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Schreckliche Reiseberichte

Die US-Journalistin Martha Gellhorn hat sich vor allem als Kriegsberichterstatterin einen Namen gemacht. Auch ihre Reisereportagen von Fahrten mit und ohne ihren kurzzeitigen Ehemann Ernest Hemingway stecken voller Schrecken.

Von Martin Zähringer | 02.03.2011
    Beim Dörlemann Verlag erscheinen seit einigen Jahren ausgewählte Werke der englischen Journalistin und Buchautorin Martha Gellhorn. Gellhorn wurde vor allem durch ihre Berichterstattung aus dem Spanischen Bürgerkrieg und aus dem Zweiten Weltkrieg berühmt. Die bisherige Auswahl beim Dörlemann Verlag bemüht sich um Gellhorns literarisches Werk. Es erschienen frühe Erzählungen, Romane und zuletzt eine Sammlung ihrer Briefe, die insgesamt positiv aufgenommen wurden. Wie auch die Übersetzungen von Miriam Mandelkow. Ein wenig hat die neue Popularität damit zu tun, dass Gellhorn einmal mit Ernest Hemingway verheiratet war, sich aber eigene Freiräume erschreiben konnte. Ihr neues Buch, ein Band mit fünf Reiseberichten auf über 500 Seiten, fängt in der Zeit dieser kurzzeitigen Ehe an. Martha Gellhorn reist mit Hemingway nach China.

    Es war zur Zeit des Zweiten Weltkrieges und Martha Gellhorn war gerade auf der Höhe ihres verdienten Ruhmes als Kriegsreporterin, da wurde sie von der amerikanischen Zeitschrift Collier nach China gesandt. Sie sollte über den chinesisch-japanischen Krieg berichten. Zur Mitreise überredete sie ihren damaligen Gatten Ernest Hemingway. Der wird in ihrem Text als UB anonymisiert. UB steht für "Unwilliger Begleiter", denn Hemingway war nicht sehr willig, was China betraf. Nun tat er seiner Gattin den Gefallen, aber wie sich bald herausstellen sollte, wurde China für Martha Gellhorn selbst ein Horrortrip. Schreckensreisen nennt sie übrigens alle in diesem Band versammelten Reisen. Es ist auch eine Art von Schreckensliteratur daraus geworden. Aber zunächst zur Chinareise:

    Mit Keating's Floh- und Läusepulver und jeder Menge Whisky ausgerüstet ging die Recherchereise in das völlig unbekannte Terrain. Von Hawaii bis Hongkong lief es für beide amüsant. Spannend waren auch noch Marthas allein unternommene Inlandflüge zum Ende der Burmastraße. Aber im Hinterland bei Shaokwan und Wongshek, wo sie auf den damals selten gesehenen Tschou En Lai und auf Tschang Kai Tschek trafen, lässt die Laune der Erzählerin drastisch nach. Von unsagbar schlechtem Essen ist die Rede, vom Gestank nach Exkrementen über den Dörfern, von üblen Mücken und grauenhaften Toiletten und Duschen und dem alles überwältigenden Elend der Menschen. Der unbedarfte Leser anspruchsvoller Reiseliteratur ist etwas überrascht von der Vehemenz, mit der hier die subjektive Lage der reisenden Autorin ihre Berichte über die Fremde überlagert. Aber das gibt sie am Ende sogar selber zu:

    Er sah die Chinesen als Volk, ich dagegen sah sie als Masse niedergetrampelter, tapfer dem Untergang zustrebender Menschen. Verärgert durch meine Art, gesellige Zusammenkünfte vor jedem anderen zu verlassen, hatte UB schon lange zuvor das Dogma aufgestellt: "M. liebt die Menschheit, aber sie kann Menschen nicht ertragen." Die Wahrheit war, dass ich in China kaum irgend etwas ertragen konnte.

    Und die noch größere Wahrheit: Auch in der Karibik, in Afrika und in Russland, wohin die späteren Reisen in diesem Buch führen, kann sie "kaum irgend etwas ertragen". Jedenfalls nicht die Menschen und ihre Kulturen. Erträglich sind nur schöne Strände, an denen sie nackt baden kann, allein. Diese Reisende sucht exklusive Glücksmomente in erhabener Natur mit wilden Tieren - auch am liebsten ganz alleine oder zumindest mit eisgekühltem Whisky. Man wundert sich schon beim China-Auftakt über Gellhorns schonungslose Selbstdegradierung als hysterische Ignorantin neben einem weltsicheren Großschriftsteller. Dafür kommt sie aber in den weiteren Erzählungen umso größer heraus, und zwar, je kleiner sie die anderen um sich herum macht. Vor allem die Afrikaner:

    Die Schwarzen redeten den ganzen Tag endlos miteinander über nichts: genauer, sie tauschten banale Informationen. Nachts setzten sie dies über Trommeln fort. Ich sehe das aber leicht ein. Wenn nämlich irgendein Land Menschen Angst davor einflößt, den Kontakt zueinander zu verlieren, dann ist es dieses.

