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Scheinstudenten
Nach dem Abi an der Uni parken

Scheinstudenten, das sind Menschen mit Studentenausweis, die aber nie im Seminar oder in der Vorlesung zu sehen sind. Dieses Phänomen gab es in den 1990er-Jahren oft, wenn junge Männer die Zeit nach dem Abitur bis zum Wehrdienst überbrücken mussten. Heute stehen die Unis wieder vor dem Problem, doch es nützt ihnen mehr, als es schadet.

Von Susanne Lettenbauer | 02.06.2015
    793 Studenten sitzen bei der Erstsemesterbegrüßung am Campus Koblenz der Universität Koblenz-Landau in Koblenz-Rheinland-Pfalz im großen Hörsaal.
    Sich einschreiben, aber dann nicht hingehen? (dpa / picture alliance / Thomas Frey)
    Jeden Montag und Mittwoch hält Professor Harald Weinfurter im Hörsaal N120 der Ludwigs-Maximilians-Universität München seine Vorlesung zum Thema "Konzepte und experimentelle Methoden der Atom- und Molekülphysik". Vor ihm sitzen Studierende des 2. Semesters Bachelor Physik. Eigentlich müssten dort laut Einschreibestatistik rund 20 Prozent mehr junge Menschen sitzen. Ganz genau weiß man es an der Fakultät für Physik auch nicht. Nur dass immer mehr Studierende - aus welchen Gründen auch immer - nicht in die Vorlesungen und Seminare kommen als eingeschrieben sind:
    "Ja, also wir merken es an unseren Einschreibezahlen, dass heißt es schreiben sich so und so viele Leute ein. Wir gehen auch davon aus, das sie kommen und richten dementsprechend die Hörsäle und Übungen aus. Und dann merken wir bei den Übungsanmeldungen - wir haben so Vorlesungs- und Übungsbetrieb, wo sich Leute auch einschreiben müssen - dass die Zahlen ein Stück weit geringer sind als das, was sich eingeschrieben hat.
    Es sei schon ein Phänomen, sagt Bernhard Emmer, der Leiter der Studienangelegenheiten an der Fakultät für Physik. Und zwar bei allen seinen Kollegen in ganz Deutschland. Von 600 eingeschriebenen Studierenden kämen an der LMU ungefähr 450 tatsächlich in die Seminare. Mittlerweile stelle man sich darauf ein und gehe von vornherein von Schwund aus.
    Begünstigt wird ein Parkstudium dadurch, dass Anwesenheitslisten nicht mehr geführt werden dürfen von den Professoren, kritisiert Emmer. Solange Scheine und Prüfungen abgelegt werden, muss es den Hochschulen egal sein, wie ein Student sein Wissen erwirbt - Folge des Bologna-Prozesses. Verhindern kann man das Phänomen fast gar nicht, so der Leiter des Prüfungsamts Physik:
    "Ich meine, man könnte Prüfungssanktionen nachschieben, dass man sagt, gleich im ersten Semester werdet ihr entsprechend hart behandelt. Das ist gerade in naturwissenschaftlichen Bereich für die Leute, die es ernsthaft studieren, ein Problem, man braucht doch eine gewisse Zeit, um sich an der Uni zurechtzufinden. Wir wollten da eigentlich nicht sofort die regulären Studenten, die sich ernsthaft bemühen, dann gleich damit bestrafen, weil wir eine Reihe von Parkstudenten haben."
    Vergünstigungen mit Studenten-Status
    Vor allem seit die Studiengebühren in Bayern wegfielen und das Semesterticket für den öffentlichen Nahverkehr eingeführt wurde, nutzen junge Leute gern die Universität, um einen Studentenausweis zu bekommen. Studieren wollten sie von vornherein nicht. Selbst bei einem oder zwei Semestern Fake-Studium lohnen sich die Vergünstigungen bei Veranstaltungen, Bahntickets, Krankenversicherungen, Mensaessen - in München allemal. Auch das Kindergeld wird weiterbezahlt.
    An seiner Fakultät in den Naturwissenschaften sei die wachsende Zahl an Scheinstudierenden überaus ärgerlich, so Emmer, weil die Professoren extra teure Experimentierplätze vorbereiten würden und dann viel weniger Studierende teilnehmen als sich angemeldet hätten. Das koste seine Fakultät Arbeitsstunden, Material und auch Nerven. Der positive Effekt, dass er scheinbar mehr Erstsemester vorweisen könne, schlage sich am Ende ins Gegenteil um, dann wenn die Zahl der scheinbaren Abbruchzahlen wächst.
    Das Thema Scheinstudenten wird von den Universitäten bislang lieber totgeschwiegen. Hauptsache viele Erstsemester, denn die Hochschulen erhalten "Kopfgeld" - die Höhe der staatlichen Zuwendungen richtet sich nach der Anzahl der Studienanfänger.
    Caroline Trautmann, Leiterin des Prüfungsamtes der Geistes- und Sozialwissenschaften der LMU sieht - anders wie Bernhard Emmer - keine wachsenden Zahlen an Scheinstudierenden. Der Bologna-Prozess mit den Bachelor-Studiengängen könnten aber durchaus das Phänomen "Parkplatz Uni" begünstigen, so Trautmann:
    "Für die Studiengänge, die in letzter Zeit ihre Prüfungsordnungen geändert haben, weil das wohl auch so der Wille der Politik ist, die haben die Grundlagen- und Orientierungsprüfungen eher abgeschafft, sodass sich der Zeitpunkt zu dem man quasi auffällig wird, verschiebt ins siebte oder achte Semester."
    Vergleichbar mit den früheren Langzeitstudenten
    Fakt ist: Das Phänomen Fake-Studium ist vergleichbar mit den früheren Langzeitstudenten, nur hat sich das Hinauszögern der Prüfungen mittlerweile zeitlich nach vorn verlagert. Auch weil das achtjährige Gymnasium Abiturienten dazu verleitet, nicht etwa früher, sondern später mit dem Studium zu beginnen.
    Lohnen würde sich das Parken in einem Studiengang selbst beim Warten auf das Wunschstudium aber nicht, meint man im Studentenwerk der Uni Augsburg. Denn die Semester würden nicht angerechnet. Außerdem kann der Studierende laut einem Gerichtsurteil bei einem Studiengangs- oder Hochschulwechsel den BAföG-Anspruch verlieren.