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Schmelztiegel der Kulturen

Es hat seinen festen Platz in der Popmusik, der Küche und der Kunst. Es steht für Lebenslust, für den Schmelztiegel der Völker und Rassen: Kreolisch, creole, créole gilt in vielen Sprachen als Synonym für das Cross-over der Kulturen, für die würzige Melange vieler Eigenschaften, die für sich allein genommen langweilig wären. Aber kaum jemand weiß, dass die Entstehung des Begriffs bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht - in die dunkle Zeit europäischer Kolonialherrschaft und Sklaverei. Heute ist Kreolisch in mehreren Inselstaaten der Welt offizielle Landessprache, trotz der Dominanz von Englisch, Französisch und Spanisch. Auch auf St. Lucia, dem Inselparadies in der Karibik, das kleiner als Hamburg ist, sprechen die etwa 160.000 Einwohner kreolisch. Das tropisch grüne Eiland, das zu den Kleinen Antillen gehört, und die Form eines Wassertropfens hat, liegt zwischen seinen Nachbarn St. Vincent und Martinique - ein Glied in der Inselkette zwischen Nord- und Südamerika. St. Lucia wechselte im Laufe seiner Geschichte 14 Mal zwischen Engländern und Franzosen den Besitz. Hier erlebt Kreolisch eine Renaissance.

Von Michael Marek und Sven Weniger |
    Castries, 5:30 Uhr morgens: Es ist noch dunkel, die laue Luft weich wie Seide. In der Hauptstadt St. Lucias laufen bereits die Transistoren heiß. Sam Flood stürzt sich in den Tag. Und die Stimme des 42-Jährigen überschlägt sich wieder einmal. Flood ist Radiomoderator auf HOT 105,3 - und eine Legende. Juke Bois nennen sie ihn hier. Das meint so viel wie: der Mann, der die Missstände "aufspießt". In seiner Morgen-Show kümmert sich Flood um die alltäglichen Ungerechtigkeiten: Ein neuer Fall von Korruption, Polizeiwillkür, Verschwendung von öffentlichen Geldern - Sam prangert die Schludrigkeit der Behörden an, die Ignoranz von Politikern. Niemand und nichts ist vor seiner Angriffslust sicher - und seiner beißenden Ironie. Dafür lieben ihn seine Hörer. Umso mehr, als Juke Bois sie in ihrer eigenen Sprache anredet - auf kreolisch.

    Jahrhundertelang wurden die St. Lucians, die Nachfahren schwarzer Sklaven unterdrückt. Die weißen Kolonialherren verboten ihnen, in ihrer eigenen Sprache zu reden, Kreolisch, dieser weichen Verbindung aus afrikanischen Dialekten und Französisch. Unter britischer Verwaltung waren Kreolisch und dessen Alltagsslang Patois verpönt - und im öffentlichen Leben geächtet. So sehr, dass selbst die Insulaner ihre eigene Sprache für minderwertig hielten:

    "Während meiner Kindheit verboten mir sogar meine Eltern, kreolisch zu sprechen, obwohl sie selbst kein Englisch konnten. Sie hielten Kreolisch für ein Zeichen mangelnder Erziehung. Auch in der Schule war es verboten. Ich fand das damals schon sehr erniedrigend, schließlich unterhielten wir uns miteinander nur auf Kreolisch oder Patois. Darin konnten wir alles sagen. Vieles kannst Du gar nicht anders ausdrücken. Witze, beispielsweise, kann man nur auf Kreolisch gut erzählen. Die Leute rasten dann aus vor Lachen."
    Primus Hutchinson weiß, wovon er spricht. Er machte Kreolisch in der Öffentlichkeit wieder salonfähig. Wir treffen den Vater des kreolischen Fernsehens und Radios in einem Café. Klein, mit pechschwarzer Haut und spindeldürr sitzt er uns gegenüber. Kaum ein Wort ist dem 72-jährigen Rentner nach der Begrüßung zu entlocken. Er ist äußerst zurückhaltend, fast schüchtern. Erst als wir ihn nach den Anfängen seiner Mission fragen, sprüht er urplötzlich vor Energie:

    "Vor mehr als 20 Jahren fing ich an, für die Regierung Radio und später Fernsehen auf Kreolisch zu machen - oder kwéyòl, wie wir sagen. Zuerst waren es Nachrichten, dann auch Features, Dokumentationen und Musiksendungen. Kaum jemand glaubte an den Erfolg. Doch irgendwie muss ich es wohl ganz gut gemacht haben. Denn bald waren die Leute begeistert, dass wir sie in ihrer eigenen Sprache anredeten."

