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Schwerpunktthema: Karakorum

Dschingis Khan gilt als einer der größten Massenmörder der Geschichte. Doch die 1220 gegründeten Hauptstadt seines riesigen Nomadenreichs zeigt ein ganz andere Seite des Mongolenherrschers: Tolerant und weltoffen. Nun legen Archäologen die Metropole im Herzen der Mongolei wieder frei.

Von Barbara Weber | 23.08.2012
    "Die Stadt macht den Staat. Ich kann, um das Wort eines chinesischen Beraters Dschingis Khans zu zitieren, ich kann ein Reich vom Rücken des Pferdes aus erobern, aber ich kann es nicht vom Rücken des Pferdes aus verwalten. Dazu bedarf es einer Zentrale, einer organisierten Zentrale für die Reichsadministration, viele andere Funktionen natürlich auch. Ich brauche eine Stadt."

    Prof. Hans-Georg Hüttel, Archäologe, ehemals Deutsches Archäologisches Institut.

    "Was die Stadt Karakorum betrifft gibt es zwei Stadtviertel, einmal das der Sarazenen, wo die Märkte stattfinden und viele Kaufleute der Nähe des Hofes wegen zusammenkommen, aber auch in Anbetracht der Gesandten, die sich hier aufhalten. Und dann gibt es das Viertel der Cathai, die in der Hauptsache Handwerker sind."

    Wilhelm von Rubruk: "Reise zu den Mongolen. Von Konstantinopel nach Karakorum, 1253 – 1255":

    "In der Stadtmitte, an der Straßenkreuzung, konzentrieren sich Handwerker, nicht nur Handwerker sondern auch Händler, und hier kann man sehen mehr chinesische Architektur und im Norden und Nordosten konzentriert sich das muslimische Viertel und auch Besonderheiten muslimischer Architektur und auch zwei Moscheen, aber das sind natürlich nicht nur muslimische Leute aus Mittelasien, sondern es haben verschiedene Nationen zusammengelebt."

    Der Religionswissenschaftler Batjargal Bundkhorol und der Archäologe Prof. Ulambayar Erdenebat stehen vor einem Modell der alten Stadt Karakorum in einem kleinen, modernen Museum unweit der mittelalterlichen Stadt. Hier werden Funde gezeigt, die in zwölfjähriger Grabung geborgen werden konnten. Das Modell ist ein Ergebnis der jahrelangen Zusammenarbeit deutscher und mongolischer Archäologen. Für die Mongolen ist es die Erforschung eines Mythos, des Gründungsmythos ihrer Nation.

    "Der Gründungsmythos beruht auch auf einem großen, massigen Stein, von dem einige Fragmente schon im 19.Jahrhundert gefunden wurden. Größere Stücke brachte die deutsch mongolische Grabung zutage."

    "Diesen Stein haben wir gefunden."

    Sagt Prof. Erdenebat und deutet auf ein Fragment des Gründungsmonuments.

    Bundkhorol, der Religionswissenschaftler und Direktor des Museums, erläutert die Bedeutung des Gründungsstein.

    "Die Inschriften sind zweisprachig: eine Seite altmongolisch und andere Seite chinesisch."

    Übersetzt Ulambayar Erdenebat.

    "Sehr wichtige Information für unsere Karakorumforschung ist das Gründungsdatum und auch die Baugeschichte eines heiligen Tempels in Karakorum. Hier ist zum Beispiel das Gründungsdatum: 15. Jahr des Dschingis Khan, heißt 1220 und hier: Dschingis Khan, Karakorum Stadt gegründet, in Wirklichkeit hat der dritte Sohn des Dschingis Khan 1235 eine Stadtmauer und einen Palast errichtet. Zumindest fünfzehn Jahre später haben wir die ersten sicheren Überlieferungen, dass etwas gebaut wurde in der Stadt, und das deckt sich auch bislang mit den archäologischen Ergebnissen."

    Ergänzt Dr. Christina Franken vom Deutschen Archäologischen Institut.

