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Russland-Ukraine-Konflikt
"Deutsche Wirtschaft trägt Sanktionen mit"

Mit Russland müsse nun sehr deutlich gesprochen werden, sagte der Vize-Fraktionschef von CDU/CSU Michael Fuchs im Interview mit dem Deutschlandfunk. Es gehe nicht, dass Russland in der Ostukraine einen Stellvertreterkrieg führe, der unschuldige Zivilisten hineinzieht.

28.07.2014
    Einer Kundgebung gegen die deutschen Rüstungsexporte im Februar vor dem Berliner Reichstag.
    Rüstungsexporte werden derzeit in Berlin kontrovers diskutiert. (Daniel Naupold, dpa picture-alliance)
    Sanktionen gegen Russland seien für Teile der deutschen Wirtschaft sicher sehr schmerzlich, sagte der Vize-Fraktionschef von CDU/CSU Michael Fuchs im Interview mit dem Deutschlandfunk. Dennoch seien sie unumgänglich. "Mit Russland muss nun sehr deutlich gesprochen werden", sagte Fuchs. Der Politiker ist sich sicher, dass die deutsche Wirtschaft dies genauso sehe wie die Politik. Fuchs beruft sich dabei auf Äußerungen des BDI-Präsidenten Ulrich Grillo. Dieser schrieb in einem Beitrag für das "Handelsblatt", das Verhalten der russischen Regierung im Ukraine-Konflikt müsse spürbare Konsequenzen für Moskau habe. Fuchs erklärte im Deutschlandfunk, die stärkste Sanktion wäre ein eingeschränkter Gasbezug, weil dies weniger Devisen für Russland bedeute.
    In der Diskussion über die Rüstungsexportpolitik warnte der CDU-Politiker vor dem Verlust von Arbeitsplätzen. Bei einer kompletten Stilllegung der Verteidigungsindustrie könnten in Deutschland bis zu 200.000 Arbeitsplätze betroffen sein, so Fuchs. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte zuvor die jüngsten britischen und französischen Rüstungslieferungen an Russland kritisiert und für Deutschland eine Änderung der Exportrichtlinien ins Spiel gebracht.

    Mario Dobovisek: Und am Telefon begrüße ich Michael Fuchs, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag, dort unter anderem zuständig für die Wirtschaftspolitik. Guten Morgen, Herr Fuchs!
    Michael Fuchs: Guten Morgen, ich grüße Sie!
    Dobovisek: Gabriel, so sagt er, will "das Geschäft mit dem Tod verhindern" – was ist falsch daran?
    Fuchs: Das ist sicherlich nicht falsch. Und das ist natürlich, ja, sagen wir mal, populäre, populistische Äußerung. Darum geht es ja gar nicht. Es geht darum, dass wir in Waffengeschäften nach wie vor drin sind, die wir in aller Regel ja gar nicht alleine machen, sondern mit Partnerfirmen, beispielsweise in Frankreich. Nehmen Sie mal das gesamte Hubschraubergeschäft. Das ganze Geschäft läuft ausschließlich mit französischen Firmen oder gar mit spanischen Firmen zusammen. Es kann nicht sein, dass dann solche Geschäfte, die wir gemeinsam mit diesen NATO-Partnern beschlossen haben, gestoppt werden, weil deutsche Teile in den Produkten drin sind. Es gibt in Frankreich mittlerweile den Ausdruck, wir müssen german-free products herstellen. Das stört mich sehr, das bedeutet, dass die deutsche Wirtschaft damit komplett ausgeklinkt wird. Und es ist ja auch nicht so, dass ausschließlich militärische Dinge dabei gemeint sind, sondern es geht auch um Dual-Use-Güter, das heißt Güter, die ebenfalls im zivilen Bereich angewandt werden. Und das macht mir schon Sorge, die deutsche hat rund 200.000 Arbeitsplätze, die teilweise mit Rüstungsgeschäften beschäftigt sind. Und ich möchte hier keinen Einbruch erleben.
    Dobovisek: Müssen denn laufende Waffenlieferungen an Russland zum Beispiel gestoppt werden?
    Fuchs: An Russland, und da bin ich schon der Meinung, dass wir zurzeit sehr zurückhaltend sein sollten. Man muss jetzt erst einmal sehen, wie Putin sich in der Ostukraine weiter verhält. Ich hoffe ja wirklich, dass langsam, aber sicher ein Einsehen kommt nach dem schrecklichen Flugzeugabschuss vor ein paar Tagen. Ich meine, es ist allerhöchste Zeit, dass die Russen hier einlenken. Und man sollte mit Russland schon sehr deutlich sprechen.
