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Schweden
Die Integration gilt als gescheitert

Nachdem die Polizei einen 69-Jährigen aus Portugal stammenden Mann erschossen hatte, eskalierte in Stockholmer Vororten die Gewalt. Der Frust über die oft hoffnungslose Lage vieler Einwanderer und Flüchtlinge im angeblichen Musterland Schweden brach sich Bahn. Ein Jahr danach sind die sozialen Probleme weiter ungelöst.

Von Carsten Schmiester | 20.05.2014
    Brennende Autos in Stockholm-Husby
    Vor einem Jahr: brennende Autos im Stockholmer Vorort Husby (dpa / Fredrik Sandberg)
    Sechs Tage voller Gewalt, mehr als sechs Millionen Euro Sachschaden und eine zentrale Frage. Waren das "Helden oder Hooligans", so ein Internet-Blog am Jahrestag der Krawalle: Hatten diejenigen, die vor einem Jahr erst im Stockholmer Problemvorort Husby und dann auch in anderen Städten des Landes auf die Polizei losgingen, die Autos und sogar eine Kindertagesstätte anzündeten, hatten die das alles nur aus Wut über den Tod eines von einem Polizisten erschossenen 69-Jährigen getan, oder war das ein Aufschrei der Hilf- und vor allem Hoffnungslosigkeit. Wohl beides ...
    "Die schreiben nur über das, was wir Jugendliche tun, aber nicht über die Polizeigewalt und das frustriert uns."
    Einer der Beteiligten vor einem Jahr im Interview. Der Tod des 69-Jährigen, laut Polizei klare Notwehr, war ein Funke, der zur Explosion führte. Dahinter steckte die oft hoffnungslose Lage vieler Einwanderer und Flüchtlinge im angeblichen Musterland Schweden, dass dieses Image seither wohl los ist. Zwar ist in Husby und in anderen ähnlich schwierigen Vorstädten ein bisschen was gemacht worden, hier ein neues Jugendzentrum, da renovierte Wohnblocks und reparierte Straßenlampen. Aber die sozialen Probleme sind weiter ungelöst, die Integration ist weitgehend gescheitert, das sagen Experten wie der Kriminologe Felipe Estrada von der Universität Stockholm. Von dort kommt jetzt eine neue deprimierende Studie zur Lage der Flüchtlinge und Einwanderer.
    Wer konnte, ist aus Husby weggezogen
    "Es gibt sehr viele Berichte über ein im Alltag erlebtes demokratisches Defizit in Husby. Die Menschen dort fühlen sich übergangen. Man ist zwar engagiert und will den Stadtteil besser machen. Man ist sogar stolz auf Husby, aber das Gefühl, auf Widerstand und Desinteresse seitens der Behörden zu stoßen, ist groß. Dieses Gefühl, dass sich selten jemand für die Ideen interessiert, die man hat."
    Wer es sich leisten konnte, aus Husby und den armen Vororten der anderen Städte wegzuziehen, der hat das im vergangenen Jahr gemacht. Die Konsequenz: Leute, die noch immer dort leben, sind mehr denn je stigmatisiert, tragen den "Looser"-Stempel, gelten als Verlierer und das sind sie oft auch: 20 bis 24-Jährige aus diesen Gruppen bleiben drei Mal häufiger arbeitslos als junge Schweden, die Adresse schreckt ab und nichts deutet darauf hin, dass der Staat dieses Problem ernsthaft anpackt, sagt Estrada, ein bisschen Kosmetik vielleicht, aber mehr nicht.
    "Was sich abzeichnet, ist wachsende Frustration, ein Gefühl, dass die eigenen Kinder nicht dieselben Chancen haben wie andere Kinder. Dabei ist man sich der großen finanziellen und sozialen Unterschiede voll und ganz bewusst, die es heute etwa in Stockholm gibt. Und diese Unterschiede, das wissen wir, werden immer größer."
    Und damit wächst sicher auch die Ohnmacht der zunehmend chancenlosen Verlierer auf der Schattenseite des einigermaßen entzauberten Wohlfahrtsstaates. Sicher, es hat – bisher – keine neuen Krawalle gegeben. Aber dieser Zustand der, sagen wir, "Nicht-Unruhe" ist nach Meinung der Forscher trügerisch. Frust und Resignation sind eher sogar größer geworden - es könnte also jeden Moment wieder losgehen.