    "Damit hat man letztendlich dieser Stadt eine größere Bedeutung gegeben, hat sie letztendlich legitimiert dadurch, und das findet man durchaus häufiger, und auch hier ist das so gemacht worden. Aber letztendlich bis heute ist eigentlich dieses Gründungsdatum 1220 das, was präsent ist. Die Mongolen sind sich da in weiten Teilen der Bevölkerung sicher, dass diese Stadt auf Dschingis Khan zurückgeht."

    Mitten im Zentrum der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar, direkt vor dem Parlament, thront er wie ein monumentaler Buddha, der große Nationalheld Dschingis Khan.

    "Dschingis Khan ist der Vater der mongolischen Nation."

    Sagt Hans-Georg Hüttel.

    "Er ist der, der die in Feindschaft miteinander befindlichen mongolischen Stämme und Clans geeinigt hat, zu einer Nation geformt hat und damit die Voraussetzung auch geschaffen hat für das moderne mongolische Staatsgebilde, der einzige Nomadenstaat Asiens, der bis heute überdauert hat, als Staat, als autonomer Staat überdauert hat."

    Dschingis Khan und die Mongolen verbreiteten Angst und Schrecken im Mittelalter, einer Epoche, die von Eroberungen und Kriegen gekennzeichnet war. Der Ruf, skrupellose, brutale Bestien zu sein, eilte den Reitern voraus.

    "Er hat das Territorium als erstes sehr weit ausgedehnt. Das ist natürlich ein gewisser Automatismus, der darin liegt: Sein Stamm erobert das Gebiet des anderen Stammes, der wiederum das Gebiet eines weiteren Stammes und so weiter. Dann müssen die Leute versorgt werden, das heißt, man braucht mehr und mehr Wasser und Gras. Es ist die Suche nach Wasser und Gras. Und das geht weiter und weiter, zunächst in die Bereiche derer, die in Filzzelten leben, wie es so schön heißt, also der Nomaden und dann in die nichtnomadischen Reiche."

    1218 zum Beispiel greift Dschingis Khan erstmals ein großes Reich an, ein "Sesshaftenreich", das choresmische Reich, nordöstlich des Iran und bezwingt dieses Reich, und damit entsteht die Notwendigkeit, diese labile reiterkriegerische Herrschaftsbildung überzuführen in ein Staatsgebilde, in ein bürokratisch organisiertes Staatsgebilde. Und dazu braucht es auch Städte zum Beispiel. Am Ende stand ein Weltreich, das im Osten bis an das Japanische und im Westen bis zum Kaspischen Meer reichte. Der Großkahn aller Mongolen eroberte weite Teile Zentralasiens und Nordchinas.

    Die Hauptstadt des mittelalterlichen mongolischen Großreiches lag 320 Kilometer westlich von Ulaanbaatar im Tal des Orchon auf der Ostseite des Flusses. Rund einen Tag dauert die Fahrt auf der von Dauerfrösten beschädigten Straße und den Ruckelpisten.

    Der Blick schweift über die unendliche Weite der Steppe, begrenzt von sanft ansteigenden Hügeln. Schafherden, Kamele, Pferde, Kühe und Ziegen weiden in der Landschaft. Durch den üppigen Regen in diesem kurzen, nur zwei Monate dauernden Sommer, leuchtet das Gras saftig grün. Vereinzelt taucht eine weiße Jurte auf. Nach der Statistik leben auf einem Quadratkilometer nur knapp zwei Bewohner. Dann, am Nachmittag, einzelne Häuser und ein buddhistisches Kloster, Erdene Zuu, von einer Mauer umgeben - hier ist Karakorum.

    Dass dieser Ort gewählt wird, außerhalb der Stammesgebiete, der ursprünglichen Stammesgebiete der Dschingis Khan Familie, hat natürlich auch damit zu tun, dass man ja jetzt nicht nur Mongolen in seinem Reich versammelt, sondern auch andere Völker. Das ist also bewusste Politik, dorthin zu gehen, wo auch eine Legitimation ist für alle Leute, die in Filzzelten leben, nämlich es ist eine alte, heilige Tradition, im Orchon Tal, im sogenannten Ötükän Gebiet, dem heiligen Hain der alten türkischen Völker zu siedeln. Wer dort siedelt, der beherrscht die Welt, zu dem kommen von Ost und West, von Nord und Süd alle Völker, ihm zu dienen.

