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Sammlerin der Gedanken

Irena Brežná wurde war bisher bekannt für ihre Reportagen aus Osteuropa, die unter anderem mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet wurden. Eine Auswahl erschien 2003 im Band "Die Sammlerin der Seelen". In ihrem ersten Roman "Die beste aller Welten" erzählt sie mit augenzwinkernder Naivität von ihrer Kindheit in der sozialistischen Slowakei. Eva Pfister hat das Buch gelesen.

Rezensiert von Eva Pfister |
    "Proletariern sei Dank müssen wir uns bei Schulaufsätzen nicht ums Ende kümmern und aus Verzweiflung ein schlechtes hinschreiben. Jeder Aufsatz muss mit dem Vorsatz enden: Ich werde für die Vervollkommnung der klassenlosen Gesellschaft lernen und arbeiten.
    Die Amtsschreiben müssen friedvoll sein. Für dauerhaften Frieden, steht auf dem Befehl, der den Vater dauerhaft zum Brückenbau abkommandiert."


    Der Vater war früher Anwalt und wird als bürgerliches Element zu proletarischer Arbeit verdonnert. Die schöne Mutter stammt zwar aus einer Arbeiterfamilie, gilt aber wegen ihrer Heirat als Überläuferin und plant heimlich die Flucht in den Westen. Die Großmutter ist noch in den ganz alten Zeiten verhaftet, sie zieht Hühner auf, pflegt den Garten und geht zur Kirche. In dieser Familie wächst Jana auf. Sie lernt in der Schule, dass sie zur ersten Generation der neuen humanen Zeitrechnung gehört.

    Irena Brežná wuchs in der jungen Tschechoslowakei auf. Ihr Roman "Die beste aller Welten" ist autobiographisch geprägt. Wie ihre Heldin Jana wurde die Autorin zur "Sammlerin der Gedanken", weil sie lernen musste, diese für sich zu behalten. Die Lehrerin fordert die Schüler auf, zu melden, wenn jemand in der Familie kein proletarisches Bewusstsein hat. Jana muss also die Ansichten der Familie ebenso verschweigen wie zuhause ihren glühenden Wunsch, eine proletarische Heldin zu werden. Denn mit Begeisterung trägt das Mädchen das rote Halstuch der jungen Pioniere und lehnt es ab, mit den Waffen einer Frau zu kämpfen, wie ihre Mutter es ihr beibringen will.
    So sitzt Jana ziemlich allein zwischen allen Stühlen. Das wird noch schlimmer, als die Mutter ins Gefängnis kommt, weil ihre Fluchtpläne durchgesickert sind. Und daran könnte Jana sogar schuld sein:

    "Im Kopf habe ich eine Trennwand errichtet, rechts leben die Familienworte und links Schulworte. Es gibt zwei Welten und zwei Sprachen, und ich gehe täglich wie eine Doppelagentin hin und her. Werde ich übermütig oder müde, fällt ein Wort in die falsche Welt hinaus, und diese Spur könnte Mama ins Gefängnis geführt haben."

    Von da an wird das Schweigen noch stärker zum Diktat, und als die Mutter nach einem Jahr wieder auftaucht, wird auch über das Gefängnis nicht gesprochen. Es war zu jenem Zeitpunkt, berichtete Irena Brežná, dass sie anfing zu schreiben, sie floh in die Welt der Märchen. Aber ihre Romanheldin lernt auch, die Forderungen nach Loyalität, die von allen Seiten an sie gestellt werden, zurückzuweisen. Jana fühlt sich zwar solidarisch mit ihren proletarischen Spielkameraden, die von der Familie so verachtet werden. Sie spürt aber auch eine tiefe Verwandtschaft mit der Großmutter, die unbeirrt in ihrem gemächlichen Rhythmus lebt und die Hektik der Jungen ablehnt. Vor allem Janas Mutter rennt der Zeit hinterher, aus Angst, alt zu werden oder etwas zu versäumen. Sie besitzt eine Strickmaschine, an der sie emsig Pullover, Schals und Mützen produziert. Das sind ihre Tauschmittel, mit denen sie alles bekommt, was sie will. So muss Jana zum Hinterausgang des Ladens schleichen, um dort Fleisch abzuholen, während die "Kameraden Proletarier" Schlange stehen. Das ist ihr genau so peinlich, wie wenn die Mutter am Elternabend mit dem Schuldirektor flirtet.

    Die Worte, die Irena Brežná damals sorgsam in der einen Hälfte ihres Kopfes verstecken musste, hat sie für sich bewahrt, und so kann sie heute die sozialistische Diktatur anhand ihrer Sprache vorführen. Sie tut das mit Lust an absurden Zuspitzungen:

    "Es ist eine bürgerliche Unsitte, Trinkgelder zu geben, unsere Kameraden Kellner haben angemessene Proletarierlöhne und trotzdem sind sie zufrieden, wenn Vater sie mit Almosen beleidigt."

    "Die beste aller Welten" ist keine simple Abrechnung mit dem real existierenden Sozialismus; der Roman erinnert auch an die Aufbruchsstimmung und an glückliche Momente – nicht nur an das vorgeschriebene Glück. Nicht zuletzt schildert er feinfühlig die Entwicklung eines Mädchens, das sich in einer schwierigen Situation durch seine Pubertät kämpft.