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Rumänien vor der Parlamentswahl
Im Schatten von Korruption und Vetternwirtschaft

Am Sonntag wählt Rumänien ein neues Parlament. Nur noch eine kleine Stammwählerschaft hält ihre Parteien und ihre Versprechungen für vertrauenswürdig - der große Rest sind Nichtwähler. Für die größte Überraschung könnte wohl eine Newcomer-Partei aus jungen Leuten sorgen. Doch denen fehlt die politische Erfahrung.

Von Annett Müller | 10.12.2016
    Die PNL hatte Ende Oktober auf Großplakaten und Werbebanner in Bukarest mit dem Bild von Premier Dacian Ciolos geworben. Auf dem Werbematerial steht: Für ein ehrliches und kompetentes Regieren.
    Die PNL hatte Ende Oktober auf Großplakaten und Werbebanner in Bukarest mit dem Bild von Premier Dacian Ciolos geworben. (Annett Müller)
    Im blauen Zwirn, mit violetter Krawatte und spitzen Anzugsschuhen steht Lucian Trufin auf der Bühne. Er könnte in diesem Outfit vor Firmenmanagern auftreten, doch der Saal ist voll mit Landwirten, die frisch aus dem Stall kommen. Die meisten Männer im Saal kennt er persönlich, denn seit einem Jahrzehnt ist Trufin Bürgermeister in der 3.000-Seelen-Gemeinde Vlasinesti. Morgen will der 40-Jährige zum Parlamentarier gewählt werden. Das Land will er nicht verändern, aber seine Region:
    "Jetzt bin ich Bürgermeister, aber wenn ich es schaffe, mit den Stimmen im Kreis und mit Hilfe Ihrer Stimme ins Parlament einzuziehen, dann weiß ich, was ich zu tun habe. Ich werde mit einem Koffer nach Bukarest reisen, der voller Projekte der hiesigen Bürgermeister ist."
    Rund 6.500 Kandidaten treten landesweit bei der Wahl für das Zwei-Kammern-Parlament an. Auf ein Mandat kommen immerhin 14 Bewerber. Trufin hat dennoch gute Chancen, ins Parlament zu ziehen. Er gehört zur sozialdemokratischen PSD, die in den Umfragen als Wahlsieger gehandelt wird.
    Nordosten Rumäniens gehört zu den ärmsten Regionen
    Aus dem 500 Kilometer entfernten Bukarest ist sogar ein Staatssekretär aus dem Landwirtschaftsministerium angereist - ein Parteifreund von Trufin. Beide verwandeln in ihren Wahlkampfreden die rund 100 Bauern im Saal zu wohlhabenden Landwirten - zumindest in der Theorie. Einer der Bauern zeigt sich skeptisch:
    "Als die PSD an der Macht war, hat man uns diese Dinge schon einmal verkündet. Jetzt hören wir wieder dasselbe. Die Frage ist, wann wird all das in Erfüllung gehen?"
    Trufins ländliche Gemeinde Vlasinesti im Nordosten Rumäniens gehört seit Jahren zu den ärmsten Regionen der EU. Die Mehrheit der Bevölkerung muss hier mit rund 150 Euro und weniger im Monat auskommen. Viele sind ausgewandert. Wer bleibt, beackert ein Stück Land, um sich das Überleben zu sichern.
    Über Einnahmen verfügen die ländlichen Ortschaften so gut wie nicht. Es sei denn, sie haben einen guten Draht nach Bukarest. Dort entscheidet die Regierung jährlich über millionenschwere Fördermittel.
