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Schmidt: EU darf nicht mehr an den Symptomen herumkurieren

Der Abgeordnete der Grünen im Europäischen Parlament, Fritjof Schmidt, hat einen anderen Kurs der EU gegenüber Afrika angemahnt. Es werde derzeit eine Handelspolitik mittels Subventionen betrieben, die oftmals die Erfolge der Entwicklungshilfe zunichte mache. Wichtig sei es, die befristete Arbeitsmigration zum Beispiel für Erntehelfer nach Europa zu ermöglichen. Dadurch ließe sich die Zahl der Bootsflüchtlinge verringern.

Moderation: Philipp Krohn | 08.12.2007
    Philipp Krohn: Ein Teil der EU-Afrika-Strategie beschäftigt sich damit, wie künftig die Zuwanderung afrikanischer Flüchtlinge nach Europa geregelt werden soll. Darüber habe ich vor der Sendung mit dem Grünen-Politiker Fritjof Schmidt gesprochen, er ist stellvertretender Vorsitzender des Entwicklungsausschusses im Europaparlament. Zunächst habe ich ihn gefragt, wie eine strategische Partnerschaft beim Thema Migration aussehen müsse.

    Fritjof Schmidt: Ich glaube, entscheidend ist, dass wir eine Politik aus einem Guss machen und nicht in dem einem Politikfeld, das konterkarieren, was wir im anderen Politikfeld machen. Also wir geben Entwicklungshilfe, um dort Arbeit zu schaffen, wirtschaftliche Entwicklung zu gestalten, damit die Menschen vor Ort ein Auskommen haben und bleiben können und dann machen wir auf der anderen Seite eine Handelspolitik im Bereich unserer landwirtschaftlichen Exporte, im Bereich der Fischereipolitik, die genau diese wirtschaftlichen Entwicklungen wieder zunichte macht und dann wundern wir uns am Ende, wenn wir Menschen haben, die aus wirtschaftlichen Gründen aus ihren Ländern emigrieren.

    Krohn: Muss denn Entwicklungshilfe daran geknüpft werden, dass die afrikanischen Staaten auch illegale Migranten wieder zurücknehmen?

    Schmidt: Nein, ich glaube, dass das ein Zusammenhang ist, wenn man das so auszäumt, dann kuriert man an bestimmten Symptomen herum. Viel entscheidender ist, dass wir über die Ursachen reden, warum die Menschen gehen und dass wir dort im Bereich unserer Außenhandelspolitik entsprechende Veränderungen vornehmen und auch, dass wir den Klimawandel bekämpfen, denn es gibt einen Migrationsdruck aus dem inneren Afrikas, durch die verstärkt Wüstenbildung an die Küstenregionen, wo die Menschen dann kein wirtschaftliches Auskommen finden, unter anderem, weil unserer Fischereiflotten dort die Fische wegfangen, die dringend für die Eiweißversorgung der Bevölkerung nötig sind.

    Krohn: Welche Hauptursachen sehen Sie außer dem Klimawandel?

    Schmidt: Es sind im Wesentlichen, glaube ich, für das Problem drei große Ursachen. Das ist, wie gesagt, einmal der Klimawandel. Das andere ist eben die Auswirkung etwa unserer Agrarexporte, dass wir eine landwirtschaftliche Entwicklung immer wieder konterkarieren, wenn wir etwa in der Entwicklungspolitik den Anbau von Tomaten fördern, damit dann die Bauern, die auf den lokalen Märkten verkaufen können und dann plötzlich den Markt in Westafrika mit Dosentomaten aus italienischer Produktion überschwemmen, die viel billiger sind, als die einheimischen Tomaten. Dann brauchen wir uns nicht wundern, dass die, mit viel Geld der Europäischen Union finanzierten Entwicklungsprojekte dann langfristig nicht funktionieren.

    Krohn: Welchen Beitrag müssen denn die afrikanischen Staaten leisten?