    Zwanzig Jahre später - längst regiert ein Nachkomme des Dschingis Khan - kommt auch der Franziskanermönch Wilhelm von Rubruk nach Karakorum. Er soll als Missionar im Auftrag des französischen Königs die Mongolen als Verbündete zur Eroberung des Heiligen Landes gewinnen. Er beschreibt eine kosmopolitisch geprägte, liberale Hauptstadt mit einem beeindruckenden Palast.

    "Nicht weit von der Stadtmauer von Karakorum entfernt besitzt …(der Khan) einen großen Palast, der wie bei uns die Mönchsklöster von einer Ziegelmauer umgeben ist. Dort erhebt sich ein großes Schloss, in dem der Khan zweimal im Jahr ein Trinkgelage abhält. … Dort gibt es eine große Zahl an Gebäuden von länglicher Gestalt wie Scheunen, in denen seine Lebensmittelvorräte und Schätze aufbewahrt werden."

    "Weil es am Eingang des Palastes keinen guten Eindruck machte, wenn man da die Schläuche mit Milch und anderen Getränken herumtrug, errichtete Meister Wilhelm aus Paris einen großen Baum aus Silber, zu dessen Wurzeln vier Löwen aus Silber liegen. Im Innern befindet sich eine Röhre, durch die weiße Stutenmilch geleitet wird. Im Baum selbst sind vier Röhren nach oben geführt. … Um jedes Ende dieser Röhren windet sich in gleicher Weise eine goldene Schlange, deren Schwanz um den Stamm des Baumes geschlungen ist. Aus einer dieser Röhren fließt Wein, aus der anderen vergorene Stutenmilch ohne Hefe, aus der dritten Bal, jenes Honiggetränk, und aus der vierten ein aus Reis gewonnener Wein."

    Seit dem 19.Jahrhundert suchen Archäologen den Palast des Großkhans und den legendären Silberbaum.
    Auch Hans-Georg Hüttel grub bis zu seiner Pensionierung danach. Unweit des Klosters Erdene Zuu steht seine Nachfolgerin Dr.Christina Franken auf einem Hügel. Die Archäologin zeigt in die Landschaft:

    "Dahinten dieser Hügel, den man im Norden sieht, das ist unsere ehemalige Grabungsstätte, an der wir sieben Jahre lang gegraben haben, das Gelände im Prinzip, von dem man ursprünglich vermutet hat, dass sich dort der Palast der Stadt befunden hat, und wie wir dann im Laufe der Grabungen festgestellt haben, muss es sich dabei recht eindeutig um einen buddhistischen Tempel gehandelt haben. Sowohl die Befunde als auch die Fundsituation ließ den Schluss letztendlich eindeutig zu. Wir können noch mal da hoch gehen, einige der Säulenbasen des Tempels sind noch zu erkennen."

    Seit hundert Jahren wird in Karakorum geforscht, doch der Tempel ist der erste komplett ergrabene Bau, vollständig erschlossen und von dem deutsch-mongolischen Wissenschaftlerteam dokumentiert. So konnten die Forscher auch nachweisen, dass es sich bei dem Gebäude nicht um den Palast des Großkhans handelt. Die Archäologen vermuten, dass der Tempel in chinesischer Skelettbauweise mit einem zwei- oder dreistufigen Dach erbaut wurde. Mutmaßlich liegt dem eine tibetische Bauidee zugrunde, ähnlich der des Klosters Erdene Zuu.

    Die Säulenbasen aus Granit trugen ein Dach, geschmückt mit Drachen und Löwen; die Wände bedeckten buddhistische Wandmalereien; Fragmente buddhistischer Großplastiken konnten sichergestellt werden. Überreste von mindestens acht Tonplastiken zwischen drei und fünf Metern Höhe fanden die Wissenschaftler.

