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Schweiz
Tonnenweise Mikroplastik - auch im Hochgebirge

Wie viel Mikroplastik lagert in Schweizer Böden? Das haben Geografen der Universität in Bern untersucht und sind zu alarmierenden Ergebnissen gelangt. Denn Mikroplastik lagert nicht nur tonnenweise in Auenböden, Wiesen und Naturschutzgebieten, sondern auch im Hochgebirge.

Von Dietrich Karl Mäurer | 14.05.2018
    Wiesen, Bäume und Bergpanorama im Nationalpark im Engadin im schweizerischen Kanton Graubünden
    Wie kommt das Mikroplastik auch in die entlegenen Bergregionen, also in Gebiete, wo kein Mensch lebt? (picture alliance / dpa)
    Eine Flussaue im Hochtal Vallée de Joux im Westschweizer Jura. Um Touristen wirbt man hier mit dem Prädikat: unversehrte Natur. Doch ist die Natur hier tatsächlich so unberührt? Wissenschaftler des Geographischen Instituts der Universität Bern sind der Frage auf den Grund gegangen. Im Vallée de Joux und in 28 weiteren Flussauen in Schweizer Naturschutzgebieten suchten sie nach Mikroplastik, also nach winzigen Kunststoffteilchen - zwischen einem Mikrometer und fünf Millimetern groß, erklärt Moritz Bigalke von der Uni Bern.
    "Wir haben Bodenproben genommen in Naturschutzgebieten. Und wir haben die Gebiete so ausgesucht, dass wir halt von diesen sehr unbelasteten Gebieten, wo quasi direkt nach der Quelle der Flüsse im Hochgebirge, bis runter in das dicht besiedelte Gebiet gehen, wo wir schon sehr große Flüsse haben, so auch Abwassereinleitungen sind, wo Industrieanlagen sind, wo viele Menschen leben."
    Erstaunliche Fundorte
    Dass es Mikroplastik in Meeren und Seen gibt, ist bekannt. Für die Analyse von Böden mussten die Berner Forscher erst ein Verfahren entwickeln.
    Obwohl die Standorte in Naturschutzgebieten liegen, fanden der aus Nordrhein-Westfalen stammende Wissenschaftler und seine Kollegen in 90 Prozent der Auenböden tatsächlich Mikrokunststoffe. Sogar im Hochgebirge wurden sie fündig.
    "Wir sind schon davon ausgegangen, dass wir in Auenböden Plastik finden, weil bekannt ist, dass Mikroplastik im Wasser vorkommt und Auenböden direkt am Wasser liegen. Wir sind aber davon ausgegangen, dass es im Mittelland, im Schweizer Mittelland, wo es recht dicht besiedelt ist, dass wir das finden, aber dass wir es wirklich im Hochgebirge finden, wo es eigentlich keine Plastikquellen gibt, keine Industrie gibt, nicht viel Menschen gibt, die irgendwie Müll ablagern können, da sind wir nicht davon ausgegangen, dass wir es dort auch finden."
    Nur drei der 29 untersuchten Böden waren komplett frei von Mikroplastik.
    Die höchsten Konzentrationen an Kunststoffpartikeln stellten die Berner Forscher dort fest, wo größerer Plastikmüll im Boden gefunden wurde.
    Hochrechnung mit alarmierenden Ergebnis
    Anhand ihrer Bodenanalysen wagen die Wissenschaftler eine Hochrechnung für die gesamte Schweiz: In den obersten fünf Zentimetern allein der Auenböden vermuten sie 53 Tonnen Mikroplastik.
    "Das war eine ganz grobe Hochrechnung, wo wir einfach gesagt haben, wir nehmen jetzt den Mittelwert der Konzentration und rechnen den auf die Naturschutzgebiete also die geschützten Auen in der Schweiz um. Und dann kommen wir auf diesen Wert."
    Doch wie kommt das Mikroplastik auch in die entlegenen Bergregionen, also in Gebiete, wo kein Mensch lebt? Moritz Bigalke und seine Kollegen haben eine Theorie.
    "Wir gehen davon aus, weil es so fein ist und weil sehr homogen ist – es ist alles Polyethylen, also nur eine Plastikart – dass das wahrscheinlich mit dem Wind verfrachtet werden kann und so ins Hochgebirge gelangt. Wir haben keine andere Erklärung, dass wir dort oben auch Plastik finden."
    Auch wenn die möglichen Auswirkungen von Mikroplastik im Boden auf Lebewesen bislang kaum erforscht sind, so sprechen die Berner Wissenschaftler von alarmierenden Befunden.
    "Zu Böden gibt es bisher nur zwei Studien zu Regenwürmern. Und da hat man herausgefunden, dass in hohen Konzentrationen kann Mikroplastik Regenwürmer töten, aber auch schon in sehr niedrigen Konzentrationen kann es dazu kommen, dass der Darm von Regenwürmern wenn sie das Mikroplastik fressen und es dann durch den Darm geht, dass der gereizt wird und sich da Entzündungen bilden. Über die Auswirkungen auf Menschen gibt es noch gar keine Studien."
    Man stehe erst am Anfang der Forschungen, sagt Moritz Bigalke. Offen sei beispielsweise, die Frage, ob Mikroplastik über landwirtschaftliche Böden in die Nahrungskette gelangen kann.