    Schmidt: Ich glaube, dass die afrikanischen Staaten natürlich in dem Bereich einer guten Regierungsführung auch eine entscheidende Bringeschuld haben. Darüber reden wir auch mit ihnen, dass sie genau sich darum bemühen müssen, dass der Staat gut funktioniert, dass die Korruption eingedämmt wird. Da gibt es viel zu tun in dem Bereich, aber noch einmal, ich glaube, dass wir entscheidend wirtschaftlich und wirtschaftspolitisch am längeren Hebel sitzen und dass wir ganz entscheidend Einfluss nehmen können darüber, dass wir unsere Außenwirtschaftspolitik verändern.

    Krohn: Aber Herr Schmidt, was bedeutet gute Regierungsführung, wenn wir jetzt diesen Bereich Migration mal gesondert betrachten?

    Schmidt: Ich sagte ja, ein zentraler Bereich ist die Korruptionsbekämpfung, dass es wirklich so ist, dass wenn wirtschaftliche Entwicklung gefördert wird, die Rahmenbedingungen bestehen, dass es Sicherheiten in den Ländern gibt, dass die Leute sich sicher fühlen können, wenn sie auf die Märkte gehen, und, und, und in diesem Bereich. Aber das Entscheidende ist eben, dass wir eine wirtschaftliche Entwicklung hinbekommen und dazu ist die Frage, wie gehen wir mit unseren subventionierten Exporten auf diesen Märkten um, eine Schlüsselfrage.

    Krohn: Die EU finanziert unter anderem auch den Kampf gegen Menschenhandel. Dienen denn solche EU-Töpfe wirklich der Armutsbekämpfung?

    Schmidt: Nicht direkt der Armutsbekämpfung, die sind natürlich wieder ein Kurieren an Symptomen, dass wir sagen, wir haben Menschenhandel und wir wollen das unterbinden. Aber die entscheidende Frage, warum zahlen Menschen hunderte von Euro, um in einem ganz kleinen Boot, über 1200 Kilometer auf hoher See, unter dem Risiko dazwischen zu ertrinken, warum nehmen Menschen dieses Risiko auf sich? Warum gehen sie? Das ist die entscheidende Frage, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Die Gründe habe ich eben zum Teil angesprochen.

    Ein weiterer Punkt ist, dass wir für viele Landarbeiter, die gerne in Spanien oder Süditalien bei der Obsternte arbeiten wollen, keine befristeten Arbeitsverhältnisse anbieten. Das wäre, glaube ich, ein weiterer entscheidender Punkt, dass wir die Möglichkeit für legale Arbeitsmigration in diesen Bereichen geben. Die Arbeitskraft in den südeuropäischen Ländern wird ja durchaus nachgefragt. Es gibt dort viele, viele tausende Schwarzarbeiter und auch in diesem Bereich müssten wir unsere Politik verändern.

    Krohn: Wie sollten wir sie verändern? Nun war ja gerade in dieser Woche das Treffen der Arbeits- und Sozialminister, Arbeitsminister Scholz und Innenminister Schäuble haben wiederholt darauf hingewiesen, dass die Gehaltshürden für Fachkräfte noch höher gesetzt werden sollten. Ist das denn im Sinne der afrikanischen Staaten?

    Schmidt: Ich glaube, der entscheidende Punkt ist, dass wenn man dort Büros hätte, wo Menschen sich melden könnten, die für eine befristete Zeit etwa im Ernteeinsatz in Südeuropa arbeiten wollen und dann auch die Möglichkeit bekommen, legal für, sagen wir mal, sechs Monate eben nach Spanien zu gehen, um das als Beispiel zu nehmen und dort auf den Plantagen zu arbeiten, dann auch wieder zurückgehen, dass wir damit eine regulierte Arbeitsmigration hinbekommen könnten, die dann den Anreiz, 1200 Kilometer in einer Nussschale über den Atlantik zu fahren doch gegen Null gehen lässt.

    Krohn: Ja, und wenn wir auf die Fachkräfteproblematik eingehen, dann, wie können wir da den afrikanischen Staaten entgegen kommen?

