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Schmidt

Gode Japs | 08.06.2003
    Japs: Frau Schmidt, wie fühlt sich eigentlich eine sozialdemokratische Ministerin für Gesundheit und Soziale Sicherheit, wenn ihr vorgeworfen wird, sie betreibe sozialen Raubbau, gerade bei den sozial Schwachen – etwa wenn das Sterbegeld gestrichen wird oder künftig die Versicherten allein das Krankengeld finanzieren müssen?

    Schmidt: Da halte ich dagegen, dass das kein Sozialabbau ist, sondern wir müssen unter veränderten ökonomischen Bedingungen dafür sorgen, dass eines in Zukunft gewährleistet wird in der Gesundheitspolitik: Dass jeder – unabhängig vom Geldbeutel und vom Alter – den gleichen Zugang zu medizinischen Leistungen hat auf der Höhe des medizinischen Fortschritts. Und da muss man sehr genau gucken, was kann man noch finanzieren über die Krankenkasse, und was kann man nicht mehr finanzieren. Und insofern biete ich da immer die Diskussion mit mir an.

    Japs: Aber bei der Gesundheitsreform werden die Patienten doch kräftig zur Kasse gebeten, ich nenne nur höhere Zuzahlung bei Arzneimitteln, eine deftige Praxisgebühr sowie die höhere Tabaksteuer.

    Schmidt: Also, erstens sind nicht alle Patienten und Patientinnen Raucher und Raucherinnen, Gott sei Dank nicht, sondern ein Drittel. Raucher und Raucherinnen verursachen auch sehr hohe Kosten in der Krankenversicherung. Ich halte eine höhere Tabaksteuer für gerechtfertigt – erstens, weil ich möchte, dass junge Menschen den Tabakkonsum reduzieren. Immerhin rauchen 28 Prozent der 11- bis 17-jährigen regelmäßig, und wir wissen, dass die teilweise ein 50 bis 70 Prozent höheres Krebsrisiko haben. Und das Zweite ist: Mit dem Einkommen der Tabaksteuer können wir endlich im Gesundheitswesen familienpolitische Leistungen, die nichts mit Krankheit zu tun haben, über Steuern finanzieren und damit die Beitragszahler und Beitragszahlerinnen entlasten. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Der zweite Bereich ist der: Wir wollen mit der Gesundheitsreform Strukturen verändern. Und bei diesen Strukturen kommt es darauf an, dass jeder Euro optimal eingesetzt wird und dass man auch Anreize setzt. Und bei den Zuzahlungen – die haben wir so organisiert, dass wir Anreize setzen für kosten- und gesundheitsbewusstes Verhalten. Wer das macht, der zahlt weniger als heute, wer das nicht macht und damit auch mehr Kosten verursacht, zahlt mehr – hat jeder die Freiheit. Und bei der Praxisgebühr ist es so, dass nur diejenigen, die ohne Überweisung und ohne Notfall zum Spezialisten gehen, dass die pro Quartal pro Arzt eine Praxisgebühr von 15 Euro zahlen sollen. Das ist sozial verträglich, weil auch jeder die Möglichkeit hat, dieses zu umgehen, indem er eben auch selber mit versucht, dass im System das Geld vernünftig und kostensparend eingesetzt wird.

    Japs: Nochmal zurück zur Tabaksteuer. Die kommt ja – ich sage mal – raucherfreundlich in drei Stufen. Von Abschreckung kann da doch nicht mehr die Rede sein?

    Schmidt: Die erste Anhebung – das sind immerhin, wenn man es mal in DM umrechnet, schon fast 80 Pfennig pro Packung. Das ist schon eine ganze Menge. Und wir machen die Anhebungen innerhalb von 18 Monaten. Das ist ein Versuch, dass man sagt: Die, die aufhören – das ist okay, die sollen aufhören. Aber wir haben eben bei einer drastischen Anhebung einen Ausweicheffekt, dass sehr viele versuchen, sich im Ausland die Zigaretten billiger einzukaufen oder dass auf illegale Waren zurückgegriffen wird und andere Dinge mehr. Und um das zu verhindern, haben wir das auf drei Stufen jetzt gemacht. Aber da es innerhalb von 18 Monaten passiert, ist es trotzdem eine Anhebung von einem Euro – das sind zwei Mark, das ist schon eine ganze Menge.