    "Reine Klientelpolitik"
    Das Geld müsste eigentlich ausgewogen aufs Land verteilt werden; in den meisten Fällen fließt es jedoch in die Gemeinden der eigenen Parteifreunde - besonders, wenn eine Wahl vor der Tür steht. "Reine Klientelpolitik" nennt das die Bukarester Nichtregierungsorganisation Expert Forum in ihrer Studie, an der der Politologe Septimius Parvu mitgearbeitet hat:
    "Wir haben das Jahr 2008 untersucht und festgestellt, dass die Bürgermeister der Regierungspartei dreimal mehr Zuschüsse bekommen haben, als die der Opposition. Nach dem Regierungswechsel 2012 gab es doppelt so viel Geld. Ganz gleich also, welche Partei regiert, sie agieren alle auf dieselbe Weise. Nur die Summen unterscheiden sich, mit denen sie ihre Bürgermeister bei Laune halten."
    Der Politikexperte Septimius Parvu von der Bukarester Nichtregierungsorganisation „Expert Forum“ in seinem Büro.
    Der Politikexperte Septimius Parvu von der Bukarester Nichtregierungsorganisation „Expert Forum“ in seinem Büro. (Annett Müller)
    Zuletzt saß die PSD im Regionalentwicklungsministerium an den Schalthebeln der Macht und konnte somit ihre Bürgermeister versorgen. Gemeindechef Trufin bekam für seinen Ort allein rund eine halbe Million Euro an Fördermitteln. Strukturschwach ist seine Gemeinde immer noch, doch mit dem Geld konnte er immerhin den Kindergarten und die Schule renovieren und die Hauptstraße asphaltieren lassen.
    Mit den Ergebnissen kann Trufin auf Stimmenfang gehen. Denn wer Zuschüsse aus Bukarest bekommt, muss im Gegenzug dafür sorgen, dass sein Parteiapparat die Wahl gewinnt. Da die PSD gerade die meisten Bürgermeister im Land stellt, halten Politikexperten ihren Wahlsieg für sehr wahrscheinlich. Darüber reden will Trufin nicht. Einen Interviewtermin lässt er ausfallen. Die Bürger in Vlasinesti aber wissen: Wenn Trufins Partei wieder die Regierung stellen wird, bewegt sich auch etwas in ihrer Gemeinde.
    Vom Koalitionspartner zum Gegner
    Ein ernst zu nehmender Kontrahent für die PSD bei dieser Wahl ist die nationalliberale PNL. 2012 waren beide Parteien noch Koalitionspartner, jetzt sind sie erbitterte Gegner. In den Umfragen liegt die PNL auf Platz zwei. Um ihre Chancen zu verbessern, setzt sie im Wahlkampf auf den parteilosen Premier Dacian Ciolos, der mit seiner Technokratenregierung das Land zuletzt aus einer schweren politischen Krise führen sollte.
    Im November vorigen Jahres hatte ein Brand in einem Bukarester Musikclub, in dessen Folge 64 Menschen starben, landesweit zu tagelangen Protesten geführt. Zehntausende Rumänen gingen gegen schlampig und arrogant agierende Behörden, aber auch gegen ihr marodes Gesundheitssystem auf die Straße. Die Missstände sind seit Jahren bekannt, die Tragödie aber brachte das Fass zum Überlaufen.
    Unter dem Druck der Protestierenden trat die damalige sozialdemokratische Regierung von Premier Victor Ponta zurück. Im Anschluss war in Pontas PSD, ebenso in der PNL, viel von Reformen die Rede und von einem Neuanfang für die politischen Parteien.
    "Die Parteien haben es nicht geschafft, sich zu erneuern", meint jedoch der Bukarester Politikjournalist Ion Ionita.
    "Ihre Strukturen sind verknöchert. Den Parteien fehlt es weiter an Transparenz. Man macht dort keine Karriere über Verdienste, sondern über obskure Wege. Die Parteien sind wie ein Tümpel, wo mal der eine, mal der andere aufsteigt."
    Die beiden größten Parteien im Land - PSD und PNL - führten vor einem Jahr einen Ethikcode ein. Er sieht vor, dass ihre Mitglieder keine politischen Funktionen mehr ausüben sollen, wenn gegen sie wegen Korruption ermittelt wird. Ein richtiger Schritt, denn viele in der politischen Elite in Rumänien sind in den vergangenen Jahren durch Amtsmissbrauch, illegale Privatisierungen oder halbseidene Geschäfte reich und mächtig geworden.
