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Schockenhoff: Wir müssen den Druck auf Moskau erhöhen

Wenn man in Syrien jetzt nicht die richtigen Kräfte unterstütze, werde man das Land nach dem Sturz Assads an militante Extremisten verlieren, sagt Andreas Schockenhoff (CDU). Das müsse man Russland klarmachen, so der Unions-Fraktionsvize im Bundestag. Angesichts von 70.000 Toten der syrischen Opposition Hilfe zu verweigern, sei zynisch.

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Mario Dobovisek | 02.03.2013
    Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Andreas Schockenhoff, den für die Außenpolitik zuständigen Fraktionsvize der Union im Bundestag. Guten Morgen, Herr Schockenhoff!

    Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Herr Dobovisek!

    Dobovisek: Was wir da aus Rom und Syrien gleichermaßen hören, klingt wenig hoffnungsvoll, allerdings sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gestern ganz beiläufig auf einer Pressekonferenz, er sehe eine kleine Chance auf Friedensgespräche – "a small window of opportunities" –, hat er gesagt, und wolle sich noch heute mit dem Sondergesandten Brahimi treffen. Sind Sie ähnlich hoffnungsvoll, Herr Schockenhoff?

    Schockenhoff: Ich glaube, für Hoffnung ist es zu früh. Auf jeden Fall kann es nicht so weitergehen, dass das Assad-Regime inzwischen Scud-Raketen gegen die eigene Bevölkerung abfeuert. Die Entscheidung der EU und der Kontaktgruppe der Freunde Syriens war richtig, keine Waffen zu liefern, sondern nichtletale Güter, also Schutzwesten, Stahlhelme, Kommunikationsgeräte. Wenn man Russland überzeugen kann, eben auch nicht schwere Waffen zu liefern und den Konflikt damit nicht in die Länge zu ziehen, dann gäbe es ein Fenster, denn im Moment werden die ausländischen militanten Islamisten gestärkt, solange wir Syrien keine Waffen liefern – und das wäre sicher nicht die richtige Lösung. Wir können sie aber auch nicht alleine lassen, denn sonst kommen die falschen Kräfte, kommen nicht die moderaten, syrischen Kräfte, sondern Dschihadisten, die aus dem Ausland mit Waffen die Verteidigung anbieten, und wenn Syrien an militante, islamistische Kräfte fällt, ist es sicher auch nicht im Interesse Russlands.

    Dobovisek: Russland kritisiert scharf die Hilfen der Freunde Syriens, deren Beschlüsse in Rom provozierten neues Blutvergießen und trieben die Opposition zu einer gewaltsamen Machtübernahme, heißt es in Moskau, während weiter russische Waffen an das Assad-Regime geliefert werden. Was will Putin damit bezwecken?

    Schockenhoff: Putin betreibt eine alte Politik der Nullsumme. Putin meint, wenn Syrien aus dem Einflussbereich Moskaus herausgelöst wird, würden andere dort Einfluss gewinnen. Diese Zeit ist im 21. Jahrhundert vorbei. Wir können heute nur gemeinsam Stabilität schaffen, wenn wir ein Format finden, das Russland einbindet, ähnlich wie beim Nahostquartett, ähnlich wie bei den Drei-Plus-Drei-Gesprächen für Iran, dann gibt es vielleicht eine Möglichkeit. Aber angesichts von bereits 70.000 Toten einfach die syrische Opposition nicht auszustatten und ihr Hilfe zu verweigern, das ist schon ein reichlich zynisches Argument.

    Dobovisek: Wie viel Zeit bleibt denn noch aus Ihrer Sicht angesichts der steigenden Opferzahlen zu warten, bis Russland einlenkt?

    Schockenhoff: Wir haben auf der einen Seite eine humanitäre Katastrophe, aber auf der anderen Seite müssen wir Russland klar sagen: Wenn wir jetzt nicht die richtigen Kräfte unterstützen, dann werden wir Syrien nicht halten für das Assad-Regime, sondern dann werden wir Syrien nach dem Sturz Assads an militante Extremisten verlieren. Wir haben schon zu viel Zeit verloren, und Saudi-Arabien beispielsweise lässt sich von der westlichen Zurückhaltung nicht beeindrucken und hat inzwischen anderswo auf der Welt Bestände aufgekauft und diese nach Syrien geliefert. Also mit aller Zeit, die ins Land streicht, verlieren wir auch den Einfluss auf einen Prozess nach Assad.

    Dobovisek: Warum schafft es dann grob gesagt die westliche Welt beziehungsweise die Freunde Syriens, warum schaffen die es nicht, Moskau zu überzeugen und mit an einen Tisch zu setzen?