    Japs: Frau Schmidt, Sie betonen immer wieder, durch die Gesundheitsreform wird es kein Zwei-Klassen-System geben. Ist das nicht ein wenig Augenwischerei? Wer genügend Geld hat, kann sich in Zukunft doch eine optimale medizinische Versorgung kaufen.

    Schmidt: Sie hätten dann recht, wenn Sie sagen, heute bekommen die Menschen, die nicht genügend Geld haben, keine optimale medizinische Versorgung. Und ich glaube, dass da manchmal etwas Falsches über unser Gesundheitssystem gesagt wird. Das würde ja auch unterstellen, dass Ärzte in der Behandlung danach fragen, ob jemand zum Beispiel auf eine Intensivstation kommt, ob jemand lebenserhaltende und lebensverlängernde Maßnahmen erhält, ob Kinder – ich kenne Kinder in der gesetzlichen Krankenversicherung, die sind krank und die bekommen jeden Tag für 600 Euro, jeden Tag für 600 Euro Medikamente. Ich habe ältere Menschen, die mich anrufen – für 70.000 Euro im Jahr haben sie Medikamente. Das sind alles Mitglieder auch der gesetzlichen Krankenversicherung. Da gibt es keine Frage, wer ist in welcher Krankenkasse und welche Leistungen bekommt man. Dass jemand, der privat versichert ist, heute vielleicht vieles angeboten bekommt, manchmal eben auch bei Medikamenten Innovationen, die teuer sind, aber wo wir sagen, man kann sie auch günstiger verkaufen, weil das Gleiche schon auf dem Markt ist, das wage ich überhaupt nicht abzustreiten. Die Menschen fühlen sich auch manchmal schlecht behandelt, weil Ärzte – gegen die Vertragstreue – Kassenpatienten sagen: Dann müssen Sie sechs Wochen warten, während sie Privatpatienten sofort herannehmen. Das ist etwas, was ungerecht ist und was ich ja auch durch mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen überwinden will, indem ich sage: Die Kassen müssen auch mehr Möglichkeiten haben, mit Ärzten Verträge zu schließen, wo zur guten Qualität auch die gute Dienstleistung gehört und das gute Behandeln – jetzt mal von der Frage der Termine, der Aufnahme, der Ansprache der gesetzlichen Krankenversicherten abgesehen, denn darauf haben die Anspruch.

    Japs: Sie haben Termine angesprochen. Die Gesundheitsreform soll bereits am 18. Juni in einer Sondersitzung vom Bundestag beraten werden, für Anfang Juli ist dann schon die Schlussabstimmung im Parlament vorgesehen. Warum diese Eile? Das sieht doch ganz nach einem ‚Durchpeitschen’ aus.

    Schmidt: Nein, wir haben das lange diskutiert. Und da die Union erklärt hat, sie würde im Bundestag nicht verhandeln, dann können wir auch sehr schnell hier zur zweiten und dritten Lesung kommen. Ich brauche die Verhandlungen auch mit der Opposition, damit wir in diesem Jahr zu einem Abschluss kommen können. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Sehen Sie mal, trotz der Spargesetze haben die Kassen im ersten Quartal wieder ein Defizit auch geschrieben, weil eben die Einnahmen zurückgehen. Und wir brauchen dringend die Strukturveränderungen. Und jeder Tag ist wichtig, und deshalb dränge ich darauf, dass wir sehr schnell ‚zu Potte kommen’, dass die Union sich endlich aufstellt, dass die Union endlich einmal sagt, was sie denn eigentlich will und auf welcher Basis wir verhandeln können. Und da hilft, glaube ich, nur Klarheit, dass wir schnell abstimmen mit der Regierungskoalition. Dann ist die Union gefordert, und dann müssen wir an den Verhandlungstisch, und dann müssen wir gucken, wo läuft die Kompromisslinie.