    Ethikcode gilt nicht für alle
    So schön sich der Ethikcode auch liest, in der sozialdemokratischen PSD gilt er nicht für alle, vor allem nicht für die Parteispitze: Der wegen Wahlbetrugs verurteilte Liviu Dragnea ist weiterhin Parteichef. Auch Ex-Premier Victor Ponta, gegen den ein Korruptionsprozess läuft, bleibt im Rennen. Beide kandidieren fürs Parlament. Ob einer von beiden - im Falle eines Wahlsieges - auch Premier werden will, darüber schweigt sich die PSD derzeit aus.
    Die nationalliberale PNL hat ähnliche Problemfälle. Auch hier ermittelt die Antikorruptionsbehörde gegen Führungskräfte, die immerhin aus Anstand nicht mehr kandidieren. Auch deshalb geht die PNL mit Premier Dacian Ciolos als Spitzenkandidat ins Rennen, wenngleich der weder Parteimitglied ist, noch bei der Wahl für einen Parlamentssitz antritt.
    Ciolos ist bislang immun geblieben gegen die geschwätzige Selbstgefälligkeit des rumänischen Politikbetriebes. Auf einer Wahlkampfveranstaltung redet der 47-jährige Premier der PNL ins Gewissen, als sei er ihr Politikberater und nicht ihr Spitzenkandidat:
    "Wir brauchen Ehrlichkeit von der Basis bis zur Parteispitze. Wir sollten in die Politik gehen, nicht um persönlichen Interessen oder Interessengruppen zu dienen, sondern um den Bürgern zu dienen. Mit solchen Parteien würde ich gern zusammenarbeiten."
    Ciolos kommt bei den Wählern an
    Deutliche Worte, mit denen sich Ciolos parteiübergreifend viele Kritiker schafft, bei den Wählern kommt er hingegen gut an.
    "Bei uns sind ehrliche Politiker eine Seltenheit. Jetzt haben wir endlich mal einen gefunden und deswegen klammern wir uns förmlich an ihn", sagt eine 50-jährige Bukaresterin. Sie hält wie viele Ciolos für arbeitsam, bescheiden und korrekt - für all das, was die Rumänen für gewöhnlich nicht mit ihren Politikern verbinden. Ein 60-Jähriger pflichtet ihr bei:
    "Ciolos hat Erfahrungen in Westeuropa gesammelt, er hat mehr drauf als all die einheimischen Politoffiziere die immer wieder gewählt werden von einer Bevölkerung, die nun mal so ist, wie es ist. Ciolos hingegen ist ein Profi."
    Premier Dacian Ciolos (links) auf einer Wahlkampfveranstaltung Anfang November bei der Newcomer-Partei „Union Rettet Rumänien“ (USR). Rechts neben ihn USR-Parteichef Nicusor Dan - ein Bukarester Bürgeraktivist.
    Premier Dacian Ciolos (links) auf einer Wahlkampfveranstaltung Anfang November bei der Newcomer-Partei „Union Rettet Rumänien“ (USR). (Annett Müller)
    Gelungen sind der Ciolos-Regierung jedoch nur kleine Veränderungen. In ihrer einjährigen Amtszeit brachte sie Transparenz in die Ausgaben öffentlicher Institutionen, die zuvor geheim gehalten wurden, um Klientelpolitik zu vertuschen. Große Reformen - ob in der Verwaltung oder im Gesundheitssystem - scheiterten am Widerstand der Parlamentsparteien und an der Unerfahrenheit der zwar fachlich versierten, aber politisch unbedarften Minister.