    Das ist noch ein harmloses Beispiel einer immer aufdringlicher erscheinenden Ignoranz, die auch nicht dadurch besser wird, dass die Autorin hin und wieder ihre Unwissenheit in eingeschobenen Klammersätzen selbst zugibt. In diesem Afrikabericht reproduziert sie eine unerträgliche rassistische Überheblichkeit:

    Am nächsten Tag rettete mich ein Buschnegerdorf davor, nur ausdruckslos auf den Dschungel zu starren. Sie hatten sich Land freigehackt und lebten in spitzen Strohhütten, splitterfasernackt, aber eingefettet und somit glänzend und nach ranziger Kokosnussbutter stinkend, der hier verbreiteten Elizabeth-Arden-Hautcreme. Mr. Dandy erklärte, die Haut sei das Anziehendste an einer Frau, und ich verstand das gut, denn die Damen bestanden hauptsächlich aus riesigen Hinterteilen, als trügen sie ihr Kissen mit sich, und Hängebrüsten.

    In diesem Stil funktioniert leider die gesamte Besichtigung afrikanischer Menschheit. Ein weiteres Beispiel zu Martha Gellhorns Sicht auf die Afrikaner:

    Ich spüre, dass der Mensch auf diesem Erdteil nur ein Zwischenspiel von kurzer Dauer ist. Kein Land erschien mir älter, weniger berührt oder geprägt von der menschlichen Rasse. Aber die Schwarzen und die wilden Tiere gehören hierher.

    An einer Stelle in ihrem Buch bemerkt die Autorin über ihre Lektüre von Karen Blixen, dass diese sich in ihrer Afrikabeschreibung etwas zu stark kontrolliert habe. Damit ist jetzt Schluss. Ungeniert plappert die empfindliche Reisende über ihren Ekel vor dem Gestank der Schwarzen in Westafrika, über ihr furchtbares Essen und ihre erbärmliche Kleidung, sie erstellt eine Skala afrikanischer Hässlichkeit und konstatiert das Fehlen jeglicher kultureller Leistungsfähigkeit. Und für die nächsten hundert Jahre erkennt sie auch keinerlei Chancen für einen Eintritt der Afrikaner in den Kreis der zivilisierten Menschheit. Denn sie sind und bleiben in ihren Augen Wilde:

    Weiter oben am Fluss sind die Dörfer aus Schilfmatten errichtet, die locker miteinander verbunden sind. Die Leute müssen extrem arm sein und ihre Bedürfnisse so gering wie die der wilden Tiere. Niemand ist dick.

    Wer dieses Buch nach den ersten fünfzig Seiten derartigen Afrikaschundes noch nicht in die Ecke geworfen hat, gelangt am Ende zu Martha Gellhorns Russlandreise. Dazu führt sie immerhin ein kulturelles Interesse. Martha Gellhorn trifft Nadeshda, die Frau des Dichters Ossip Mandelstam, die gerade ein in den USA umjubeltes Buch publiziert hatte. Aber was Gellhorn dann über Moskau und die Russen schreibt, das ist nicht viel mehr als eine Variation ihres Afrikahorrors auf die Kulturform des Bolschewismus. Martha Gellhorn kommt in diesem Buch nirgends zu einer wahrhaft reflektierten Läuterung ihrer kulturellen Einäugigkeit, und das, obwohl sie jahrelang in Afrika gelebt hat. Sie bleibt stattdessen besessen von einer Ego-Manie, die den Skandal der Körpersäfte für literarischen Zündstoff und den Zynismus ungezügelter Reisepornografie für Ironie hält. Sigrid Löffler nähert sich in ihrem nachdenklich-kritischen Nachwort etwas freundschaftlicher an dieses Buch an. Sie betrachtet die Autorin als Impulsreisende und nimmt jene Leser an die Hand, die wirklich alles von Martha Gellhorn wissen und lesen wollen. Den anderen empfehle ich Gellhorns bessere Bücher. Sie sind in guten Übersetzungen auch beim Dörlemann Verlag zu haben.

    Martha Gellhorn - Reisen mit mir und einem anderen. Fünf Höllenfahrten.
    Deutsch von Herwart Rosemann. Dörlemann 2011, 543 Seiten.