    "Das ist eine Säulenbase der Vorhalle. Die ist etwas kleiner als die Säulenbasen der Haupthalle, die kann man dort hinten erkennen. Insgesamt ist das ein Gebäude gewesen mit acht mal acht Säulen, vierundsechzig Säulen insgesamt, ein quadratisches Gebäude, was hier an dieser Stelle errichtet wurde auf einem künstlich aufgeschichteten Hügel und oben auf diese künstliche Aufschichtung hat man dann dieses Tempelgebäude gesetzt. Und um diesen großen Zentralhügel herum kann man dann in alle Richtungen noch kleinere Hügel erkennen, wir sehen hier hinten einen Hügel, dann hier ein weiterer Hügel, der auch von uns ergraben wurde im Laufe der Jahre, dort hat sich ein Nebengebäude befunden, wahrscheinlich eine Art Gebetshalle, und bislang nicht ausgegraben sind insgesamt noch eins, zwei, drei, vier Hügel. Bei dem in die vordere Richtung, das, was man hier jetzt Richtung Süden erkennen kann, ist davon auszugehen, dass das ein Torbau gewesen ist, der den Eingang zu diesem Tempelkomplex bildete."

    Vor dem südlichen Haupttor des Tempels steht eine große Granitschildkröte. Wahrscheinlich diente sie als Basis für den Gründungsstein der Hauptstadt. Ein Bruchstück der Inschrift wurde wohl bei der Schildkröte entdeckt, ein weiteres Bruchstück fand Erdenebat im Fundament des Tempels.

    "Die Schildkröte ist ein Symbol für Ewigkeit, langes Leben und Frieden, das heißt, die Stadt muss ewig in Frieden bleiben. Die ist positioniert am südwestlichen Rand der altmongolischen Hauptstadt. Auf dem Gelände der Stadt Karakorum gibt es vier Schildkröten, für die vier Himmelsrichtungen. Wir sind jetzt neben der großen Schildkröte."

    Von der Schildkröte geht der Blick in die weite Ebene des Orchon Tals - in der Ferne eine Mauer, geschmückt mit einhundertacht Stupas, kleine buddhistische Tempel.

    "Dreihundert, vierhundert Meter sind das, da guckt man auf dieses heutige Kloster Erdene Zuu aus dem 16.Jahrhundert, dessen Nordmauer, wie wir zunächst vermutet haben, den Abschluss der Stadtanlage bildete, aber die Grabungen im Bereich der Klostermauer haben gezeigt, dass ganz offensichtlich auch dieser Bezirk noch zum eigentlichen Stadtgelände von Karakorum dazugehört hat."

    Am Osttor des Klosters, direkt an der Mauer, graben die Archäologen auch in diesem Jahr. Grabungshelfer aus dem angrenzenden Ort Kharkhorin stehen in einer Grube, die verschiedene Abstufungen zeigt.

    Christina Franken erkundigt sich bei der Archäologin Judith Blödorn nach dem Stand. Sie suchen nach Überresten der dicken Stadtmauer der ehemaligen mongolischen Hauptstadt. Die Mauern des Klosters stehen direkt auf den alten, acht Meter mächtigen Stampflehmmauern.

    "An dieser Stelle, also dieser Übergang von Mauer zu Torsituation, ist jetzt zusätzlich noch die Hoffnung, dass wir auch Fundamente des alten Karakorum-zeitlichen Osttores in diesem Bezirk finden."

    "Wir vermuten, dass sich hier in diesem Bereich ursprünglich der Palast der Stadt Karakorum befunden hat. Grabungen im Inneren haben bislang noch nicht stattgefunden. Das ist eine Frage, die wir in den nächsten Jahren beantworten wollen."

    Meint die Wissenschaftlerin des Deutschen Archäologischen Instituts.

    "Heute sind nur noch einige wenige Tempelanlagen erhalten. Es gibt ein Tempelgebäude im tibetischen Stil errichtet, was man jetzt hier in nördlicher Richtung sieht, eine Tempelanlage im chinesischen Stil hat sich dann etwas weiter südlich erhalten. Ursprünglich ist aber das gesamte Innere des Klosters nahezu vollständig bebaut gewesen. Es hat einige Tempelanlagen mehr gegeben und um diese Tempelanlagen herum große, von Mongolen, mongolischen Mönchen bewohnte Areale, mit Jurten, mit Bretterhäusern, die hier gestanden haben. Das alles ist in den dreißiger Jahren komplett zerstört worden, so dass es heute nur noch diese recht große Freifläche gibt an dieser Stelle."

