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Sammelband "Im Rausch des Schreibens"
Schriftsteller und ihr Rauschmittelkonsum

Viele Schriftsteller schrieben im Rausch oder ließen sich von ihm inspirieren. Für manche bedeutet das Schreiben Ekstase. Das Österreichische Literaturarchiv trägt die Rauschbiografien insbesondere österreichischer Literaten in einem Essayband zusammen.

Von Helmut Böttiger | 28.07.2017
    Buchcover Im Rausch des Schreiben von Musik bis Bachmann u. im Hintergrund Robert Musil
    Hatten außer dem Schreiben auch das Rauchen gemeinsam: Ingeborg Bachmann und Robert Musil. (Paul Zsolnay Verlag / picture-alliance / dpa)
    Die Verbindungen zwischen Rausch und Literatur sind unüberschaubar, es schwirrt einem sofort der Kopf. Auf einer Doppelseite der hier in Rede stehenden Veröffentlichung sind die Originalumschläge der einschlägigsten Bücher dokumentiert: Upton Sinclairs "Alkohol", Joseph Roths "Legende vom heiligen Trinker", Aldous Huxleys "Pforten der Wahrnehmung", H.C. Artmanns "neue schöne kinderreime" mit der Überschrift "allerlei rausch" oder Jörg Fausers "Rohstoff". Das Thema hat es also in sich.
    Das Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien hat sich insbesondere der dort einheimischen Schriftsteller angenommen, und spätestens nach der Lektüre dieses vielfältigen und nach allen Seiten hin ausschlagenden Bandes ist man überzeugt davon, dass das Sujet besonders auf diesem Territorium fruchtbaren Boden findet.
    "Im Rausch des Schreibens. Von Musil bis Bachmann" untersucht etliche Fallbeispiele, und der Titel akzentuiert dabei eine spezielle Möglichkeit des Rausches, die auf faszinierende Weise neben den üblichen Drogen wie Alkohol, Haschisch und allen möglichen Formen des Trinkens, Rauchens und Schluckens ihr Eigenleben führt: Im Schreibvorgang selbst kann bereits der Rausch bestehen, er ist nicht unbedingt auf andere Hilfsmittel angewiesen.
    Wie sich die Schreib-Ekstase in der Handschrift äußert
    Die Herausgeberinnen Katharina Manojlovic und Kerstin Putz haben schöne Beispiele dafür zusammengetragen, wie sich die Ekstase in der Handschrift zeigt. Und Elfriede Jelinek tippt zwar auf dem Computer, dies aber umso ekstatischer:
    "Denn ich schreibe ja sehr schnell, aufgrund einer inneren Unruhe, die kaum duldet, dass ich beim Schreiben auch nur kurz unterbreche."
    Bei Gert Jonke ist das Schriftbild genauso exzessiv wie bei Georg Trakl, aber es sieht ganz anders aus, und an Robert Musils Handschrift zeigt sich auf zugespitzteste Weise ein Zwangscharakter, der in seinem Jahrhundert seinesgleichen suchte.
    Die Übergänge zwischen den Räuschen sind dabei fließend. Joseph Roth etwa schrieb 1930 an Stefan Zweig:
    "Ich kann mich nicht im Literarischen kasteien, ohne im Körperlichen auszuschweifen."
    Hesse verführt Walter Benjamin zum Haschischkonsum
    Ein unerwartet direktes Beispiel, an einem ungeahnten Sujet, findet sich sogar bei dem scharfsinnigen und kristallinen Intellektuellen Walter Benjamin:
    "Einen letzten Anstoß Haschisch zu nehmen, gaben mir gewisse Seiten im 'Steppenwolf', die ich heute früh gelesen hatte."
    Selbst Hermann Hesse konnte also wie eine Droge wirken. Es gibt in diesem Band aber vor allem auch einige exemplarische Essays, die das Verhältnis zwischen Rausch und Schreiben anhand herausragender Fälle analysieren.
    Die Rauschbiografie des Apothekers Georg Trakl
    Hans-Georg Kemper geht der "Rauschbiografie" Georg Trakls nach, sicher einer der extremsten Schriftsteller. Schon in der Schule nahm Trakl Zuflucht zu Chloroform, und als verhängnisvoll erwies sich die Berufswahl des Apothekers. Hier waren Veronal als Schlaf- und Morphium als Schmerzmittel problemlos greifbar, und im Ersten Weltkrieg meldete er sich in seiner militärischen Einheit sofort für den Sanitätsdienst und hatte Zugang zu den dort selbstverständlich verwendeten Stoffen Morphium, Opium und Kokain. Mit einer Überdosis Kokain nahm er sich schließlich im Garnisonsspital in Krakau das Leben.
    Der Zusammenhang zwischen Trakls Schreibweise und seiner Rauschmittelsucht ist unverkennbar. Raum und Zeitempfinden verändern sich, es entstehen waghalsige Gleichzeitigkeiten und Reihungen, und der expressionistische Ausdrucksstil, den Trakl mit erfunden hat, hat objektiv nachweisbare Entsprechungen zu den konkreten Wahrnehmungsformen eines Kokainberauschten.