    Schmidt: Da ist, glaube ich, noch mal entscheidender, dass ja in den afrikanischen Staaten selber dringend Fachkräfte benötigt werden. Da ist es sehr, sehr wichtig, dass wir auch durch entwicklungspolitische Maßnahmen dafür sorgen, dass gut ausgebildete Kräfte im Gesundheitsbereich, im Bereich des Ingenieurwesens, im Bereich der Verwaltung dann dort Arbeitsplätze angeboten bekommen, die wieder für die wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern dringend nötig sind und dass wir nicht eine Politik machen, die die an unseren Universitäten gut ausgebildeten Fachkräfte dann gewisser Maßen absaugt, mit einem Staubsaugereffekt, man sagt, dass es in Großbritannien inzwischen mehr westafrikanische Ärzte gibt, als in ganz Westafrika.

    Krohn: Das heißt, nach ihrer Ansicht ist es so, wenn wir die Schlüsselkräfte von dort anziehen, dass dort die Probleme noch verschärft werden?

    Schmidt: Ja, das ist dann so, weil wir natürlich für die Entwicklung dieser Länder, ich habe gute Regierungsführung angesprochen, gut ausgebildete Fachkräfte, ganz ganz entscheidend sind, Leute, die eben in der Lage sind, eine moderne Verwaltung entsprechend zu führen, brauchen eine entsprechende Ausbildung und ein entsprechendes Bildungsniveau. Wenn wir den Gesundheitssektor, den Bildungssektor ausbauen wollen, brauchen wir Menschen, aus diesen Ländern, die in der Lage sind, das zu leisten, und wenn wir die dann auf der anderen Seite abwerben, dann machen wir auch wieder einer Entwicklungsanstrengung, wieder mit Steuergeldern der Europäischen Union auf den Weg gebracht, mit einer anderen politischen Maßnahme zunichte.

    Krohn: Herr Schmidt, wenn man mal die Perspektive wechselt und von Afrika aus blickt, dann erscheint es so, als würden die Hürden immer größer gebaut. Die Grenzschutzagentur Frontex wird ausgebaut, der Zuzug wird erschwert. Welche Signale kommen aus der EU in Afrika an?

    Schmidt: Ja, es kommt das Signal an, dass wir mehr auf Abschottung setzen und damit mehr an den Symptomen herumkurieren, als dass wir bereit sind, in den Sektoren, wo wir selber vielleicht auch schmerzhafte Anpassungsmaßnahmen leisten müssten, etwa in unserer Fischereipolitik oder bei unseren Agrarexporten, dass wir da nicht bereit sind, wirklich substanziell etwas zu tun. Das hat sich auch bei den Verhandlungen jetzt in diesem Jahr über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen gezeigt, die ja bisher zu keinem wirklich guten Ende geführt haben und wo die afrikanischen Länder massiv beklagt haben, dass die Europäische Union sie deutlich unter Druck setzt und versucht, Abkommen zu diktieren, die dann mehr im wirtschaftlichen Interesse der Europäischen Union sind, als im entwicklungspolitischen Interesse Afrikas.

    Krohn: Ist denn dann überhaupt davon auszugehen, dass auf dem EU-Afrika-Gipfel eine substantielle Verbesserung kommen wird?

    Schmidt: Es ist auf jeden Fall wichtig, dass man dieses Treffen hat und sich dort über gemeinsame Zeile verständigt. Der Dialog muss geführt werden und das ist auf jeden Fall begrüßenswert, auch detailliert Pläne auszuarbeiten, in welchen Bereichen man dann solchen Dialog führen will. Aber entscheidend ist die praktische Umsetzung. Und wenn man sagt, wir wollen Partnerschaft im Bereich von Handel, dann ist eben ganz entscheidend, wie so etwas im Wirtschaftspartnerschaftsabkommen umgesetzt wird und da liegt der Teufel in der Praxis.
    Krohn: Fritjof Schmidt, der stellvertretende Vorsitzende des Entwicklungsausschusses im Europaparlament, Danke für das Gespräch.

    Schmidt: Gerne.