    Heute lässt sich kaum vorstellen, dass in dieser Klosterstadt einst 10.000 Mönche gelebt haben. Fast alle wurden ermordet. Skelette, die die Archäologen außerhalb der Klosteranlage fanden, stammen aus der Zeit, als stalinistische mongolische Truppen die Anlage fast dem Erdboden gleich machten. An die noch erhaltenen Tempel schließen sich drei kleine Gebäude des Klosterstifters und seiner Familie an. Sie sind die ältesten religiösen Bauwerke in der Mongolei und bergen ein kleines Museum.

    Prof. Erdenebat verhandelt mit dem Leiter des Museums. Es muss im Kloster ein altes Fotoalbum geben, auf dem die Gebäude vor der Zerstörung abgebildet sind. Endlich ist es gefunden. Hans-Peter Wittersheim, Fotograf am Deutschen Archäologischen Institut, will die Bilder einscannen und digital bearbeiten. Christina Franken und Erdenebat beugen sich über das zerfledderte Album:

    "Erst mal ist es für uns wichtig, dieses Fotoalbum als Dokument zu erhalten, dafür ist eine Digitalisierung wichtig und Informationen, die wir daraus erhalten können sind zum Beispiel Fotos von Tempeln, die sich ursprünglich hier in Erdene Zuu befunden haben, die uns eventuell Hinweise darauf geben oder Beispiele dafür liefern, wie dieser Tempel aus dem 13. und 14.Jahrhundert, den wir im Stadtgelände ergraben haben ausgesehen haben könnte. Und ein Gebäude gibt es oder gab es hier in Erdene Zuu, was durchaus gewisse Ähnlichkeiten aufweist. Man kann hier auf diesem Foto die große Versammlungshalle erkennen, und dabei handelt es sich um einen großen Tempelbau, der durchaus in seinem Aufbau vergleichbar ist wahrscheinlich mit dem Gebäude, was wir aus der älteren Zeit freigelegt, ergraben haben."

    Karakorum war keine große Stadt: Nur knapp zwei Quadratkilometer maß sie. Sie hatte vier Tore, eine von einem Erdwall umgebene Stadtanlage. Sie diente als Schaltzentrale der Reichsadministration, als Lager für Beute aus Raubzügen, Stapelplatz von Tributlieferungen. Karakorum war das Zentrum des Staatskultes und der Sitz des höchsten Gerichts. Die Stadt bildete den Ort des Rückzugs für die bei Heerzügen zurückgelassenen Frauen, Kinder und Alte. Hier arbeiteten kunstfertige Kriegsgefangene. Funde wie Münzen belegen, dass Karakorum als Fernhandelsplatz diente und als regionales Marktzentrum. All das ist nicht nur aus Überlieferungen und Grabungen bekannt, sondern auch vermessungstechnisch-topographischen Arbeiten und paläobotanischen Untersuchungen zu verdanken.

    Zu den Wissenschaftlern, die das Deutsche Archäologische Institut eingeladen hat, um diese Arbeiten durchzuführen, gehört auch Privatdozent Dr. Jörg Faßbinder, Geophysiker am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege. Er erforscht einen weiteren Grabungsplatz, den etwa eine dreiviertel Stunde entfernt liegenden alten uigurischen Ort Karabalgasun. Hier untersucht er mit dem Magnetometer den Boden.
    Abends in einer Jurte im archäologischen Camp, hält der Geophysiker für die auf beiden Grabungen arbeitenden deutschen und mongolischen Studenten eine Vorlesung. Thema: Messungen mit dem Magnetometer.