    Japs: Sie hoffen auf eine Konsenseinigung mit der Union, wie Sie eben gesagt haben, spätestens im Bundesrat. Gibt es denn dafür schon irgendwelche Signale seitens der CDU?

    Schmidt: Also bisher unterscheidet sich das ja je nach Stunde im Laufe eines Tages vielleicht dreimal - von einer Totalblockade bis Nichttotalblockade, bis einige es mittragen und andere es nicht mittragen. Das Problem der Union ist: Sie weiß noch nicht, was sie will. Und das Problem der Union ist: Sie haben noch nicht entschieden, wer eigentlich verhandeln darf. Darf es die Frau Merkel mit Herrn Seehofer im Deutschen Bundestag oder will es der Herr Stoiber, oder will eventuell der Herr Koch dort die Vorhand bekommen? Und das muss sich aber klären, denn eines, glaube ich, ist den Parteien bewusst: Wir brauchen die Reform, und die Dinge werden nicht von alleine besser. Und ich brauche die Union vor allen Dingen, um wirklich zu Strukturveränderungen zu kommen, was mehr Wettbewerb bedeutet, mehr Transparenz, mehr Qualitätssicherung. Dazu brauchen wir auch die Opposition. Und das ist grundlegend, wenn wir nicht nur ein reines Kostendämpfungsgesetz machen wollen, was ich ja nicht will, sondern ich will ja wirklich an das Kernstück auch dieses Gesundheitswesens heran, damit es eben bezahlbar bleibt auch in Zukunft und sicher für die Menschen.

    Japs: Aber Frau Schmidt, angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ist es doch illusorisch zu glauben, Sie könnten Ihr Reformvorhaben hundertprozentig durchsetzen. Wo wird denn die Latte liegen?

    Schmidt: Ich glaube, es wäre falsch, zu sagen, ich gehe in Kompromissverhandlungen oder muss auch mit anderen mich einigen, wenn ich sage: Aber nur 100 Prozent das, was ich will! – Das sagt ja die Union schon mal. So läuft keine Verhandlung, sondern wir müssen ganz genau gucken, was sind denn Dinge, die wir alle wollen. Und ich erinnere nur mal daran, dass die Frage ‚Ausbau der Prävention’ – wird von allem im Munde geführt. Ich erinnere daran, dass Herr Seehofer mal von der ‚Zerschlagung der KV’en gesprochen hat, und deshalb besteht überhaupt kein Grund, zu sagen, wir könnten uns nicht einigen, dass wir die Kassenärztlichen Vereinigungen erst mal in Bezug auf die fachärztliche Versorgung anders organisieren. Es ist davon geredet worden: Wir brauchen eine Patientenquittung, wir brauchen so eine Gesundheitskarte. Das sind alles Dinge, von denen alle sprachen. Da sollte man sich drauf einigen. Dann gibt es vielleicht drei, vier Knackpunkte, und die werden wir dann verhandeln müssen. Und dann muss man gucken, wie man zueinander kommt. Für mich gibt es eine einzige Prämisse, an die ich nicht rütteln lassen werde, und das heißt: Das Gesundheitswesen muss so organisiert sein, dass es für die Menschen - egal ob Frau oder Mann oder deren Kinder, unabhängig vom Portemonnaie und vom Alter - den gleichen Zugang zu gesundheitlichen Leistungen auf der Höhe des medizinischen Fortschritts sicherstellt. Dazu müssen wir das Solidarsystem stabilisieren. Und über viele andere Punkte, wie ein Institut organisiert wird oder wie der Arzneimittelsektor liberalisiert werden kann – da bin ich ja immer offen, wer da noch bessere Ideen hat - da werden wir darüber reden, aber ich kenne sie noch nicht.

