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Sängerin Ella Henderson
Viel mehr als nur Casting-Show

Über die Qualität von Casting-Shows lässt sich streiten. Ella Henderson hat vor zwei Jahren an der britischen Ausgabe von "The X Factor" teilgenommen und mit ihrer eindrucksvollen Stimme überzeugt. Ihr Debütalbum "Chapter One" ist kein Plastikpop, sondern ein beachtliches Werk von großer musikalischer Vielfalt.

Von Adalbert Siniawski | 18.10.2014
    Ein Mikrofon mit langem Kabel liegt auf einem Podest.
    Ella Henderson: "Dieses Album ist für mich die Chance, die Musik zu zeigen, die ich mag und mit der ich aufgewachsen bin." (picture alliance / dpa)
    Typisch. So klingt der Song einer Casting-Show-Sängerin. So klingt ein Song für den Mainstream. "Ghost" erreichte in Deutschland Platz drei der Single-Chats. Tanzbarer Pop, perfekt produziert und glatt poliert. Und doch hat Ella Henderson mehr zu bieten. Klagenden Soul, ein wenig wie Amy Winehouse, R'n'B-Nummern mit Beyoncé-Einschlag und raue Klavier-Balladen, die stark an Adele erinnern.
    Vielfalt ist das inoffizielle Motto des Albums "Chapter One" von Ella Henderson. Für ihr Debütwerk bekam sie eine Reihe namhafter Songschreiber und Produzenten zur Seite gestellt, wie etwa Kenny "Babyface" Edmonds, Salaam Remi oder Ryan Tedder. Sie verhalfen auch schon den ganz Großen zu Erfolgen - Madonna, Mary J. Blidge, Alicia Keys und ja, auch Adele und Winehouse. Und so hat jeder Song der 18-jährigen Britin eine andere Klangfarbe. Konsistent klingt "Chapter One" dadurch nicht - eher so, als ob Ella jedem Hörer etwas bieten will und ihr eigenes Ding noch sucht.
    "Dieses Album ist für mich die Chance, die Musik zu zeigen, die ich mag und mit der ich aufgewachsen bin. Ich will die Leute zu den Höhen und den Tiefen mitnehmen. Deshalb wollte ich die Vielfalt und die Farben mischen. Bisher habe ich meine Songs ja immer alleine geschrieben. Doch jetzt musste ich meine Ideen und Gedanken mit den Produzenten teilen. Ich war sehr nervös! Ich hatte am Anfang das Gefühl, ich bin nicht gut genug. Doch dann wurde ich immer sicherer im Studio - und die Arbeit hat sehr viel Spaß gemacht."
    Hinter Henderson steht Musikproduzent und Castingshow-Übervater Simon Cowell. Er hat ihr Potenzial sofort erkannt - diese vielfältige, kraftvolle und etwas rauchige Stimme. "Sie wird die nächste Adele", tönte Cowell, als er Ella gemeinsam mit Sony Music unter Vertrag nahm. Ein Vergleich, den die Sängerin ständig hört, von dem sie sich aber nicht einschüchtern oder einengen lässt.
    "Das sind Ikonen der Musikwelt. Mit ihnen verglichen oder auch nur in einem Satz genannt zu werden, ist ein Riesen Kompliment! Auf der anderen Seite sind wir sehr verschieden. Ich bin gerade mal 18. Ich habe zwei Jahre an dem Album gearbeitet und bin mit meiner Musik gewachsen. Ich war auf der Suche nach meinem Sound und dem Image. Doch ich bin nicht da, um andere zu kopieren. Ich will ich selbst sein und meinen eigenen Weg gehen."
    Plattenvertrag trotz sechstem Platz
    Ella kommt aus dem verschlafenen Dorf Tetney an der Ostküste Englands. Mit Drei bringt sie sich Klavierspielen bei. Mit Elf zieht es sie in die Nähe von London an eine Schule für Tanz, Musik und Theater. Mit 16 Jahren schafft sie es in die britische Talentshow "The X Factor". Nach jedem Auftritt gibt es Lobesarien, Standing Ovantions, Tränen. Hier ist jemand, der wirklich überragend singen kann - Casting-Inszenierung hin oder her. Und doch wählt das Publikum Ella am Ende nur auf Platz 6. Die Jury rund um Simon Cowell ist schockiert.
    "Seltsamerweise ging es mir recht gut. Ich hatte nie gedacht, dass ich in die Live-Shows komme, und ich dachte: Ich habe schon damit viel gewonnen! Von Auftritt zu Auftritt ist mein Selbstbewusstsein gestiegen! Das ganze Land hat zugeguckt! Die Erfahrung, die ich da gemacht habe, ist unbezahlbar. Und 24 Stunden, nachdem ich aus der Show geflogen bin, hat mich die Plattenfirma angerufen. Dass jemand, der nur den sechsten Platz erreicht hat, doch eine Chance bekommt, ist bis dahin nie vorgekommen. Also: Erwarte das Unerwartete!"
    "Chapter One", das erste Kapitel der Geschichte über das Casting-Wunder Ella Henderson, ist geschrieben. Eine Geschichte über eine herausragende Stimme, die vor allem in den sparsam instrumentierten Songs ihre Stärke entfaltet. Eine Fortsetzung so ganz ohne Casting-Kitsch wäre ihr zu wünschen.