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Schulschwänzer und Schulverweigerer
"Ich hab’ mal Eier gegen die Schule geworfen"

Zwölf Millionen schulpflichtige Kinder gibt es in Deutschland. Rund 300.000 Kinder und Jugendliche haben beschlossen, nicht mehr am Unterricht teilzunehmen. Sie sind notorische Schulschwänzer. Warum machen sie das?

Von Anja Kempe | 28.09.2017
    Schüler: "Ich hab’ mich einfach abgemeldet. Ich hab’ geschrieben, ich möchte mich hiermit offiziell von der Schule abmelden. Und hab’ dann noch die gefälschte Unterschrift von meiner Mutter drunter geschrieben."
    Schülerin: "Ja, meine alte Englisch-Lehrerin konnte mich gar nicht ab, und dann hatte ich keine Lust mehr."
    Schüler: "Also, Schule hatte keine Priorität für mich. Ich bin morgens um fünf, wo andere Leute aufstehen, bin ich schlafen gegangen, und hab’ dann bis 16 Uhr geschlafen, und letztendlich hab’ ich mir überlegt: Ich tu mir diesen Stress nicht an und hab' die Schule verweigert."
    Schüler: "Chillt mal eure Basis, hab’ ich zu ’ner Lehrerin gesagt."
    Jama schiebt sein Kaugummi im Mund hin und her.
    Schüler: "Also, ich war auf’ 'ner Sonderschule. Hab’ ich zu ’ner Lehrerin gesagt, fick’ dich.
    Er ist 13 Jahre alt.
    Schüler: "Ich war erst auf der Grundschule, dann bin ich von der vierten Klasse runtergeflogen, ich hab’ mal Eier gegen die Schule geworfen, also die Fensterscheibe. Und ich war laut in der Klasse."
    Nicole: "Ja, die Lehrer waren da ziemlich scheiße."
    Nicole kratzt sich am Kopf. Ein halbes Jahr lang ist sie nicht mehr zur Schule gegangen.
    Nicole: "Wenn die gesagt haben, mach’ mal das, hab’ ich gesagt 'nein, ich hab’ keine Lust darauf' - und das hat die Lehrer auch schon so genervt. Wenn man nicht so nach ihrer Nase getanzt hat, dann konnten die schon wirklich schlimm werden. 'Kannst du mal leise sein', 'Das geht nicht', 'Du störst den Unterricht, und die andern können nicht mehr richtig lernen', und solche Sachen. Und dann bin ich irgendwann nicht mehr hingegangen, weil ich keine Lust hatte, mir die Scheiße von den Lehrern anzuhören und alles."
    "Nach einer Zeit macht’s auch einfach keinen Spaß mehr"
    Fayha: "Ja, mir hat die Schule einfach nicht mehr gefallen. Nach einer Zeit macht’s auch einfach keinen Spaß mehr, also finde ich."
    Fayha ging auf eine Gesamtschule. Dort hatten die Lehrer keine Zeit für sie, berichtet sie.
    Fayha: "Die Lehrer sagen immer zu uns, wenn ihr Probleme habt, könnt ihr jederzeit zu uns kommen, wir sind gerne ansprechbar. Aber das sind die eigentlich gar nicht."
    Sie kann sich nicht vorstellen, da noch einmal hinzugehen.
    Fayha: "Ja, deswegen musste ich die Schule schwänzen."
    Mutter: "Es hat geknallt. Aber Sie sitzen dann da und sagen: Ja, klasse, was soll ich machen.
    Sebastian ging aufs Gymnasium. Seine Mutter sah keine Möglichkeit mehr, ihren Sohn dazu zu bewegen, die Schule zu besuchen.
    Mutter: "Also ich hab’ die Situationen gehabt, er stieg nicht aus dem Auto aus. Bin ich hoch zu der Lehrerin, hab’ gesagt, verdammt noch mal, Sie sind die Pädagogin, sagen Sie mir, was ich jetzt machen soll, der steigt nicht aus. Da sagt die nur, ja, der muss kommen."
    Hilfe bekam sie nicht.
    Mutter: "Es ist von der Schule nie eine Info gekommen, machen Sie das und das. Gab’s nicht. Wir haben es so erfahren, dass wir das von der Schule immer nur zu hören kriegten, als eine Konsequenz, dass er eine Woche nicht zur Schule gehen durfte. Ja, für jemand, der doch schon versucht, um die Schule rum zu kommen, was war das für eine Konsequenz? Und wenn wir sagten, wir haben den Kinderpsychologen, und er möchte sich gerne mit den Lehrern zusammensetzen, dann haben wir durchaus so Antworten gehört wie 'Nimmt das viel Zeit in Anspruch?'"
    Die Schule muss das Jugendamt informieren
    Bleibt ein Kind unentschuldigt dem Unterricht fern, muss der Lehrer die Eltern ansprechen, in der Hoffnung, die Eltern kümmern sich darum, dass das Kind wieder zur Schule geht. Ist dies nicht der Fall, muss die Schule das Jugendamt informieren, das wiederum die Eltern beraten soll. Hilft das alles nichts, kann ein Bußgeld verhängt werden, in gravierenden Fällen auch Jugendarrest. Der 15-jährige Dennis kennt sich da inzwischen aus.
    Dennis: "Dann kam erstmal ein Bußgeld, das hat meine Mutter bezahlt, ich bin aber weiter nicht gegangen, und dann kam auf einmal ein Brief vom Richter, ein Beschluss, dass ich in den Knast, also ins Gefängnis gehen muss. Also: Ich saß zwei Wochen."
    Viele Lehrer und Lehrerverbände rufen nach einer zeitlich unbegrenzten Verankerung von Sozialarbeitern an jeder Schule. Nicht nur um fachlichen Unterricht geht es, sondern auch um die Wertschätzung des Schülers.
    Dennis: "Ich hatte ja über 200 Fehlstunden, und die Lehrer, die haben nicht mal bei mir zuhause angerufen und gefragt, wo ich bin. Gar nichts. Ich hab’ gedacht, die machen das mal. Haben sie nicht gemacht. Ich wurde komplett ignoriert. Ich war Luft für die."