    Trotz seiner mäßigen Regierungsergebnisse gehört Ciolos in Umfragen zum beliebtesten Politiker des Landes. In den vergangenen Jahren lebte er in Brüssel. Zunächst war er EU-Agrarkommissar, zuletzt Berater von EU-Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker. Voriges Jahr kehrte er als Premier in sein Heimatland zurück.
    PSD stellt Ciolos als "Nicht-Mehr-Rumänen" dar
    Der politische Gegner - die PSD - stellt Ciolos wegen seiner Brüsseler Erfahrung gern als Nicht-Mehr-Rumänen dar. Mehrere quotenstarke und PSD-nahe Fernsehsender helfen emsig beim Diskreditieren. In Rumänien, wo weite Teile der Gesellschaft für nationalistische Parolen empfänglich sind, zeigt das Wirkung, meint der Politikberater Radu Magdin:
    "Das ist ein ganz simples Narrativ, auf dass die PSD setzt. Sie sagen, Ciolos und seine Regierung sind keine von uns, sie kommen aus Brüssel. Seht mal diese Fremden, sind über das arme Rumänien gekommen, damit unser Geld in die fremden, multinationalen Firmen fließt. Ein Teil der Rumänen glaubt das sogar und sie werden deshalb zur Wahlurne gehen."
    Auf einen ungewöhnlichen Kandidaten setzte die nationalliberale PNL schon bei der Präsidentschaftswahl: Der rumäniendeutsche Bürgermeister Klaus Johannis wurde vor zwei Jahren überraschend zum Staatschef gewählt, obwohl seinem PSD-Kontrahenten - dem damaligen Premier Victor Ponta - der Wahlsieg als sicher galt. Dessen schmähliche Niederlage ärgert seine Partei noch heute. Grobe Organisationspannen der Sozialdemokraten mobilisierten damals Millionen Menschen, die in Rumänien für gewöhnlich gar nicht mehr wählen gehen.
    Eine Wahl der Stammwähler?
    Dass die PNL mit ihrem Spitzenkandidaten Ciolos morgen wieder eine solch rege Wahlbeteiligung auslösen kann, gilt als so gut wie ausgeschlossen. Soziologen erwarten vielmehr, dass die Stammwählerschaft der PSD zur Wahlurne gehen wird: Staatsdiener, Rentner und die ländlichen Bevölkerungsschichten, die mit ihren Einkünften stark vom Staat abhängen und aus alter Tradition für die postkommunistische Partei stimmen.
    Genau diese Wähler lasten der PNL ein Sparprogramm an, das in der Finanzkrise 2010 aufgelegt worden war, um die Zahlungsunfähigkeit des Landes abzuwenden. Renten, Beamtengehälter und Sozialleistungen wurden drastisch gekürzt, Steuererhöhungen verteuerten die Preise für Lebensmittel. Es seien damals die härtesten Sparmaßnahmen in der EU gewesen, sagt Journalist Ion Ionita:
    "Die Maßnahmen waren so schmerzhaft, dass sie bis heute für einen Teil der Bevölkerung ein Trauma sind. Was wäre mit einem Beamten in Deutschland passiert, dem man bis zu 30 Prozent seines Gehalts kürzt? Das hätte in Deutschland enorme Proteste ausgelöst. Bei uns hat man dagegen nur schwer daran geschluckt."
    Die Früchte aus dem harten Sparprogramm kann die PSD nun ernten, die es politisch nicht mit durchgesetzt hat. Das ersehnte Wirtschaftswachstum ist zurück. Mit rund fünf Prozent ist es in diesem Jahr sogar das höchste in der EU.