    "Ich entwickelte zwei Programme, die ich Réfléchi und Vision nannte - also Rückschau und Vorschau. Wir berichteten über das, was in der letzten Woche auf St. Lucia passiert war und brachten Ankündigungen, Tipps und Kommentare für die nächste Woche. Das hat mich so populär gemacht. Noch heute rufen mir die Leute auf der Straße die beiden Spitznamen hinterher: Réfléchi! Vision!"

    Sein Erfolg stehe für die späte Anerkennung einer Sprache, die in den Augen der Europäer lange als minderwertig galt, erklärt Primus Hutchinson. Eine verhängnisvolle Geschichte: Kreolische Sprachen entwickelten sich ab Mitte des 17. Jahrhunderts. Die oft aus verschiedenen Regionen Afrikas verschleppten Sklaven mussten in ihrer neuen Heimat eine eigene, gemeinsame Sprache entwickeln, in der sie sich gleichzeitig mit den weißen Herren verständigen konnten. Dies galt vor allem für das Leben auf jenen Inseln, die geografisch und kulturell besonders stark isoliert waren. Hier war der Druck zur Anpassung besonders groß. Dabei bildeten sich eine eigene Grammatik, Syntax und Phonetik. So entstand eine neue Muttersprache, mit der die nachfolgenden Generationen aufwuchsen:

    "Kwéyòl wird auf vielen Karibikinseln gesprochen, die irgendwann einmal unter französischem Einfluss standen: Grenada, Trinidad, Martinique, Guadeloupe, Haiti, Dominica, aber auch auf Mauritius und den Seychellen. Das ist erstaunlich, denn obwohl diese Staaten Tausende Kilometer entfernt liegen und wir nie miteinander in Kontakt waren, sprechen wir nahezu dieselbe Sprache. Wir können uns ohne Probleme miteinander verständigen. Das bedeutet doch ganz offensichtlich: Kwéyòl hat sich in dieselbe Richtung entwickelt - unabhängig davon, wo die Sprache entstand."

    Markttag in Castries: Frauen feilschen vor und hinter einfachen Holzständen, die sich unter exotischen Früchten und Gewürzen biegen. Und obwohl es noch Vormittag ist, stehen gleich daneben im Dampf der Garküchen schon die ersten Hungrigen: Aus den Pfannen steigt scharfer Hühnchenduft auf. Reis- und Fischgerichte werden zubereitet. Hier, im Alltag, ist die Sprache der St. Lucians allgegenwärtig. Um uns herum: Kwéyòl und Patois. Besucher aus dem fernen Europa bekommen das fast nie zu Ohren, weil mit ihnen nur auf Englisch gesprochen wird, der zweiten offiziellen Landssprache. Doch hier bekommen wir es überall zu hören: diesen weichen, angenehm melodischen Fluss der Worte. Aus den harten Rs wird ein fast gehauchtes W. Einige Konsonanten wie Q und X fehlen ganz, und Akzente steigern die Vielfalt der gebräuchlichen Vokale. Wer gut Französisch spricht, kann sich recht schnell verständlich machen, und er versteht sogar ein wenig von dem, was um ihn herum gesprochen wird.

    Gleich gegenüber vom Markt halten die Busse. Menschen drängeln sich vorbei. Jeder will einen Sitz haben in den kleinen Minivans, die in rasanter Fahrt über die ganze Insel kurven. Wir haben Glück und sitzen vorne beim Fahrer. Die Aussicht ist hier am Besten.

    Umgerechnet zwei Euro kostet die Fahrt in den Süden. Billiger kann man nicht von Ort zu Ort kommen. Vor allem Frauen und junge Leute sind so unterwegs: Immer, wenn jemand entlang den Küstenstraßen aussteigen oder mitgenommen werden will, hält der Wagen. Dann geht die Tür auf, man begrüßt sich mit einem höflichen "Bonjou", und den Rest der schaukeligen Reise verbringen wir inmitten eines Tanzes: Die mit bunten Perlen, Kettchen, Strass und Spangen im Zaum gehaltenen Frisuren der Damen wippen unablässig zur Lieblingsmusik des Fahrers. Heute ist es Educator, einer der populärsten Sänger St. Lucias. Und natürlich singt er auf Kreolisch.