    Japs: Ein wichtiger Knackpunkt ist sicherlich die Finanzierung des Krankengeldes allein durch die Arbeitnehmer. Das lehnt die CDU/CSU bislang ab. Einige Unionspolitiker favorisieren statt dessen, die Zahnbehandlung aus der gesetzlichen Krankenversicherung herauszunehmen.

    Schmidt: Wir haben das immer abgelehnt als Sozialdemokraten. Und wir haben ja das Krankengeld gewählt, weil wir glauben, dass es hier gute Gründe dafür gibt, dies so zu machen. Wir haben heute im Bereich der Lohnersatzleistungen – wenn ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin erkrankt, haben wir auf der einen Seite die Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall. Und auf der anderen Seite: Nach frühestens sechs Wochen Lohnfortzahlung tritt das Krankengeld der Krankenkasse ein. Und bei der Lohnfortzahlung zahlen die Arbeitgeber heute alleine – im Schnitt 26 Milliarden Euro. Und da waren wir der Meinung, dann ist es den Versicherten zumutbar, die 7,1 Milliarden, die da noch an Krankengeld gezahlt werden, alleine zu finanzieren. Wir wollen ja auch den Faktor Arbeit entlasten. Wir haben Einnahmeprobleme. Dazu brauche ich mehr Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Die bekomme ich nur, wenn wirklich Beschäftigung geschaffen wird hier in Deutschland, und wenn wir wieder dafür sorgen, dass die Arbeitslosigkeit auch wirklich abgebaut wird. Aber das Widersprüchliche an der Union ist ja in der jetzigen Debatte, dass sie auf der einen Seite sagt, es ist unsozial mit dem Krankengeld. Das sind 7,1 Milliarden. Das, was die Union will – Zahnbehandlung und Zahnersatz –, wären 11 Milliarden, die die Versicherten alleine zu zahlen hätten, und womöglich noch risikoabhängig in der privaten Versicherung. Die Union sagt, man darf die Parität nicht aufheben, und auf der anderen Seite fordern sie die Einfrierung des Arbeitsgeberbeitrages. Das wäre eine dauerhafte Aufhebung der paritätischen Finanzierung, wenn alle Steigerungen allein zu Lasten der Versicherten gingen. Und daran sieht man ja schon, dass wir noch eine ganze Menge zu diskutieren haben und es auch mal Zeit würde, dass endlich mal auf den Tisch käme: ‚Leute, was wollen wir’, damit die Menschen auch entscheiden können, und dass man dann auch mal sagen kann: ‚Hört auf immer mit Zuweisungen über unsozial oder nicht’. Für mich ist bei der Frage des Krankengeldes nicht entscheidend, ob die Versicherten das alleine finanzieren, sondern dass es so organisiert bleibt, wie ich es in dem Gesetzentwurf habe: Dass es in der gesetzlichen Krankenversicherung abgesichert bleibt, dass jeder einzelne entsprechend seiner Leistungsfähigkeit ohne irgendeine persönliche Risikobewertung in diese Versicherung einzahlt und dass für die Menschen genau wie bisher 78 Wochen lang Lohnfortzahlung im Krankheitsfall organisiert und abgesichert bleiben und zu allen gleichen Konditionen, wie es auch bisher der Fall war. Das ist zumutbar, denn es handelt sich bei den Versicherten um zusätzliche 0,35 bis 0,4 Prozent des Bruttoeinkommens, was sie dafür aufbringen müssen.

    Japs: Alles zu gleichen Konditionen ist ja wohl nicht ganz richtig. Bei Beamten und Ministern zahlt der Staat im Krankheitsfall das Gehalt unbegrenzt weiter. Warum wollen Sie hier einseitig nur die Arbeitnehmer belasten?

