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Ruinen
Ausdruck einer rückwärtsgewandten Sehnsucht

Bilder von kriegszerstörten Städten oder geschleiften Weltkulturerbe zeigen Ruinen, die beklommen machen. Zerfallene Burgen oder Kirchen gehören in eine andere Kategorie, die der Ruinenromantik. Das römische Nationalmuseum für antike Kunst widmet sich dem Thema nun mit einer Ausstellung.

Von Thomas Migge |
    Der von der IS-Miliz zerstörte Baal-Tempel in der syrischen Ruinenstadt Palmyra im Juli 2014.
    Die Ruinen haben für die Kämpfer des IS eine besondere Bedeutung. Sie rezipieren sie als bedeutungsgeladen, und deshalb wollen sie sie zerstören (picture alliance / Kyodo / Maxppp)
    Die Farbfotografie zeigt eine Landschaft. Oder genauer: Was davon übrig geblieben ist. Eine Ebene, übersät mit Bohrtürmen. Zwischen den Türmen sammelt sich Rohöl in schwarzen Pfützen. Der zeitgenössische kanadische Fotograf Edward Burtynsky präsentiert mit seinem Sujet, einem Erdölfeld in Aserbaidschan, eine ruinierte Landschaft. Ruinierte Stadtlandschaften sind auf historischen Aufnahmen aus den 1920er Jahren zu sehen: Diktator Mussolini ließ ein ganzes Stadtviertel im Herzen Roms abreißen, auch historische Paläste und Kirchen, um eine Prachtstraße zu errichten. Dass Ruinen, dass ruinierte Bauwerke auch schön sein können, beweist ein Gemälde des Italieners Piranesi aus dem 18. Jahrhundert. Es zeigt die mit Büschen bewachsenen und fast schon romantischen Reste eines antiken Tempels.
    Schön und hässlich, romantisch und erschreckend
    Ruinen gestern und heute, von der römischen Antike bis nach Palmyra, Ruinen gewollt und ungewollt, schön und hässlich, romantisch und erschreckend. Das ist das Thema einer spannenden Ausstellung im römischen Palazzo Altemps. Kurator der Ruinenschau im Renaissancepalast ist der in Rom lehrende Archäologe Marcello Barbanera:
    "Das Ruinensujet ist ein universales und die Zeiten übergreifendes Thema, denn Ruinen sind auch Metaphern des Lebens. Mir geht es, darum zu verdeutlichen, dass Ruinen unter uns und in uns sind. Zerstörungen sind Teil unseres Lebens, so sehr wir auch versuchen, diesen Aspekt unserer Existenz zu verdrängen."
    Mit historischen und zeitgenössischen Fotografien, von Luigi Ghirri und Martin Parr, mit Gemälden von Piranesi, Hubert Robert und Guttuso, mit Texten und Filmausschnitten, mit Titelbildern von Zeitschriften, wie dem berühmt gewordenen Titel des "New Yorker", der auf schwarzem Untergrund die noch schwärzeren Silhouetten der Twin Towers zeigt, präsentiert Kurator Barbanera die Vielseitigkeit der Rezeption des Sujets Ruine. Er zeigt auch Fotografien aus Syrien, wo die Anhänger der Terrororganisation IS antike Stätten dem Erdboden gleich machen:
    "Bei diesen Zerstörungen will man die Erinnerung vernichten, das historische Erinnern an etwas. Diese Ruinen haben für die Kämpfer des IS eine besondere Bedeutung. Sie rezipieren sie als bedeutungsgeladen, und deshalb wollen sie sie zerstören. Bedeutungsgeladen waren auch die künstlichen Ruinen, die im 18. Jahrhundert auf Gemälden dargestellt oder in Schlossparks errichtet wurden."
    Grandiose Reste einer vergangenen Kultur
    Kunstruinen, die an die Vergänglichkeit der menschlichen Existenz erinnern sollten. Ästhetisierte Mementi mori in präromantischem Kontext, die dann im 19. Jahrhundert Ausdruck einer rückwärtsgewandten Sehnsucht nach den vorindustriellen Zeiten und Idealen wurden.
    Spannend ist die Gegenüberstellung der heterogenen Ausstellungsobjekte mit den Skulpturen, die im Palazzo Altemps permanent gezeigt werden. Es handelt sich um Meisterwerke der Sammlung Ludovisi: Antike Skulpturen, die nackte Götter und Göttinnen, mythologische Helden und Herrscher darstellen – ausgegraben während der Renaissance: in römischen Ruinen. Einige dieser Skulpturen, die sich dem heutigen Auge in physischer Integrität zeigen, waren einst selbst Ruinen –und so sind auch sie integraler Bestandteil von Barbaneras Ruinenausstellung:
    "Diese Kunstwerke wurden oftmals ohne einen Arm oder ein Bein gefunden und später komplettiert. Das Fragment als eigenständiges künstlerisches Sujet taucht erst im 19. Jahrhundert auf, in Anlehnung an antike Vorbilder. Wegbereiter für solche fragmentarischen Kunstwerke war Rodin, von dem wir hier einen kleinen Torso zeigen."
    Die Stadt Rom ist für Ausstellungskurator Marcello Barbanera der einzige Ort auf der Welt, an dem Ruinen, grandiose Reste einer vergangenen Kultur, fester Bestandteil einer modernen Metropole sind. Ein alltägliches Memento Mori, das den Menschen deutlich macht, dass alles zerfallen, zur Ruine werden kann. Und so fehlt in der Ruinenschau auch nicht der Bezug zu Rombesucher Sigmund Freud. Zitiert wird aus Freuds Schriften, in denen er einen Zusammenhang zwischen der Arbeit des Archäologen und des Psychoanalytikers herstellt: beide graben in den Ruinen einer Vergangenheit.