    Es geht vorbei an den beiden Wahrzeichen St. Lucias: den Pitons - zwei dunkelgrün bewaldete, fast achthundert Meter hohe Vulkankegel. Bei Laborie steigen wir aus. Oberhalb des Fischerdorfes mit dem malerischen Palmenstrand wohnt Joseph John mit seiner deutschen Frau. Die Obstplantage haben sie vor fünf Jahren gekauft. Der Blick hinunter auf den Atlantik ist einmalig. Joseph, der sich einst als Fremdenlegionär durchschlug und viele Jahre in Deutschland lebte, ist Schamane.

    Joseph ist eine imposante Erscheinung: unübersehbar sein bulliger Glatzkopf, dazu ein schwarzer Kampfanzug; an seinem Hals baumeln schwere Ketten, Amulette und ein veritabler Totenkopf. Ein karibischer Mister T. wie aus einer US-amerikanischen Actionserie. Zu Joseph kommen die Leute, wenn sie der Schuh drückt, wenn sie Heilung und Hilfe brauchen. Und selbstverständlich behandelt er alle in ihrer Sprache. Das schaffe Vertrauen, sagt Joseph:

    Ein Landarbeiter trottet in der Nachmittagshitze durch den Orangenhain zum Haus hinauf. Er hat starke Gliederschmerzen. Wie ein Häufchen Elend hockt sich der Mann auf den Stuhl des kleinen Behandlungszimmers. Joseph erklärt uns, was er jetzt macht:

    "Ich werde eine Analyse machen, seiner Nerven und sehen, (wo) seine psychische (und physische) Krankheiten sind. Ich werde ihm Fragen stellen, damit er spürt, wo seine Empfindlichkeit ist, wie sein Immunsystem ist - ja. Gut! Kreolisch"

    Mit seiner rechten Hand fährt Joseph über Arme, Schultern und Nacken des Patienten. Er drückt sie ihm gegen Bauch und Stirn, stellt ihm Fragen, wo es wehtut. Schon nach einer Viertelstunde spürt unser Patient, wie Wärme durch seinen Körper fließt, wie sich die Spannung in den Muskeln löst. Zufrieden steht er auf, bezahlt und geht. Die Menschen vertrauten seiner Kraft zu heilen nur, wenn er in ihren Augen glaubwürdig sei, sagt Joseph. Dazu gehöre nun einmal, dass er sie in Kwéyòl behandele, weil es seine Patienten gewohnt seien, darin ihre Sorgen und Nöte auszudrücken. Und natürlich sei auch sein Outfit wichtig, das, davon können wir uns selbst überzeugen, jedem Voodoo-Priester zur Ehre gereichen würde:

    "Das ist eine buddhistische Gebetskette mit 120 Perlen. Und jede ist ein Omen. Das ist für das Gebet zu den Ahnen. Das ist eine Pende-Maske, das ist ein Schutz - ja. Das ist, um die Krankheit von den Leuten, wenn ich mit ihnen arbeite, abzuwehren. Und das ist die Kralle des Adlers. Und das sind alte Perlen aus der Sklavenzeit - Münzgeld. Und dies ist eine tibetanische Perle für die Berge - um den Geist zu glätten. Das ist es - ja!"

    Wir bleiben noch eine Weile bei dem Schamanen und seiner Frau und genießen den karibischen Sonnenuntergang, der auch ganz ohne Zauberei traumhaft ist.

    Während Kreolisch im Alltag der St. Lucians lebendig ist, tat sich die geistige Elite der Insel damit deutlich schwerer. Künstler, Politiker, Wissenschaftler - wer auch immer etwas auf sich hielt, hatte eine streng britische Ausbildung genossen. Viele beherrschten die Sprache ihrer Vorfahren gar nicht mehr. Selbst Derek Walcott, der berühmte Literaturnobelpreisträger aus Castries, der stets den Kulturimperialismus der europäischen Kolonialherren verdammt hatte, tat dies ausschließlich auf Englisch. Erst im fortgeschritteneren Alter beklagte er die eigene Unfähigkeit, sich in der Sprache seiner Herkunft auszudrücken. Walcott suchte nach eigenen Worten in den "Scherben unseres Vokabulars", wie er es nannte:


    Wohin soll ich mich wenden, gespalten bis aufs Blut?
    Ich, der den betrunkenen Offizier
    Britischer Hoheit verfluchte, wie soll ich wählen
    Zwischen diesem Afrika und der geliebten englischen Zunge?
    Soll ich beide verraten oder zurückgeben, was sie geben?
    Wie kann ich solches Schlachten sehen und ruhig bleiben?
    Wie kann ich mich von Afrika wenden und leben?