    Schmidt: Ich glaube schon, dass alles, was wir in der gesetzlichen Krankenversicherung mit der Gesundheitsreform jetzt auf den Weg bringen, das muss versetzt dazu auch in der Beihilfe und bei Beamten natürlich umgesetzt werden. Das passiert im Übrigen in der Regel immer, dass Änderungen bei der gesetzlichen Krankenversicherung auch dann danach übertragen werden auch auf die Beamtenversorgung. Das ist der Weg, den dann Otto Schily gehen wird.

    Japs: Das große Ziel der Reform ist es ja, den durchschnittlichen Krankenkassensatz von derzeit 14,3 auf unter 13 Prozent zu senken. Nur acht Prozent der Bevölkerung glaubt, dass mit der Reform das angekündigte Ziel erreicht wird. Aber dieses Ziel haben Sie – wenn ich das richtig verstanden habe – ja auch schon auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.

    Schmidt: Ich weiß nicht, wann bei Ihnen der Sankt-Nimmerleins-Tag kommt. Ich habe gesagt, ab 1.1., wenn alles wirklich so läuft, wie ich es möchte, tritt die Reform in Kraft. So, und dann kann man bestimmte Dinge, die anders finanziert werden – zum Beispiel über Steuern oder zum Beispiel das Krankengeld –, da kann man sofort zu einer Entlastung des allgemeinen Beitragssatzes kommen. Und das andere muss ja im Laufe dieses Jahres und des nächsten Jahres aufgebaut werden. Das heißt Einsparung zum Beispiel bei Fahrtkosten, indem die Kassen ein Fahrtkostenmanagement machen, Einsparungen durch bessere Strukturen, indem eben mehr Verträge geschlossen werden – direkt mit Ärzten, indem die integrierte Versorgung gefördert wird oder Gesundheitszentren aufgebaut werden. Das ist alles etwas, was mit Beginn des nächsten Jahres in Gang gesetzt werden kann und das dann sukzessive auch zu Beitragssatzsenkungen führen wird. Es wäre falsch, den Menschen zu sagen: Am 1.1.2004 gehen ruckartig die Beiträge herunter. Aber unser Ziel sind die 13 Prozent und dass wirklich der ganze Motor in Bewegung gesetzt wird und die Kassen auch Schritt für Schritt alles das, was verändert wird – per Gesetz ja auch –, immer wieder auch in Beitragssatzsenkungen zurückgeben müssen.

    Japs: Aber wird es zunächst nicht umgekehrt sein, dass die Beiträge zunächst wieder erhöht werden? Experten rechnen mit einem Anstieg auf 15,4 Prozent Anfang des Jahres.

    Schmidt: Die Experten haben das, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, schon letztes Jahr erwartet. Da wurde schon im vergangenen Jahr vor den Bundestagswahlen davon geredet, dass alles über 15 Prozent sein sollte. Wir sind jetzt bei 14,3/14,4 - das liegt etwa dazwischen. Wir tun alles – auch über Sparmaßnahmen –, dass die Ausgaben gedeckelt werden. Wenn die Einnahmen wegbrechen, dann hat man sehr wenig Möglichkeiten, etwas zu verändern, denn im Moment haben wir ja im ersten Vierteljahr minus 0,2 Prozent bei den Einnahmen gegenüber dem vorigen Jahr, und wir haben aber ein Defizit, das trotzdem um 230 Millionen geringer ist, als im ersten Quartal des letzten Jahres. Daran sehen Sie auch, dass die Sparbemühungen ja auch greifen. Und wir werden das sehen müssen: Wenn die Beschäftigung anspringt, wenn zum Beispiel die geringfügige Beschäftigung tatsächlich zu mehr Beschäftigung führt, dann haben wir auch wieder mehr Einnahmen. Und deswegen kann man das jetzt überhaupt nicht so definieren, weil keiner weiß, wie die Wirtschaft anspringt. Ich muss darauf setzen, dass die Wirtschaft anspringt und dass wir wieder Beschäftigung haben. Dann steigen auch die Einnahmen, und dann sehen die Probleme anders aus, als wenn das nicht der Fall ist.