    Millionen Menschen kämpfen ums wirtschaftliche Überleben
    Am Grundproblem Rumäniens aber hat sich nichts geändert. Das Land hat eine der höchsten Armutsquoten in der EU. Rund 40 Prozent der Bevölkerung leben an oder unter der Armutsgrenze, die in Rumänien bei rund 115 Euro pro Monat liegt. Zukunftsprojekte, die mehr soziale Gerechtigkeit versprechen, hat sich keine der Parteien als Hauptziel auf die Fahnen geschrieben, auch die sozialdemokratische PSD nicht, die gerade in den verarmten Schichten so viele Anhänger hat. Politikberater Radu Magdin verwundert die Untätigkeit der PSD nicht:
    "Es wäre gut, wenn die PSD als linksgerichtete Partei sagen würde, dass Armut nichts Selbstverschuldetes ist. Doch es hat der PSD immer an Mut gefehlt, sich mit einer Ideologie zu identifizieren. Vielleicht weil viele ihrer Anführer reich und Linke von Champagner und Kaviar sind. Das Einzige was sie tun, ist periodisch die Renten und Gehälter zu erhöhen."
    Millionen Menschen kämpfen täglich ums wirtschaftliche Überleben - auf sehr individuelle Weise, weil politische Konzepte fehlen. Die Schattenwirtschaft blüht, die Auswanderung ist in vollem Gange, ein Teil der Rumänen hat sich hoch verschuldet. Konjunktur hat in diesen Zeiten aber auch die Nachbarschaftshilfe. Einer Gruppe von Rentnern in Bukarest kommt das jeden Samstag zugute.
    Viorica Schipor stellt sich an ihrem freien Tag in die Küche - mit zehn anderen jungen Leuten. Heute gibt es Pasta mit Schweinefleisch. Die rund 80 Portionen sind eine warme Mahlzeit für bedürftige Rentner. Die 28-jährige Schipor, die die Woche über in Bukarest als Social Media Managerin arbeitet, reibt sich beim Zwiebelschneiden die Augen:
    "Wir heilen hier nicht die Hungersnot, sondern den Hunger."
    Die ehrenamtlichen Hobby-Köche hantieren in der Großküche einer städtischen Sozialkantine. Das Bürgermeisteramt finanziert einmal pro Woche eine warme Mahlzeit für Bedürftige, das zweite Essen spenden Menschen wie Viorica Schipor, die in ihren Jobs gut verdienen, aber auch Gutes tun wollen:
    "Wir glauben, dass Eigeninitiative sehr wichtig ist. Warum sollten wir warten, dass es andere machen oder der Staat. Jeder kann sich mit etwas Kleinem beteiligen, damit schöne Dinge passieren."
    Jeden Samstag kochen junge ehrenamtliche Hobby-Köche in Bukarest eine warme Mahlzeit für bedürftige Rentner.
    Jeden Samstag kochen junge ehrenamtliche Hobby-Köche in Bukarest eine warme Mahlzeit für bedürftige Rentner. (Annett Müller)
    Politikverdrossenheit nimmt zu
    Die bedürftigen Rentner sind eine halbe Stunde früher da, um keinesfalls die Essenausgabe zu verpassen. Seit einem Vierteljahrhundert versprechen ihnen die wechselnden Regierungen, dass es demnächst mit dem Lebensniveau spürbar aufwärts gehe. Die Hoffnung daran haben sie aufgegeben:
    "Wissen Sie, ich vertraue nur noch dem Herrgott. Der Herrgott ist meine Partei. Er hält mich gesund, damit ich die Kraft habe, all die Probleme zu meistern."
    Glaubt man Umfragen, ist das Parlament die Institution im Land, in die die Rumänen das geringste Vertrauen haben. Nur zehn Prozent sind mit der Arbeit der Parlamentarier zufrieden, die Mehrheit beschreibt ihre Volksvertreter als korrupt, als faul, als geldgierig. Das mag pauschal klingen, ist aber nicht grundlos. Gegen knapp zehn Prozent aller Parlamentarier wurde in dieser Legislaturperiode wegen Korruption ermittelt.
