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Schreckliches Blau

Die Drogeriekette Schlecker hat beim Amtsgericht Ulm Insolvenz angemeldet. Viele Schlecker Märkte dürften alsbald also nicht mehr "For You. Vor Ort" sein. Ein kultureller Abgesang aufs Treueblau der Firma.

Von Beatrix Novy | 23.01.2012
    Als 1997 Woolworth aus Amerika verschwand, gab das eine ziemliche Aufregung, denn Woolworth, das war schließlich Amerika, andererseits, was ist amerikanischer als "change"? Um das Ganze zurechtzurücken, erschien damals in der "New York Times" eine fiktive Rückschau aus dem späteren 21. Jahrhundert, in der es die überlegene Supermarktkette Wal-Mart ist, die ihre Pforten schließen muss, Titel: Als Wal-Mart uns zum Weinen brachte. Was 1997 als ungemütlicher, aggressiver Billig-Hypermarkt das plumpe Gegenbild zum patinösen Woolworth-Charme abgab, bringt mit seinem Verschwinden im Jahr 2050 die Fans zum Heulen. Ja die Zeit schafft sentimentale Bindungen, auch der Drogeriemarktkette Schlecker hätte das ja keiner vorausgesagt, als sie Anfang der 70er-Jahre auf den Plan trat, so wie sie aussah.

    Überhaupt Drogeriemärkte: Auf die Idee, dass es einen Bedarf an Putzmitteln und Sanitärartikeln geben könnte, der über das Angebot einer mittleren Drogerie hinausginge, musste man erst mal kommen, aber als die Ersten sich über das sagenhafte Angebot an verschiedenen Klopapiersorten zu wundern begannen, waren die kleinen Drogerien weg und Schlecker samt Konkurrenten längst etabliert. Wegen der kleinen Drogerien weinten viele, über die stadtbildverheerende Schleckerexpansion verlor kaum einer Worte, vielleicht, weil auf der in Deutschland gültigen Werteskala ein annehmbares Stadtbild zu weit hinter Geiz und Putzmitteln und erst recht hinter der Kombination aus beidem rangiert. Das aggressiv-knallblaue Signal der Billigkeit durfte, Gestaltungssatzungen bringen bei uns ja nicht viel, noch die schönsten Fassaden verhunzen und der lebendigsten Straße eine Ahnung kommender Verwahrlosung verpassen; wer Schlecker deshalb boykottierte, fühlten sich fast bestätigt, als die Öffentlichkeit weit Schlimmeres über die Filialen erfuhr, von schlechter Bezahlung, Unterbesetzung und daraus folgenden Raubüberfällen.

    Heute, zumal diese kruden Verhältnisse sich offenbar geändert haben – was sich auch im vor einem Jahr erneuerten Design ausdrückt, aber da Schwamm drüber –, heute bringt das mögliche Verschwinden von Schleckerfilialen manche Menschen schon wieder zum Weinen. "Kieztreff in Gefahr" titelt der Tagesspiegel. Denn, gerade in abgehängten Stadtvierteln, dort, wo ein Ladenfenster nach dem anderen erblindet ist, wer blieb am Ort, wer zog hier in den letzten Jahren immer noch gern ein? Genau. Und wo ringsum wenig los ist, kann eine Drogeriemarktfiliale es zum Tante Emma Laden bringen. Wie sagt der vom Tagesspiegel befragte Kunde? "Schlecker hat so 'nen Vorstadtcharme." Und überhaupt ist er ja mit Schlecker aufgewachsen.

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