    Japs: Zur Zeit stehen in Berlin die Chefgespräche mit Finanzminister Hans Eichel über den Bundeshaushalt 2004 an. Auch in Ihrem Haus soll eisern gespart werden, die Rede ist von 7 Milliarden Euro. Wo soll da eingespart werden?

    Schmidt: Also, mir sind die 7 Milliarden Euro noch nicht übermittelt worden. Ich habe auch noch keine Chefgespräche gehabt. Aber klar ist, wenn ein Defizit im Haushalt ist, im Bundeshaushalt – was absehbar ist –, dass jedes Ministerium auch angehalten ist, mal im eigenen Bereich zu suchen, wo es Möglichkeiten gibt, wo eingespart werden könnte. In meinem Bereich gibt es da relativ wenig, was frei verfügbar ist, denn die Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung sind klar definiert, auch mit gesetzlichen Aufgaben.

    Japs: Aber da gibt es ja den Vorschlag aus dem Hause Eichel, den Rentenzuschuss des Bundes zu begrenzen. Der liegt momentan bei 77 Milliarden Euro.

    Schmidt: Ja, aber da müsste man ja sagen: Was wird nicht mehr bezahlt? Verstehen Sie, ich kann ja nicht einfach einen Bundeszuschuss begrenzen, wenn dieser Bundeszuschuss auch für bestimmte Leistungen ist, die wir ja alle – der Gesetzgeber – gewollt haben: Kindererziehungszeiten zum Beispiel, Höherbewertung von Teilzeitarbeit bei Eltern, die ihre Kinder erziehen bis zum 10. Lebensjahr, Invalidenrente, Rente nach Mindesteinkommen, um kleine Renten aufzuwerten, und Hinterbliebenenversorgung. All das sind soziale Leistungen – oder die West-Ost-Angleichung zum Beispiel. Und das wird über den Bundeszuschuss finanziert. Und insofern sind die Möglichkeiten dort begrenzt. Wir gucken bei uns auch: Wo können wir sparen, ohne die soziale Balance zu verletzen, weil das für uns ganz wichtig ist. Und was wir im Bereich der Rentenpolitik machen, auch indem wir versuchen, eine Formel so zu machen, dass die ältere Generation nicht mehr an Wachstum ihrer Einkommen haben kann als tatsächlich die jüngere Generation auch hat. Das muss aber dann in Senkung der Lohnnebenkosten gehen, damit die jüngere Generation auch das Geld frei hat, um zum Beispiel die private kapitalgestützte Säule aufbauen zu können. Jeder 0,1 Prozentpunkt Rentenbeitrag, den wir absenken können oder nicht erhöhen müssen, das sind 200 Millionen Euro auch im Bundeshaushalt. Insofern hängt das eng zusammen.

    Japs: Frau Ministerin, können Sie denn zusichern, dass die Renten in 2004 nicht gekürzt werden?

    Schmidt: Nein, wir kürzen die Renten nicht.

    Japs: Aber die Rentenzuwächse werden geringer werden.

    Schmidt: Ja aber natürlich. Aber was hat denn die arbeitende Bevölkerung mehr? Gucken Sie doch mal die Einkommensverhältnisse von jungen Familien, oder diejenigen, die erwerbstätig sind. Die hatten alle in dem letzten Jahr eine Kürzung ihrer Überstundenzuschläge zum Beispiel. Es wird fast kaum noch eine Überstunde ausgezahlt, das geht alles in Freizeit. Die Menschen haben Weihnachtsgeld nicht bekommen, was sie immer bekommen haben. Sie werden beim Urlaubsgeld Abstriche machen müssen. Gucken Sie doch alleine, was in der Beamtenversorgung jetzt auch passiert, wo man sagt: Wir haben das Geld nicht mehr. Und ich kann den Rentnern und Rentnerinnen doch nicht mehr auszahlen, als tatsächlich die jüngere Generation über ihre Beiträge auch an Leistungen einzahlt in diese Rentenversicherung. Deshalb wird in den kommenden Jahren es eine Verlangsamung des Zuwachses geben. Und da wird man sehen müssen: Wenn die jüngere Generation null Zuwachseinkommen hat, dann kann auch die ältere Generation nicht mehr haben. Das ist aber etwas anderes als Kürzung. Wir kürzen nicht die Renten, aber der Zuwachs – da bin ich mir sicher –, der wird in den nächsten Jahren eben geringer werden, weil wir alle uns einschränken müssen und weil auch diejenigen, die erwerbstätig sind, sich auch einschränken müssen.

