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Schärfere Sicherheitsauflagen
Historische Segler fürchten um ihren Bestand

Als Segelschiffe, Kutter und Dampfer vor gut 100 Jahren gebaut wurden, war das Leben und Arbeiten auf See ein anderes – und damit auch die Sicherheitsbestimmungen an Bord. Doch die Zeiten haben sich geändert: Weil die rund 100 Traditionsschiffe in Deutschland heute oftmals Jugendgruppen und Schulklasse befördern, pocht das Bundesverkehrsministerium auf strengere Sicherheitsvorschriften. Traditionsschiffer fürchten nun um den Bestand.

Von Johannes Kulms | 28.03.2017
    Traditionsschiffe im Hafen von Eckernförde
    Traditionsschiffe im Hafen von Eckernförde (Deutschlandradio / Johannes Kulms)
    Rund 40 Segeltörns absolviert die "Platessa von Esbjerg" pro Saison. Schon in wenigen Wochen soll der historische Zweimaster mit dem roten Schiffsrumpf von Eckernförde aus wieder in See stechen. Doch bis es soweit ist, muss an dem 1935 in Dänemark gebauten Holzschiff noch mal ordentlich Hand angelegt werden.
    "Und jetzt in den Osterferien da kommt die ganze Plane wieder runter und dann geht’s eben los, dann guckt man, was muss raus, was muss neu gemacht werden – was muss alles geschliffen werden, gestrichen werden…"
    Ewald Huß steht an Deck der Platessa. Huß ist zwei Jahre jünger als das Schiff – in diesem Jahr wird er 80. Mit seinem Bart und der schwarzen Wollmütze kommt er dem Bild des Seebären schon ziemlich nah.
    Die Messe – der enge aber gemütlichen Aufenthaltsraum – ist das soziale Herz des alten Segelschiffs. Rund um den großen Tisch im Schiffsbauch versammeln sich bei den Törns vor allem Jugendlichen, aber auch Gruppen mit Menschen ohne und mit Behinderung. Ihnen will Huß und das Projekt "Erlebnis-Segeln" ganz neue Erfahrungen ermöglichen. Und dabei spielt das alte Schiff eine wichtige Rolle – weniger wegen der Geschichte, sondern weil man hier mehr anpacken müsse, sagt Huß:
    "Wenn jetzt also mehrere Leute an einer Leine arbeiten, dann ist das so wie ein Orchester. Das sind mehrere Leute, die dann versuchen, das in die richtige Stimmung reinzubringen, dass die Leine dann einen Effekt bekommt und dass das Segel dann nach oben kommt. Und manchmal ist auch jemand dabei, der hat nur ganz wenig Kraft, ist aber trotzdem dran. Und kann dann trotzdem sagen: ‚Wir haben’s gemacht!‘ Und darum geht es ja."
    Neue Sicherheitsauflagen des Bundesverkehrsministeriums
    Doch seit Monaten macht ihm und seinen ehrenamtlichen Mitstreitern vor allem ein Thema große Sorge: Es sind die neuen Sicherheitsrichtlinien, die das Bundesverkehrsministerium für die rund 100 Traditionsschiffe in Deutschland plant – zum Beispiel den Einbau von zusätzlichen Schotten – also Wänden, die ein Sinken des Schiffs verhindern sollen.
    Huß will abwarten, bis er diese schwarz auf weiß vorliegen hat. Doch befürchtet er, dass sie das Aus für die Platessa von Esbjerg und die Erlebnis-Pädagogik auf See bedeuten könnten:
    "Also, das könnte passieren, ja. Das könnte passieren."
    Gerade weil viele Traditionsschiffe Fahrgäste – z.B. Jugendliche oder Schulklassen – an Bord hätten, sei eine neue Sicherheitsverordnung unerlässlich, so das Bundesverkehrsministerium. Berlin will bauliche Anpassungen, aber auch strengere Regeln bei der Rettungsausrüstung vorschreiben. Außerdem plant das Verkehrsministerium regelmäßige Gesundheitsprüfungen für die Besatzungsmitglieder - gerade dieser Punkt bereitet Ewald Huß Kopfzerbrechen.
    "Das Ehrenamt kann es nicht bringen, dass noch andere Scheine verlangt werden oder dass auch andere Sicherheitsscheine noch verlangt werden, weil das Personal ja teilweise immer nur ganz kurz an Bord ist und wir würden auch wahrscheinlich keine weiteren Leute mehr bekommen."
    Denn zusätzliche Bescheinigungen seien sehr kostspielig – Huß sagt, dass das Schiff jedes Jahr auf einen Pool von 30 bis 40 Ehrenamtlern zurückgreife, die rotierend in 3er-Teams die immer neuen Passagiergruppen bei den Törns einweisen.
    Befürchtung: 90 Prozent der Traditionsschiffe müssen ihren Betrieb einstellen
    Das Verkehrsministerium hat die neuen Sicherheitsbestimmungen zur Notifizierung an die EU-Kommission in Brüssel geschickt. Kämen die Regeln unverändert zurück, dann müssten 90 Prozent der Traditionsschiffe in Deutschland ihren Betrieb einstellen, warnt die Gemeinsame Kommission für Historische Wasserfahrzeuge – Der Dachverband der Traditionsschiffe in Deutschland fühlt sich vom Ministerium übergangen und die Einwände nicht berücksichtigt.
    Länder, Verbände und die Berichterstatter der Fraktionen im Bundestag seien bei der Erarbeitung der Sicherheitsverordnung beteiligt gewesen heißt es dagegen aus dem Verkehrsministerium. In dem Prozess sei zahlreichen Bedenken Rechnung getragen und Vorschriften dort angepasst worden, wo es möglich war ohne die Sicherheit zu beeinträchtigen teilte ein Sprecher auf Anfrage dieses Senders mit.
    Appell der norrdeutschen Bundesländer
    Vor allem die norddeutschen Bundesländer laufen Sturm gegen die neuen Regelungen. Erst Ende vergangener Woche richteten die Verkehrsminister der fünf norddeutschen Länder nochmals einen Brief an Bundesverkehrsminster Alexander Dobrindt und forderten den CSU-Politiker zum Umsteuern auf.
    Auch die Schleswig-Holsteinische CDU ist gegen eine Verschärfung. Hans-Jörg Arp, der verkehrspolitische Sprecher der Fraktion genoss letzten Donnerstagnachmittag den Blick aus dem Plenarsaal hinaus auf die Kieler Förde – dort wo jedes Jahr im Juni mit der Kieler Woche das größte Segelereignis der Welt stattfindet. Hans-Jörg Arp:
    "Das gleiche haben wir in Lübeck, das gleiche haben wir in Flensburg, das haben wir an der Nordsee. Und was macht das besonders attraktiv? Wenn wir Traditionsschiffe haben - das gehört zu unserem Land wie die Berge zu Bayern. Und das wollen wir auch so behalten, meine Damen und Herren."