    Vor allem aber das tatenlose Regieren, hat die Mehrheit der Rumänen zutiefst politikverdrossen und dickfellig gemacht. Vor vier Jahren gingen nur 42 Prozent der Wahlberechtigten zur Abstimmung. Den etablierten Parteien komme diese Gleichgültigkeit jedoch sehr gelegen, meint der Sozialanthropologe Florin Poenaru:
    "Selbst die Parteien reden davon, dass die Politik ein Elend sei, an dem man sich am besten nicht beteiligt. Das ist ein zynischer Diskurs, um ein allgemeines Desinteresse zu schaffen. Stellen Sie sich vor, wenn die über 50 Prozent Nichtwähler mobilisiert würden. Das würde die gesamte Wahl neu aufmischen und es wäre völlig unklar, wer gewinnen würde."
    Der Bukarester Sozialanthropologe Florin Poenaru meint: Die Parteien wollen die Wähler lieber demobilisieren statt mobilisieren.
    Der Bukarester Sozialanthropologe Florin Poenaru meint: Die Parteien wollen die Wähler lieber demobilisieren statt mobilisieren. (Annett Müller)
    USR will politischer Elite Kontra geben
    Aufmischen will den Zweikampf zwischen PSD und PNL diesmal eine Newcomer-Partei aus engagierten Bürgern, die ihr Hauptziel gleich in den Parteinamen packt: "Union Rettet Rumänien" - kurz USR genannt. Ob sie konservativ oder linksgerichtet sind, wissen die politikunerfahrenen Mitglieder selbst noch nicht, doch wollen sie der politischen Elite in Bukarest Kontra geben.
    Bei der Kommunalwahl im Juni ist der Protestpartei eine erste Überraschung gelungen. In Bukarest kam sie aus dem Stand auf Platz zwei. Bei der Parlamentswahl wird es deutlich schwerer sein. Die Mehrheit der Wähler glaubt nicht mehr an Wunder.
    In der neuen Partei sind vor allem studierte Aktivisten, die voriges Jahr gegen den dünkelhaften Politikbetrieb noch auf die Straße gegangen sind. Jetzt wollen sie es beim Parlamentsgeschehen transparenter machen. So wie USR-Kandidatin Cosette Chichirau, die bislang als Finanzexpertin arbeitet:
    "Unsere Politiker sind arrogant. In einer Talkshow habe ich erklärt, dass das rumänische Bruttoinlandsprodukt nicht einmal ein Drittel des europäischen ausmacht und wie man das ändern könnte.. Und wie reagierten die Politiker? Sie sagten, Du weißt doch gar nicht, von was Du da sprichst. Sie wollen einen einschüchtern, statt über Themen reden."
    Sollte die USR - wie ihr Umfragen voraussagen - morgen ins Parlament einziehen, könnte sie theoretisch auch Regierungsverantwortung übernehmen. Denn Soziologen erwarten, dass bei der Abstimmung keine Partei genügend Stimmen erhalten wird, um allein regieren zu können.
    Mit ins Rennen gehen mehrere Formationen, die sich von PSD und PNL mit radikaleren Positionen abgespalten haben. Sie werden bei der Regierungsbildung mehr Gewicht haben, weil sie alte politische Vertraute sind. In der Protestpartei USR sieht die politische Elite hingegen Querulanten.
    Könnte mit der USR ein neuer Wind ins rumänische Parlament einziehen? Jedenfalls versprühen die Parteianfänger Leidenschaft, Leichtigkeit und vor allem Hoffnung. Die werde ihnen bald vergehen, hat USR-Kandidatin Cosette Chichirau dieser Tage häufig gehört. Die 39-Jährige lebte bis vor kurzem noch in den USA. Sie will alles daran setzen, dass ihre Rückkehr in die Heimat nicht umsonst ist:
    "Ich will ein blühendes, ein korruptionsfreies Rumänien. Und ein Rumänien, auf das Europa stolz ist. Wir wollen Europa beeindrucken. (Lacht herzlich auf). Was sagen Sie? Ist das möglich? Ich sag: Hoffentlich! Wir kämpfen dafür."