    Dobovisek: Das sehen die Partner in Großbritannien und Frankreich allerdings offenbar anders. Also, ist Gabriels Kritik an ihnen und auch an der Union berechtigt?
    Fuchs: Weniger an der Union. Die Union sieht das ja genauso wie Gabriel, was Russland angeht. Aber ganz sicherlich nicht die Franzosen, die sich sowieso immer komplett anders verhalten haben als wir. Die haben beispielsweise in Länder wie Taiwan geliefert, während Deutschland immer abgelehnt hat, dort beispielsweise U-Boote zu liefern, obwohl Taiwan wahrlich nicht ein kriegstreiberisches Land ist und auch keinerlei Rüstungsexporte macht. Die Franzosen haben ihre Mirage geliefert. Wir haben sie aus verschiedenen politischen Gründen nicht geliefert, die U-Boote damals. Und deswegen haben wir uns da schon immer unterschieden von den Franzosen. Die Franzosen haben da eine sehr pragmatische, allerdings in meinen Augen auch weitgehende Industriepolitik. Das ist nicht unsere Meinung, aber wir haben im UNO-Sicherheitsrat ...
    Dobovisek: Dann spricht das aber auch gegen eine Kooperation mit Frankreich in Rüstungsfragen.
    Fuchs: Ja, wir haben aber eine ganze Reihe von Projekten, die wir nur so noch machen können, weil die Produkte nur dann überhaupt zu einigermaßen vernünftigen Kosten herstellbar sind, wenn wir sie im größeren Stil verkaufen. Es kann nicht sein, dass ein Panzer beispielsweise nur für Deutschland entwickelt wird. Oder ein Hubschrauber, der kann nicht nur für Deutschland entwickelt werden, der muss im großen Stil verkauft werden, der muss an beispielsweise alle NATO-Partner gehen, sonst sind die Entwicklungskosten einfach zu hoch. Das geht nur gemeinsam. Entweder wir arbeiten mit diesen Firmen zusammen. Oder wir haben keinerlei deutsche Rüstungsindustrie mehr. Da warne ich aber vor. Ich nenne mal ein konkretes Beispiel, was jeder kennt, was wahrscheinlich jeder in der Tasche hat: Die ganze GPS-Technologie kommt aus der Verteidigungstechnologie. Und wenn sie nicht in die privaten oder sagen wir zivilen Produkte, Handys, Tablets, eingebaut worden wäre, dann hätte es die überhaupt nicht gegeben in Deutschland. Also, das darf dann auch nicht passieren.
    Dobovisek: Wie viele Arbeitsplätze sind denn Ihrer Auffassung nach in Deutschland gefährdet, wenn Sigmar Gabriel so die Rüstungspolitik umsetzt, wie er plant?
    Fuchs: Also, ich gehe davon aus, dass das bis zu 200.000 Arbeitsplätze kosten kann, wenn wir komplett die Verteidigungsindustrie in Deutschland stilllegen würden. Aber ich hoffe, dass das nicht der Fall sein wird beziehungsweise, dass die Firmen auch flexibel genug sind, in anderen Produktbereichen weiterzumachen. Aber in jedem Falle müssen wir die Technologien behalten. Und es kann nicht sein, dass Deutschland auf diesen ganzen Bereich, der ja dann am Ende auch in zivile Produkte, ich habe es eben an dem Beispiel von GPS genannte, in zivile Produkte umgesetzt wird.
    Dobovisek: Beschäftigung darf kein ausschlaggebender Grund sein für Exportgenehmigungen – ein Grundsatz aus rot-grünen Zeiten, an den sich die Große Koalition Ihrer Meinung nach nicht mehr halten sollte?
    Fuchs: Nein, diese Meinung habe ich nicht, aber wir haben ja den Bundessicherheitsrat, der jeden einzelnen Exportvorgang prüft. Es ist auch nicht allein Aufgabe des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundeswirtschaftsministers, sondern des Bundessicherheitsrates, zu entscheiden. Der wird, nebenbei, geleitet von der Bundeskanzlerin. Und ich habe das Gefühl, dass sie sehr verantwortlich damit umgeht.
    Dobovisek: Insgesamt warten da allerdings angeblich 2.000 Rüstungsexportanfragen auf diversen Schreibtischen, vor allem bei Sigmar Gabriel. Hat er denn inzwischen eine Art Exportstopp längst verhängt?