    Walcott sei ein gutes Beispiel dafür, wie schwer es gewesen sei, Kwéyòl als Schriftsprache zu etablieren, meint Primus Hutchinson. Schließlich habe es bis weit ins 20. Jahrhundert hinein so gut wie keine Aufzeichnungen gegeben, sondern nur mündliche Überlieferungen. Auch die wenigen Gedichte des Lyrikers in seiner Muttersprache seien voller orthografischer Fehler. Und dann fügt er, den großen Autor entschuldigend, noch hinzu:

    "Als ich mit dem Radiomachen anfing, dachte ich: Es wird ganz einfach werden. Bis ich merkte, wie viel mir fehlte, obwohl ich als Kind schon immer Kreolisch gesprochen hatte. Ich musste mühevoll lernen, mich gut auszudrücken."

    Auf unserer Spurensuche fahren wir in den Norden der Insel. Dort treffen wir in Cap Estate Llewellyn Xavier. Er ist einer der berühmtesten Maler St. Lucias. Seine Bilder hängen in den großen Museen und Galerien der Welt. Llewellyn ist ein Globetrotter, ein stattlicher Bonvivant mit makellosem Oxford-Akzent in der sonoren Stimme. In seiner weißen Villa hoch über der Küste schlagen uns vier großformatige Ölgemälde in den Bann. Mit ihrem intensiven Farbspiel wirken sie wie schillernde Muschelbänke, die die Buntheit der Karibik eingefangen haben. Bei einem Glas Rotwein in seinem Atelier mit Panoramablick erklärt er uns, warum sein Werk ohne die Sprache seiner Vorfahren undenkbar wäre.

    "Ich bin bei meiner Großmutter aufgewachsen, die nur Kreolisch sprach. Die Geschichten, die sie mir vorlas, waren so emotional, so expressiv, moralisch, lautmalerisch. Genauso wollte ich mich auch auf der Leinwand ausdrücken. Unsere Sprache und das, was ich sehe, wenn ich aus diesem Fenster blicke, sind zwei Seiten derselben Medaille. Beides inspiriert mich bis heute. Aber dennoch habe ich mich durch meine Schulzeit auf Barbados künstlerisch weiterentwickelt. Ich habe neue Stile entdeckt während meines Studiums in England, während meiner vielen Reisen durch Europa und die Welt."

    Natürlich ist es absurd zu glauben, Kwéyòl könne so ausdrucksreich wie Englisch sein mit seiner langen Literaturgeschichte. Man darf nicht vergessen, dass Kwéyòl relativ jung ist. Ihm fehlt das Abstraktionsniveau europäischer Sprachen, das über lange Zeit gewachsen ist. Doch die sinnliche Kraft meines Werkes ist ohne unsere Sprache nicht denkbar.

    "Sprache ist Kunst, und ganz sicher ist Kunst auch Sprache."

    Mittlerweile ist Kreolisch aus dem Kulturbetrieb St. Lucias nicht mehr wegzudenken: Im Theater, in der Musik, in den Medien - die Sprache der schwarzen Vorfahren findet im öffentlichen Leben immer größere Anerkennung. Kürzlich wurden sogar Teile des Evangeliums auf Kreolisch übersetzt. Und für Llewellyn Xavier war es einer der bewegendsten Momente seines Lebens, die Botschaft der Bibel in seiner Muttersprache zu lesen. Das neue sprachliche Selbstbewusstsein zeigt sich auch in der Politik: Die Generalgouverneurin St. Lucias, Pearlette Louisy, eine studierte Sprachwissenschaftlerin, hält ihre Parlamentsreden auch in der Landessprache. Vor gut 30 Jahren wäre das noch unmöglich gewesen. Seit einiger Zeit bemüht sich auch das Folk Research Centre in Castries um den Erhalt von Kwéyòl und Patois. Dort versucht man, das sprachliche Erbe St. Lucias digital zu archivieren und für jedermann zugänglich zu machen.

    "Das Folk Research Centre ist eine Nichtregierungsorganisation. Wir arbeiten daran, unsere kreolische Alltagskultur, unsere Bräuche zu überliefern und zu pflegen. Wir wollen, dass sie nicht verloren gehen. Und natürlich ist der Erhalt von Kwéyòl und Patois die schwierigste Aufgabe."

