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"Salome" an der Staatsoper Hannover
Leere Bühne, voller Graben

Wenige Requisiten, schlichte Kostüme und eine fast leere Bühne - so inszeniert Ingo Kerkhof Richard Strauss' "Salome" in Hannover. Das groß besetzte Orchester konnte bei leisen und brutalen Momenten der Oper überzeugen.

Von Agnieszka Zagozdzon | 20.11.2017
    Annemarie Kremer als Salome in der Inszenierung am Niedersächsisches Staatsorchester Hannover
    In dem rundum hervorragenden Sängerensemble brillierten vor allem die niederländische Sopranistin Annemarie Kremer in ihrer Paraderolle als Salome. (Thomas M. Jauk )
    Musik: Ausschnitt Schlussszene Salome "Ich habe deinen Mund geküsst, Jochanaan"
    Die junge Prinzessin Salome ist besessen von dem Propheten Jochanaan, der im Verließ des Palastes gefangen gehalten wird. Vergeblich versucht sie ihn zu verführen. Schließlich greift Salome zu einer List und fordert von ihrem Stiefvater, König Herodes, Jochanaan köpfen zu lassen, damit sie wenigstens seine toten Lippen küssen kann.
    Musik: Ausschnitt Schlussszene Salome "Ich habe deinen Mund geküsst, Jochanaan"
    Allernötigsten Requisiten, schlichte Kostüme und eine fast leere Bühne
    Regisseur Ingo Kerkhof hat schon in der Vergangenheit an der Staatsoper Hannover seine Inszenierungen nach dem Motto: "Weniger ist mehr" gestaltet. Und auch bei "Salome" gab es, wie bei Kerkhof üblich, nur die allernötigsten Requisiten, schlichte Kostüme - dunkle Kleider für die Frauen, schwarze Anzüge für die Männer - und eine fast gänzlich leere Bühne. Lediglich ein heller Vorhang am hinteren Ende stellte den Eingang zu König Herodes Palast dar. Doch die meiste Zeit über agierten die Sänger ohnehin nur im vordersten Teil der Bühne - unmittelbar an der Rampe - da eine große, bewegliche, goldene Wand die Bühne nach hinten hin abriegelte. Aus musikalisch-akustischer Sicht ein hervorragender Regieeinfall, so Generalmusikdirektor Ivan Repušić.
    "Das passt zu meinem Konzept mit der Musik: sehr rein, sehr klar. Es gibt kaum was auf der Bühne und diese Verhältnisse und Kontakte mit den Sängern sind sehr tief. Ich bin sehr froh, dass ich so ein Konzept habe, sodass wir keinen Kampf während der Proben hatten – das ist ein Vorteil für jeden Dirigenten: Wir haben uns verstanden und ich denke, dass wir auf einem sehr guten Weg sind."
    Repušić und Kerkhof haben in der Vergangenheit in Hannover bereits bei Tschaikowskis "Eugen Onegin" und Mozarts "Entführung aus dem Serail" zusammengearbeitet. Mit seiner ersten "Salome" ging für Repušić nun ein großer Wunsch in Erfüllung.
    "Bis jetzt habe ich immer eher italienisches und slawisches Repertoire dirigiert. Aber meine Verantwortung als Generalmusikdirektor würde ich gerne nutzen, um hier auch deutsches Repertoire zu dirigieren und zu entwickeln. Ich finde, dass das für mich sehr, sehr wichtig ist."