    Schockenhoff: Der Sicherheitsrat ist blockiert und ergreift keine wirksamen Maßnahmen. Man könnte im Grunde genommen nur gegen ein Votum des Sicherheitsrates vorgehen, aber damit ist dann natürlich auch für eine einvernehmliche Übergangsphase nach dem Sturz des jetzigen Regimes ein denkbar schlechter Ausgangspunkt gewählt. Wir müssen uns allerdings angesichts des Mordens fragen, was wir sonst tun können. Die syrische Opposition etwa möchte keine ausländischen Truppen, fordert aber eine Flugverbotszone. Da sind wir Europäer wieder einmal in der Lage, wir können die fordern, aber wir können sie selbst nicht liefern. Es ist wieder einmal eine Aufforderung an die USA, und wenn dann hinterher eine gewünschte Transformation nicht so läuft, wie wir uns das vorher vorgestellt haben, dann kritisieren wir heftig, das haben wir im Irak gesehen, also die einfache Lösung gibt es nicht.

    Dobovisek: Die Flugverbotszone ohne die USA sei nicht möglich, sagen Sie. Wann wäre es denn aus Ihrer Sicht an der Zeit, für die Europäische Union tatsächlich auch über die Lieferung tödlicher Waffen nachzudenken?

    Schockenhoff: Das wäre zunächst eine Eskalation. Ich möchte dazu nicht auffordern, aber ich möchte auf das Dilemma hinweisen, mit der Zeit, die ins Land streicht, verlieren wir eben die Gestaltungshoheit an islamistische Kräfte, an Dschihadisten, an Terrorgruppen, die von außen einsickern und das Schutzbedürfnis der Bevölkerung gegen Assad sich zu eigen machen.

    Dobovisek: Nur das hören wir seit vielen Monaten, genau diese Argumentation, und dennoch drehen wir uns im Kreis.

    Schockenhoff: Wir drehen uns im Kreis, aber Waffen zu liefern ist eben auch nicht der Königsweg. Also die einfache Lösung haben wir nicht, deswegen müssen wir immer noch den Druck auf Moskau erhöhen und Moskau für eine Lösung unter der Führung der Internationalen Gemeinschaft, unter der Führung der vereinten Nationen, gewinnen, und wir müssen immer stärker Russland auch darauf hinweisen, dass es gegen die eigenen Interessen handelt, wenn in seiner südlichen Nachbarschaft ein neuer gescheiterter Staat mit islamistischem Fundamentalismus entsteht.

    Dobovisek: Wer garantiert denn, dass es kein gescheiterter Staat wäre, wenn die derzeitige Opposition übernehmen würde?

    Schockenhoff: Eine Garantie dafür haben wir nicht, wir können auch nicht mit Sicherheit sagen, dass unsere Freunde von heute, die wir heute schützen, die Feinde von morgen sind. Aber wir haben bereits 70.000 Tote. Wir sehen – Sie haben das selbst angesprochen –, dass natürlich die falschen Kräfte aus dem Ausland nach Syrien einsickern, deswegen müssen wir zumindest jetzt die syrische Opposition, die noch nicht fundamentalistisch unterwandert ist, stärken, um selbst ein Spieler in der Zeit nach Assad bleiben zu können.

    Dobovisek: Die USA haben die syrische Opposition darauf gedrungen, die für heute eigentlich geplante Wahl einer Exilregierung abzusagen. Damit gibt es weiterhin keine klaren Ansprechpartner. War das ein kluger Schachzug Washingtons?

    Schockenhoff: Diese Exilregierung ist sehr schwach, sie ist vor allem sehr heterogen und untereinander uneins. Deshalb wäre sie kein starker Partner. Wenn wir eine Exilregierung haben, dann muss sie am Tag nach dem Abtritt von Assad auch in der Lage sein, das Land zu stabilisieren und Verantwortung zu übernehmen. Solange das nicht der Fall ist, weckt man falsche Hoffnungen. Aber das zeigt, wie komplex die Situation ist, und dass es einfache Lösungen nicht geben kann.

    Dobovisek: Das zeigt auch, wie fragil die Situation sein könnte, wenn dann tatsächlich Assad irgendwann einmal aus welchem Grunde auch immer abtreten würde. Die Opposition ist gespalten – wie könnte eine Zukunft aussehen ohne Assad?

    Schockenhoff: Wir müssen die Opposition stärken, wir müssen die Opposition auch zwingen, sich untereinander zu einigen auf einen Aktionsplan, was unmittelbar nach Assad geschehen muss, denn die Alternative ist, dass wir Syrien an militante Extremisten, die nicht aus Syrien kommen, die aus der gesamten Region dschihadistischer Umtriebe kommen, und damit hätten wir nach Assad eine andere, vielleicht noch brutalere Fremdherrschaft.

    Dobovisek: Fast zwei Jahre dauert er inzwischen an, der Aufstand der syrischen Oppositionellen und Baschar al-Assad und sein Regime – Einschätzungen des CDU-Außenpolitikers Andreas Schockenhoff. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Schockenhoff: Bitte schön, Herr Dobovisek!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.