    Kentry Jeanpierre arbeitet in einer heruntergekommenen Villa hoch über dem Stadtzentrum. Dass es hier an Geld mangelt, ist auf den ersten Blick zu sehen. Es ist kahl und schmucklos, in seinem Büro stehen zwei Stühle, ein Schreibtisch, Telefon und ein alter PC. Kentry organisiert die Arbeit der Forschungseinrichtung mit bescheidenen finanziellen Mitteln. Das meiste Geld wird gespendet.

    "Wegen unserer kolonialen Vergangenheit schauen die Leute erstmal ins Ausland, wenn es um die Zukunft unseres Landes geht. Wir hier im Folk Research Centre wollen zeigen, dass wir stolz auf uns selbst sein können. Deshalb haben wir angefangen, alle Tonaufnahmen in Kwéyòl und Patois zu sammeln, die wir finden können. Bis jetzt sind es über zweitausend, meist auf alten Tonbändern und in schlechtem Zustand. Das Material aufzubereiten, zu digitalisieren und dann ins Internet zu stellen, ist unsere größte Herausforderung. Denn wir haben kaum Geld dafür. Und dann engagieren wir uns natürlich auch beim Jounen Kwéyòl-Festival."

    "Jedes Jahr Ende Oktober feiern wir den Jounen Kwéyòl, den Kreolischen Tag."

    Das Festival ist das Event auf St. Lucia, bestätigt auch Primus Hutchinson:

    "So halten wir unsere Traditionen, unsere Kunst, unsere Sprache lebendig. Anfangs sollte das Ganze nur einen Tag dauern. Aber dann hatten wir einen derartigen Erfolg, dass wir jetzt einen ganzen Monat lang Veranstaltungen haben. Auch international findet der Jounen Kwéyòl inzwischen große Beachtung."

    Stolz klingt in seiner Stimme, wenn er über Straßenpartys, Kochfeste und Musikkonzerte spricht, die jedes Jahr von vier anderen Gemeinden der Insel ausgerichtet werden. Höhepunkt ist der 28. Oktober: Dann sprechen die St. Lucians miteinander einen ganzen Tag nur Kreolisch und Patois - und tanzen zu den Hits der Saison.

    Und dann schwärmt er spontan auf Kreolisch weiter.

    Es ist Abend geworden. Noch immer sind es 28 Grad. Die Luft schmeckt nach Meer. Wir treffen Claudette Adjodha. Die große, weißhaarige Schönheit ist Sängerin. Wenn sie ihre Gitarre in die Hand nimmt und eines ihrer kreolischen Liebeslieder anstimmt, wird es ganz still unter den Gästen in der luftigen Lounge des Jade Mountain. Nur die Zikaden draußen singen unbeirrt weiter, und eine Karibikbrise streicht über die nach allen Seiten offene Terrasse des Hotels.

    "Das Lied erzählt von einem jungen Mann - und von einer Lüge. Er hat sich verliebt und sagt seiner Mutter, er werde zum Beten in die Kirche gehen. Aber stattdessen trifft er sich mit seiner Geliebten. Schöne Worte wählt er, um ihr zu imponieren, zum Beispiel, dass sie so schön sei wie der Mond."

    Das Jade Mountain ist mehr als nur St. Lucias exklusivstes Hotel. Es ist auch ein künstlerischer Ort, den die Besitzerin, Karolin Troubetzkoy, zur Kunstgalerie und Performancebühne gestaltet hat. Neben Claudette treten hier regelmäßig andere Insel-Bands auf. Zimmer, Bäder, Bars und Lobby wurden von lokalen Malern und Bildhauern gestaltet.

    Karolin Troubetzkoy ist dabei weniger Schöngeist als Managerin mit gesellschaftspolitischem Anliegen. Denn sie arbeitet auch als deutsche Honorarkonsulin. Für die Mittvierzigerin mit dem kastanienbraunen Haar ist Entwicklungshilfe vor allem eines: Schutz des kulturellen Erbes ihrer zweiten Heimat:

    "Früher fand ich doch, dass alle Insulaner mit dem schönen Patois kamen, zwar Englisch sprachen, aber vielleicht nicht ganz so gut. Mittlerweile hat sich das ein bisschen verändert, gerade durchs Fernsehen, weil natürlich jetzt doch alle - die neue Generation spricht fließend Englisch und hat dann vielleicht so ein paar Patois-Wörter vergessen. Aus dieser Entwicklungsgeschichte heraus ist es auch so gekommen, dass die Schulen auch mehr darauf bedacht waren, dass die Kinder richtig Englisch lernen, und sie sind dann davon ausgegangen, dass die Kinder ja mit Patois-Kenntnissen ankommen, und dass man ihnen dann mit dem Englischen helfen muss. Jetzt hat sich vielleicht das ganze Selbstbewusstsein der Insel soweit ergeben, dass man nun auch mal zurückblicken und sagen kann: Ok, es spricht halt nun jeder englisch. Wir können jetzt auch mal wieder sicherstellen, dass alle auch ihre Patois-Kenntnisse erhalten und beibehalten werden. Und das finde ich sehr schön. Weil es ist ja eine melodische Sprache, und man sollte die auf keinen Fall vergessen, trotz allen Fortschritts."