    Fuchs: Das darf nicht der Fall sein, das ist auch nicht in Ordnung. Vor allen Dingen darf das nicht ewig verzögert werden. Die Firmen haben Entscheidungen zu bekommen. Und die müssen sie schnell bekommen, und da ist wirklich Gabriel gefordert, zügig zu arbeiten und dafür zu sorgen, dass in seinem Ministerium beziehungsweise beim BAFA, beim Bundesamt für Ausfuhrgenehmigungen, schnell Bescheid gegeben wird. Denn wenn die Firmen die ganze Zeit in so einem Zwischenstadium sich befinden, ist das für die natürlich ausgesprochen schwierig.
    Dobovisek: Was werfen Sie ihm also vor?
    Über Michael Fuchs
    Geboren 1949 in Koblenz, Rheinland-Pfalz. Der CDU-Politiker studierte ab 1967 Pharmazie in Bonn, wurde Apotheker und promovierte 1976. Er war im Anschluss als Apotheker und in weiteren Funktionen unternehmerisch tätig. Er nimmt verschiedene Positionen in Wirtschaftsverbänden wahr. Seit 2002 ist Fuchs Mitglied im Deutschen Bundestag und seit 2009 einer der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
    Fuchs: Er muss dafür sorgen, dass schnelle Entscheidungen getroffen werden. Und er muss die Dinge schnell in den Bundessicherheitsrat bringen, um die Entscheidungen dort vorzubereiten.
    Dobovisek: Ein weiteres großes Thema sind schärfere Wirtschaftssanktionen gegen Russland in der Ukraine-Krise. Die sind diese Woche auch wieder bei der Europäischen Union ein Thema. Wenn jetzt ganze Wirtschaftszweige in den Fokus geraten, Finanzmärkte, der Zugang Russlands zu Finanzmärkten etwa, oder auch der Handel mit Rüstungsgütern, worüber wir gerade gesprochen haben – ein konsequenter Schritt?
    Fuchs: Dass wir weitere und schärfere Sanktionen gegen Russland verhängen müssen, halte ich für notwendig. Das wird die deutsche Wirtschaft ganz bestimmt nicht erfreuen. Und es wird auch mit ziemlicher Sicherheit in dem einen oder anderen Fall ganz schwierige Situationen herbeiführen. Aber auf der anderen Seite ...
    Dobovisek: Aber zieht die deutsche Wirtschaft da mit?
    Fuchs: Ich gehe davon aus, ja. Denn sowohl der BDI-Präsident als auch der DIHK-Präsident, Herr Schweitzer und Herr Grillo, haben sich in dieser Richtung bereits geäußert, dass die deutsche Wirtschaft das genauso sieht. Auf der anderen Seite müssen wir überlegen, was trifft denn die Russen wirklich? Meiner Meinung nach wäre ja die stärkste Sanktion, die wir haben könnten, weniger Gasbezug. Und es gibt andere Möglichkeiten, Stichwort Flüssiggasimporte et cetera, Gas nach Deutschland zu bekommen als ausgerechnet aus Russland. Und wenn wir weniger Gas beziehen würden, würde das auch weniger Devisen für Russland bedeuten. Und ich glaube, das trifft schneller als alles andere.
    Dobovisek: Dann verkauft Russland das Gas eben an China.
    Fuchs: Da brauchen sie noch ungefähr zehn Jahre für, bis sie die Leitungen dahin haben. Und man braucht ja nun mal bei Gas dummerweise so eine kleine Pipeline. Und das sind ungefähr 5.000 Kilometer, die legen die nicht an einem Tag?
    Dobovisek: Droht ein Wirtschaftskrieg zwischen Ost und West?
    Fuchs: Ich will das nicht hoffen. Ich will hoffen, dass irgendwann wieder Vernunft einkehrt. Es kann nicht sein, dass die Russen erstens Gebiete annektieren, Stichwort Krim, aber zweitens dann auch noch obendrein in der Ostukraine so einen Stellvertreterkrieg von irgendwelchen Milizen führen lassen, der dann dazu führt, dass Zivilmaschinen abgeschossen werden. Ich halte das für ausgesprochen fragwürdig. Und das ist nahe bei uns. Man sollte mal gucken, wo Kiew liegt: Kiew ist, glaube ich, näher an Berlin als beispielsweise Rom.
    Dobovisek: Im Konflikt um die Ukraine werden weitere Sanktionen gegen Russland diskutiert. Michael Fuchs dazu, Unionsfraktionsvize im Bundestag, hier im Deutschlandfunk-Interview. Danke schön!
    Fuchs: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.