesetzes bewegt, auf der Kommunalverfassung, und dass er keine Skandale hat. Nehmen wir mal - auch so etwas gab es ja in der Bundesrepublik -, dass die Kämmerer spekulieren. Das ist gar nicht erlaubt, ja. Wenn man aber verführt wird, wenn Bankinstitute da Besuche machen und sagen, ich lege dir dein Geld so oder so an ... Erlaubt ist das nicht!

    Burchardt: Haben Sie so was verhindert oder verhindern müssen?

    Roth: Nein, in Frankfurt findet das nicht statt! Sondern wir haben einen ordentlichen Haushalt und Frankfurt ist mit München zusammen die Stadt mit der höchsten Gewerbesteuereinnahme. Wir haben natürlich auch immense Ausgaben in der Finanzierung der Infrastruktur, die solche Ballungsräume brauchen, damit überhaupt weiter Menschen kommen, arbeiten, aber auch wohnen können. Den Ruf einer Stadt prägt natürlich in ganz außerordentlichem Maße auch das Stadtoberhaupt, das ist noch das Schöne. Und Sie können für Ihre Stadt etwas tun, indem Sie sich so darstellen, dass sich die Bürger in der Person und damit ein wenig stolz auf ihre Stadt sind.

    Burchardt: Zum Abschluss eine Frage, die Sie wahrscheinlich auch ambivalent beurteilen: Als Christian Wulff zurücktrat, gab es mehrere Kandidaten und Kandidatinnen für das Bundespräsidialamt und ganz vorn wurde Ihr Name genannt. Erstens: Sind Sie gefragt worden? Zweitens: Wie haben Sie reagiert? Und drittens: Warum sind Sie es nicht geworden?

    Roth: Es ist eine große Ehre, muss ich schon sagen, genannt zu werden. Das ist mir vor einigen Jahren schon passiert. Aber in diesem Fall bin ich auch von Bundesländern und Repräsentanten, die das mit zu entscheiden haben, gefragt worden, ob ich Ja sage, wenn sie mich vorschlagen. Und dass ich es nicht geworden, das ist darin ja zu sehen, dass schon am Mittag um 14:30 Uhr die Entscheidung auf den Vorschlag der FDP für Herrn Gauck gefallen ist.

    Burchardt: ... als Sie gefragt wurden, haben Sie Ja gesagt, ich würde es machen?

    Roth: Ja, ich hätte es gemacht. Aber das muss ich schon sagen: Es ist eine ganz, ganz große Auszeichnung, wenn man hier genannt wird. Und es sind ja auch Gremien gewesen, die mich gefragt haben, die eine Entscheidung beeinflussen konnten, und ich freue mich wirklich sehr, dass Herr Gauck, den ich sehr gut kenne, der häufig in Frankfurt war, dieses Amt jetzt ausübt. Und man ist stolz als Bundesrepublik Deutschland, einen solchen Präsidenten zu haben!

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