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Schnelles Geld statt Weltrevolution

"Das System" ist ein Film über den Übergang von der DDR zur neuen deutschen Einheit. In dem zeitgeschichtlichen Krimi von Marc Bauder geht es um alte Stasi-Seilschaften, Erpressung und die Macht des Geldes.

Von Josef Schnelle |
    Mike ist 20. Das Leben liegt vor ihm. Auf dem Dach der Rostocker Plattenbausiedlung mit Meerblick, in der er lebt, träumt er von einer märchenhaften Zukunft. Sein Vater, so glaubt er, ist ein idealistischer DDR-Geheimdienstaktivist gewesen. "Alles Legende" teilt ihm Böhm mit, ein früherer Freund des Vaters, der ihn nach einem missglückten Einbruchsversuch unter seine Fittiche nimmt. Er führt ihn ein in die faszinierende Parallelwelt internationaler Lobbyisten, die sich auf ehemalige DDR-Geheimdienstler stützen.

    "Was? Und wegen dem alten Sack musste ich mich jetzt so raus putzen oder was'" – "Der alte Sack saß in Buchenwald, da haben deine Großeltern noch Pickel ausgedrückt. Wirklich. Das ist ein verdienter Antifaschist. Ich weiß zumindest von einem erfolgreichen Attentat auf SS-Offiziere. Sieht man ihm nicht an – oder?' – 'Nee' – 'Karl wie schön.' – 'Hab nicht viel Zeit. Ilse wartet."

    Der knorrige Karl hat Akten der Auslandsaufklärung der DDR gesammelt, die auch heute noch viel Wert sein können - als Erpressungsmaterial und Hintergrundinformation. Das Netzwerk, das System, ist noch intakt. Es geht nun aber nicht mehr um die Weltrevolution, an deren Stelle sind Wirtschaftsspionage und kriminelle Deals getreten, für die die Verbindungen von damals nützlich sind. Auch eine Erdgaspipeline gehört zum Geschäftsmodell. Mike fängt bald Feuer. Auch die Erkenntnis, dass sein Vater dem Umbruch zu einer neuen Zeit zum Opfer gefallen ist, hält den Jungen nicht davon ab, das neue Leben zu genießen und Böhms bester Mann sein zu wollen. Er zwängt sich in einen Anzug aus feinem Tuch und steht herum wie ein Leibwächter amerikanischer Gangster. Das Hemd zwickt, aber das gute Geld lockt. Zwischen Baulöwen und Kommunalpolitikern bewegt er sich bald wie ein weiterer Raubfisch im Aquarium des Systems. Doch die Schatten der Vergangenheit werden immer stärker. Besonders die Reaktion seiner Mutter auf den neuen "Freund" befremdet ihn. Da hilft auch nicht, dass sich der aalglatte Böhm immer stärker als Kumpel und väterlicher Freund präsentiert und direkte Botschaften von seinem früh verstorbenen Vater mitzuteilen scheint.

    "Meine Mutter hat gesagt, dass mein Vater mit alten Autos gehandelt hat." – "Oldtimer, Antiquitäten, das waren die üblichen Tarnungen bei der HVA." "HV was'" – "Hauptverwaltung Aufklärung. Lernt man so was nicht in der Schule. Dein Vater und ich, wir waren Agenten. Devisenbeschaffung. Morgen um neun Uhr vor der Firma. Wir haben Einiges vor. Grüß Deine Mutter von mir." – "Mh, du mich auch."

    Bald greift die Verführung, die vom Erfolg im großen Stil bei den krummen Geschäften ausgeht. Cocktails werden spendiert. Der Champagner fließt und die Aussichten auf Reichtum und Karriere in der "schönen neuen Welt" des Killerkapitalismus betören den jungen Aufsteiger wie Drogen. Das System ist hungrig und lässt keinen los, den es einmal in seine Klauen bekommen hat. Das merkt Mike, als er einmal seinen eigenen Weg gehen will. Er hat eine Akte geklaut. Natürlich kommt Böhm dahinter, wie der Junge seine Methoden adaptiert. Und er konfrontiert ihn nach all den schönen Versprechungen unversehens mit der Brutalität des Gewerbes. Wie bei Wilhelm Tell setzt er ihm einen Apfel auf den Kopf und legt an.

    "Ich hab die Akte genommen.' – 'Warum' – 'Ich wollt Sie erpressen.' – 'Was hattest du vor? Zur Polizei zu gehen? Als Vorbestrafter mit einer geklauten Stasi-Akte? Die keinerlei Straftatbestand erfüllt? Oder zum Rostocker Anzeiger? Mike, Mike, Mike – das kann doch nicht Dein Ernst sein.' 'Ich weiß, es war ne Scheiß-Idee. Aber den Kackapfel setzt Du mir trotzdem nicht auf den Kopf."

    "Das System" ist ein Film über die Verwerfungen des Übergangs von der DDR zur neuen deutschen Einheit. Es ist ein zeitgeschichtlicher Krimi und zugleich eine Geschichte vom Erwachsen werden. Da, wo dieser Stoff herkommt, da warten noch mehr Geschichten, die sich leicht und locker in spannende Krimis verwandeln lassen würden, beteuert Regisseur Marc Bauder, der bisher eher als Dokumentarfilmer hervorgetreten ist. Stilsicher und packend hat er seinen Stoff stets im Griff und beweist, dass das Deutsche Kino auch in der Lage ist, spannende Genrefilme zu erzählen. Die Hauptdarsteller, allen voran der Jungdarsteller Jacob Matschenz, der gestern in dieser Rolle auch für den Deutschen Filmpreis vornominiert worden ist, prägen diesen Film, der den erläuternden etwas hölzern klingenden Beititel: "Alles verstehen heißt alles verzeihen." nun wirklich nicht nötig gehabt hätte.