    Japs: Man kann den Rentnern aber auf anderen Wegen etwas wegnehmen, etwa den Rentenanteil zur Krankenversicherung von derzeit 50 auf 75 Prozent zu erhöhen, wie man auch aus dem Finanzministerium hört.

    Schmidt: Das plane ich nicht.

    Japs: Friedrich Merz, der Unionspolitiker, hat am Freitag eine höhere Besteuerung der Renten gefordert. Ein guter Vorschlag?

    Schmidt: Also, die Rentner oder Rentnerinnen können doch nicht anders besteuert werden als alle Menschen in diesem Lande. Da gibt es einen progressiven Steuersatz, und wenn jemand höhere Einkommen hat über Betriebsrenten und Zusatzeinkommen, dann zahlt der heute auch schon Steuer entsprechend seiner Leistungsfähigkeit. Und deswegen war mir das nicht so ganz nachvollziehbar, was der Herr Merz denn damit gemeint hat. Das müsste er vielleicht noch einmal näher erklären. Er soll ja eigentlich ein Steuerexperte sein, wenn ich das so richtig im Kopf habe. Aber das zeigt sich darin noch nicht.

    Japs: Sie haben es bereits angesprochen: Sie planen eine neue Rentenformel, bei der ein Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt werden soll. Mit anderen Worten: Die zunehmende Alterung der Gesellschaft soll bei der Berechnung der Rentenzuwächse berücksichtigt werden. Was versprechen Sie sich davon?

    Schmidt: Ja, Herr Japs, es kann immer nur das ausgezahlt werden, was vorher eingezahlt wurde. So, und wenn wir - Gott sei Dank - eine Situation haben, wo die Menschen älter werden – was wir ja alle wollen –, dann finde ich das positiv. Ich möchte das ja auch: Ich möchte alt werden und gesund bleiben und fit bleiben. Das Problem ist: Wir haben auf der anderen Seite zu wenig Kinder. Bei uns werden zu wenig Kinder geboren. Das hat etwas damit zu tun, dass wir noch mehr in die Familienpolitik investieren müssen, dass wir noch mehr an Kinderbetreuungsmöglichkeiten und andere Dinge auf den Weg bringen müssen. Aber ich komme um die Tatsache nicht herum, dass früher, als die Rentenversicherung gegründet wurde, auf einen Rentner oder eine Rentnerin acht Beitragszahler kamen und dass wir heute bei zwei sind. Im Jahre 2030 wird es noch weniger sein. Und insofern müssen wir da gucken: Wie können wir eigentlich hier zu einem ausgewogenen Verhältnis kommen? Und der Nachhaltigkeitsfaktor, der soll bei der Berechnung der Rentenanpassung ein Faktor sein, der bewertet, wie viele Rentenempfänger und –empfängerinnen stehen eigentlich wie vielen Beitragszahlern auf der anderen Seite gegenüber? Und das muss in der ausgewiesenen Balance sein. Und wenn es so ist, dass wir wieder mehr Beitragszahler bekommen, dann ist der Faktor positiv. Wenn die Anzahl der Beitragszahler abnimmt, dann wird der Faktor eher dazu beitragen, dass eben verlangsamter angepasst wird.

    Japs: Stimmt denn die Rechnung, die das Nachrichtenmagazin FOCUS in seinem neuen Heft aufgemacht hat, dass sich die diesjährige Rentenerhöhung nach der neuen Rechenmethode nur um 0,2 Prozent statt um 1,04 Prozent steigern würde?