    Karolin nimmt uns am nächsten Morgen mit nach Bouton, ein kleines Dorf in der Nachbarschaft. Dort balanciert hoch auf dem Kliff das Schulhaus der Bouton Combined School. Mit dem Geld deutscher Steuerzahler wurde gerade die neue Küche der Grundschule eröffnet. Ausländer sieht man hier nur sehr selten. Dementsprechend aufgeregt sind die Kinder, als wir aus dem Geländewagen steigen.

    Etwa zwanzig Mädchen und Jungen zwischen acht und zwölf Jahren kommen aus den drei Klassenräumen. Sie versammeln sich im Schatten eines alten Baumes auf dem kleinen Platz vor dem Gebäude. Sie umschlingen unsere Beine, greifen nach unseren hellen Haaren, lachen. Einige Mutige fragen uns auf Englisch, woher wir kommen.

    Bernadette Southwell, die Direktorin, ruft sie geduldig zur Ruhe. Denn sie sollen für uns Kreolische Kinderlieder singen.

    Es sind Momente, in denen wir tiefe Harmonie empfinden, als wir die Kinder dabei erleben, wie sie klatschend im Kreis laufen, die Älteren die Kleineren an die Hand nehmen, die sich mit ernsten Gesichtern darauf konzentrieren, den Rhythmus einzuhalten. Und über uns ein sonnensatter Himmel bis zum Horizont der karibischen See.

    "Ich denke, Englisch und Kwéyòl-Patois sollten sich in der Schule ergänzen. Wir müssen in beiden Sprachen mit den Kindern sprechen, dann lernen sie nicht nur besser die Fremdsprache Englisch, sondern eben auch ihre eigene Muttersprache."

    Bernadette Southwell ist eine gewichtige, bedächtige Frau in dunkelgrauem Kostüm. Über 30 Jahre Schuldienst liegen bereits hinter ihr - Zeit genug, sich Gedanken über den Sprachenkonflikt auf St. Lucia zu machen:

    "Ich glaube nicht, dass wir die Sprache unserer Eltern vergessen werden. Aber es gibt ein Problem: Die Leute sprechen zwar Patois, die meisten können aber kreolisch weder lesen noch schreiben. Lange Zeit gab keine festgelegte Orthografie. Nur in der Schule können wir dafür sorgen, dass künftige Generationen damit keine Schwierigkeiten mehr haben."

    Gerade einmal 20 Jahre ist es her, dass der Dorfschullehrer Jones Mondesir aus Soufrière das erste kreolische Wörterbuch schrieb. Seit 2001 gibt es eine kind- und schulgerechte Version, das Kwéyòl Dictionary. Es wird herausgegeben vom Erziehungsministerium St. Lucias. Auch die Kinder der Bouton Combined School lernen damit. Kreolisch gewinnt wieder an Einfluss auf St. Lucia.

    "Patois steht stellvertretend für die tiefe Bedeutung, die unsere Geschichte für uns St. Lucians hat; nämlich, wo alles begann, woher wir kamen und wo wir heute stehen. Daran erinnert uns unsere kreolische Sprache."

    Primus Hutchinson: "Kreolisch ist auf dem Weg nach oben. Es wird neben Englisch weiter bestehen. So sehe ich seine Zukunft."


    "Obwohl man nun vielleicht mit der englischen Bürokratie belastet ist, hat man den Charme des Kreolischen im Hintergrund, der doch in der Gastfreundschaft vorrangig ist", "

    sagt Karolin Troubetzkoy.

    ""Also, vielleicht, das Englische ist unsere Bürokratie, aber das Kreolische ist das Herz der Insel."

    Am nächsten Morgen ist Sam Flood wieder auf Sendung - und feuert seine Sprachsalven ab. So wie jeden Morgen. Und die Leute werden ihn weiter dafür lieben, dass er so redet wie sie selbst - auf Kwéyòl.