    Ingeborg Bachmanns existenzielle Trunkenheit
    Hans Höller beginnt seinen sehr komplexen und differenzierten Beitrag über Ingeborg Bachmann mit einem Gedicht der noch nicht einmal Zwanzigjährigen, in dem sie die Vision eines "trunkenen Dichters" entwirft. Diese von Bachmann früh evozierte Trunkenheit ist etwas Existenzielles, sie hat überhaupt nichts mit Alkohol oder anderen Stimulanzien zu tun, sondern es geht um eine Erhebung, um eine Distanz zum Alltag und der landläufigen Wirklichkeit.
    Es ist frappierend, wie schon zu Beginn der schriftlichen Überlieferung von Texten Bachmanns dieses Leitmotiv ihres Schreibens beschworen wird:
    "In meiner Trunkenheit kann ich nur maßlos sein
    und trinken und nehmen und dauern."
    Robert Musil an sich selbst: "Arbeite statt zu rauchen"
    Eine verblüffende Verbindung stellt sich zwischen Ingeborg Bachmann und Robert Musil her. Es geht um das Rauchen. Ganz allgemein zeigt sich in Bachmanns Texten immer wieder die Auseinandersetzung mit Rausch und Feuer, mit den Ursprüngen des Werks und der Sinne, mit dem Unbewussten und dem Begehren, mit dem Brennen des Eros und seiner Aufhebung in, wenn auch flackernden, literarischen Bildern. An der Oberfläche zeigt sich das aber manchmal auch ganz konkret, wie an einer Stelle im Roman "Malina":
    "Wieder geraucht und wieder getrunken, die Zigaretten gezählt, die Gläser, und noch zwei Zigaretten zugelassen für heute, weil zwischen heute und Montag drei Tage sind, ohne Ivan. Sechzig Zigaretten später aber ist Ivan zurück."
    "Noch zwei Zigaretten zugelassen für heute": das wirkt wie ein identifikatorischer Kommentar zu einem Dokument, das im Nachlass Robert Musils aufgefunden wurde. Es ist überschrieben mit den Worten "Tabelle des Zigarettenrauchens im letzten Jahr". Musil begann im Dezember 1940 in Genf, seinen täglichen Zigarettenkonsum in ein Heftchen einzutragen. Ziel war dabei der Sieg in einem Kampf, den Musil nicht gewinnen konnte. Er versuchte, das Rauchen und das Schreiben gegeneinander auszuspielen, doch es war völlig klar: die Vorgabe "Arbeite statt zu rauchen" erwies sich als total vergeblich.
    Nach dem Schlaganfall wird alles enger, geraffter, gespannter
    Immerhin weist Walter Fanta minuziös nach, wie sich bei Musil die Folgen eines Schlaganfalls im Duktus seines Lebenswerks, des "Mannes ohne Eigenschaften", zeigen: alles wird enger, geraffter und gespannter.
    Ganz anders ist die Lage bei Peter Handke. Hier geht es um die kongeniale Verbindung von Rausch und Askese. Gelegentlich lässt die unermüdliche Handke-Exegetin Katharina Pektor zwar einfließen, dass ab und zu ein Glas Wein nicht gänzlich ausgeschlossen ist – aber der spezifische Schreibrausch bei Handke hat ausschließlich etwas mit einer Intensivierung des Erfahrens durch den Schreibvorgang selbst zu tun.
    Pektor beschreibt sehr detailliert, dass Handkes Lust darauf etwas zu schreiben untrennbar mit einer Lust am Leben verbunden ist. In einem Gespräch sagte Handke einmal:
    "Das Schreiben ist unglaublich sinnlich, weil man nachher mit geschärften Sinnen herumgeht, man sieht und hört besser, spürt alles besser, kann sich besser berühren. Ich werde immer so wach vom Schreiben. Ohne Schreiben könnt' ich dann gar nichts erleben."
    "Weltgefühl" und Schreibrausch bei Handke
    Sehr einprägsam ist, wie Katharina Pektor den Dimensionen von Handkes "Weltgefühl" nachgeht, einem der Schlüsselwörter für seine Ästhetik. In einigen Theaterstücken spielt dabei das Bild des Schaukelns eine ausschlaggebende Rolle: ein Sich-Hinaufschaukeln, bis am "Gipfel- oder Kipp-Punkt", zusammen mit einer "jähen Verlangsamung", die Selbst- und die Weltwahrnehmung sich ändert.
    Die Dialektik von Rausch und Askese, von Erfahrungsverdichtung und nüchternem Schreibvorgang, kann man sehr schön an den Manuskripten Handkes ablesen, von denen einige Faksimiles abgedruckt sind. Handke nimmt das Schreiben gleichzeitig sehr ernst und sehr leicht, das wirkt wie ein Inbegriff literarischer Ekstase. Das letzte Wort, aus diesem schönen Band zitiert, soll denn auch Handke haben:
    "Wer sagt denn, dass die Welt schon entdeckt ist?"
    Katharina Manojlovic/Kerstin Putz (Hg.): "Im Rausch des Schreibens. Von Musil bis Bachmann"
    Paul Zsolnay Verlag, Wien 2017, 383 Seiten, 27 Euro.