    Schmidt: Nein, nein, das kann auch der FOCUS noch nicht wissen, weil nämlich der Faktor im Moment noch entwickelt wird und auch in seinen Wirkungen erst entwickelt wird. Da weiß ich auch nicht, worauf der FOCUS sich bezieht. Wir haben ja mit der Rentenreform von Walter Riester schon die Rentenformel dahingehend verändert, dass das, was die jüngere Generation an zusätzlichen Aufwendungen hat, für die kapitalgestützte Säule oder wenn die Rentenbeiträge steigen, dass das im darauf folgenden Jahr bei der Rentenanpassung berücksichtigt wird. Insofern wird im kommenden Jahr die Rentenanpassung, die dann aufgrund der allgemeinen Lohnentwicklung auf den Weg kommt, auf jeden Fall um die 0,4 Prozent gekürzt, die die Jüngeren an Rentenbeiträgen mehr zu zahlen haben, und das Zweite ist, um den Faktor, den die jüngere Generation für die private Vorsorge aufbringen muss. Das wird ungefähr ein Prozent sein. Und um dieses Prozent verringert sich der Zuwachs, den die Rentner und Rentnerinnen bekommen.

    Japs: Alle wollen an das Geld der Rentner ran, auch die Rürup-Kommission zur Reform der Sozialsysteme. Die hat vorgeschlagen, dass Rentner künftig einen Solidarbeitrag zur Pflegeversicherung zahlen sollen. Können Sie sich mit diesem Vorschlag anfreunden?

    Schmidt: Ich kenne den Vorschlag überhaupt noch nicht. Und die Rürup-Kommission hat auch ihre Beratungen überhaupt noch nicht beendet, und ich werde mich hüten, irgendwelche Vorschläge, die von einzelnen Professoren oder Professorinnen immer wieder kommen, hier zu bewerten. Ich warte auf das Konzept – ein geschlossenes Konzept zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung. Eines ist klar: Wenn wir eine älter werdende Gesellschaft haben, werden wir auch einen Mehrbedarf an Pflege haben. Und wir haben eine Veränderung der Familienstrukturen. Das, was früher die Familien aufgefangen haben, wird eben in Zukunft sich verändern, weil viele Menschen auch alleine leben. Und insofern müssen wir uns heute Gedanken machen, wie wir dieses auch finanzieren auf Dauer. Und da warte ich auf ein geschlossenes Konzept der Rürup-Kommission. Im übrigen möchte ich eines zurückweisen: Niemand will an das Geld der Rentner ran, sondern, was wir derzeit unter schwierigen Bedingungen diskutieren, ist: Wie können wir zwei Dinge erreichen – das eine, dass das Einkommen im Alter sicher ist und dass es für die jüngere Generation bezahlbar bleibt. Denn beides müssen wir tun, sonst bricht ein Sozialsystem auseinander. Und wenn man insgesamt kein Wachstum hat, wenn insgesamt auch Familien oder junge Menschen auf weniger Zuwachs setzen können, wenn viele von Arbeitslosigkeit bedroht sind, dann muss ich im Rentenalter, wo die Menschen ihr sicheres Einkommen haben, Monat für Monat, muss ich dafür sorgen, dass dieses auch gesichert bleibt – was wir tun und was ja auch durch alle Krisen in Deutschland sich bewährt hat. Aber ich muss erwarten können, dass auch die ältere Generation dann einen Weg mit geht, indem sie sagt: Wenn das so ist für die jüngere Generation, kann es auch mal ein paar Jahre geben, wo es für uns eben nicht so viel Zuwächse gibt oder weniger Zuwächse gibt oder vielleicht auch mal gar nichts, weil es auch bei den Jüngeren nicht war. Nur so funktioniert Generationengerechtigkeit auf Dauer, und nur so funktioniert auch das Solidarsystem auf Dauer.