    "Es gibt auch sehr viele kammermusikalische Momente"
    Eine zentrale Frage für jeden Dirigenten einer "Salome"-Produktion ist dabei: wie umgehen mit dem sehr groß besetzten Orchester im Graben? Ivan Repušić:
    "Eine große Herausforderung ist, dass alle denken 'Salome' – das ist dickes Orchester, viele Instrumente, sehr viel Klang. Das ist die Wahrheit, aber es gibt auch sehr viele kammermusikalische Momente, die wir – ganz im Gegenteil – sehr sanft, sehr präsent und sehr weich spielen sollen. Natürlich ist Balance immer eine sehr große Herausforderung – nicht nur im Orchester sondern auch das Verhältnis zwischen Bühne und Orchester. Aber in diesem Fall haben wir eine sehr dankbare Inszenierung und ein Konzept, wo die Sänger ziemlich oft vorne sind – und das ist natürlich ein Vorteil für uns. Und natürlich all diese wunderschönen Momente, brutale Momente, Momente der Liebe – die er alle auch mit der Musik gezeichnet hat – die muss man auch deutlich mit dem Orchester zeigen."
    Und genau das gelang Ivan Repušić mit seinem Niedersächsischen Staatsorchester auch bravurös: Von leidenschaftlichen Ausbrüchen über sprunghafte Stimmungswechsel bis hin zu leisen, kontemplativen Passagen war alles dabei. Zugleich wurden die vorne agierenden Sänger nicht übertönt und konnten sich, aufgrund Kerkhofs generell sehr reduziertem Regiekonzept, auch darstellerisch sehr gut einbringen - wobei jedoch nicht genau zu trennen war, wo Kerkhofs Personenregie endete und die jeweils individuelle schauspielerische Leistung eines jeden Sängers anfing. In dem rundum hervorragenden Sängerensemble brillierten vor allem die niederländische Sopranistin Annemarie Kremer in ihrer Paraderolle als Salome und der amerikanische Bariton Brian Davis als fanatisch-verbohrter Prophet Jochanaan.
    Musik: Ausschnitt Szene Jochanaan "Wo ist er, dessen Sündenbecher voll ist?"
    Entlarvende Tanzszene?
    Richard Strauss' "Salome" fasziniert und polarisiert die Opernzuschauer bis heute - vor allem weil nicht ganz klar ist: Ist Salome nur ein verwirrtes junges Mädchen? Eine verzogene Prinzessin, die mit Zurückweisung nicht umgehen kann? Oder eine skrupellose Verführerin? Ingo Kerkhof vermied es in seiner Inszenierung, eine klare Deutung dieser Figur zu liefern. Lediglich in der Schlüsselszene der Oper - Salomes Schleiertanz, mit dem sie König Herodes verführt - gab es einen vielsagenden Moment: Denn während Herodes und seine Höflinge, von Salomes Tanz aufgestachelt, in einen geradezu orgiastischen Sinnestaumel verfallen, geht sie zur Seite und beobachtet kühl, mit einem Glas Wein in der Hand, das wilde Treiben.
    Musik: Ausschnitt Schleiertanz
    Auch in Ingo Kerkhofs Inszenierung bleibt dieses schillernde, skandalöse und mysteriöse Wesen Salome weiterhin so unergründlich und rätselhaft wie bisher; vielleicht hätten mehr solcher Momente wie am Ende des Schleiertanzes dieser doch sehr minimalistischen Regie gut getan. Generalmusikdirektor Ivan Repušić hat jedenfalls angekündigt, dass er in seiner restlichen Zeit in Hannover unbedingt noch mehr solcher Werke machen will.
    "Ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, dieses große deutsche Repertoire zu machen; und ich werde mit diesem Plan weitermachen. Wir werden in der nächsten Saison auch so manches große deutsche Werk in Konzerten und auch als Oper spielen. Ich habe bis jetzt sehr viel italienische Musik gemacht, aber auch französische, slawische Musik – und jetzt eben auch deutsche Musik. Es macht mir so viel Spaß und Freude und ich bin sehr stolz, dass ich hier auch deutsche Musik machen werde. Das ist einfach geniale Musik und für mich ist das ein großes, großes Privileg."
    Sieht man sich die Spielpläne der Staatsoper Hannover aus den vergangenen Jahren an, dann wäre es durchaus mal wieder an der Zeit für eine neue "Elektra" oder "Frau ohne Schatten". Aus musikalischer Sicht könnte man sich auf jeden Fall schon einmal darauf freuen.