    "Hier auf diesem Platz ist die Magnetometer-Prospektion die beste Methode, um sehr schnell, sehr detaillierte Erkenntnisse zu gewinnen. Deswegen wenden wir die jetzt an für eine große Fläche in kurzer Zeit aber sehr, sehr empfindlich und sehr detailliert ist die Magnetometrie im Moment das Beste."

    Prof. Erdenebat übersetzt den mongolischen Studenten den Vortrag, während der Geophysiker seinen Laptop mit den Bildern hochhält.

    "Wie funktioniert Magnetometrie? Es gibt eine normale Bodenschichtung, die ungestört ist, und der Oberboden ist immer stärker magnetisch als das darunterliegende. Und warum? Weil der Mensch Feuer braucht. Hier ein Beispiel: Ein Holzpfosten, der im Boden verbrannt ist, also der ist hier eingebaut und ist hier verbrannt. Vielleicht können das alle sehen?"

    "Wenn ich mit diesem kleinen Gerät messe, den normalen Boden, also der nicht gebrannt hat - hier gebrannt, das ist fünf Mal magnetisch stärker als das nicht gebrannte."

    "Also durch Feuer entstehen magnetische Minerale."

    Die Messwerte werden am Computer umgewandelt in ein schwarz-weiß Bild. Während Wissenschaftler aus der Luft nur das sehen, was sich an der Oberfläche zeigt, misst der Magnetmesser Strukturen im Boden. Was aber ist mit Holzpfosten, die nicht verbrannt sind aber trotzdem magnetisch? Jörg Faßbinder schaute sich die Mineralien unter dem Elektronenmikroskop näher an und machte eine Entdeckung:

    "Interessanterweise sind diese Minerale purer Magnetit, und sie entstehen nicht durch Feuer. Wir haben geforscht und herausbekommen, dass diese Minerale durch Bakterien entstehen und wir haben auch Bilder, wie sie aussehen."

    Begeistert zeigt der Geophysiker das Laptopbild eines bayerischen Prachtexemplars in die Höhe. Der Clou daran: Was in Bayern funktioniert, klappt auch in der Mongolei!

    "Es gibt Bakterien, die Magnetit bilden und im Boden hinterlassen und sich hauptsächlich in organischen Resten aufhalten."

    So bildet sich unabhängig von Feuer Magnetismus. Das erweitert die Möglichkeit der Forscher, organische Reste im Boden zu finden. Die organischen Reste, die Jörg Faßbinder untersucht, stammen von einer Stadt, die ungleich größer ist als Karakorum, die uigurische Hauptstadt Karabalgasun. Karabalgasun maß zu seiner Blütezeit 35 Quadratkilometer und war von 745 bis 840 nach Christus besiedelt. Auch hier gräbt das Team des Deutschen Archäologischen Instituts. Doch anders als in Karakorum sind die Wissenschaftler erst am Beginn der Forschung.

    Aber die Archäologen interessiert mehr: Gibt es bestimmte Muster, nach denen nomadische Siedlungen gebaut wurden? Führt der Anspruch, es großen, etablierten Mächten gleichzutun, zu einer Angleichung an vorbildhaften Herrschaftstypen und ihrer Symbolik? Ist Stadtgründung womöglich ein Instrument nomadischer Raubpolitik?
    Noch bleiben diese Fragen unbeantwortet.

    Am nächsten Tag graben die Archäologen und ihre Helfer am Osttor des buddhistischen Klosters Erdene Zuu weiter. Ihre Mühe wird belohnt: Die Überreste eines Tores werden entdeckt. Aber ist es eines der gesuchten Tore zum Palast von Karakorum? Das lässt sich noch nicht sagen. Erst müssen die Holzreste - wie die Wissenschaftler sagen -dendrochronologisch untersucht werden. Bei dieser Methode machen sie sich zunutze, dass sich Baumringe jedes Jahr unterschiedlich ausprägen, je nach Witterungseinfluss.
    Durch Übereinanderlegen unterschiedlicher Hölzer lässt sich ein Kalender erstellen, der zumindest verrät, wann das Holz geschlagen wurde.

    "Am Pfingstsonntag, 31.Mai 1254, ließ Mangu Khan mich und jenen Götzendiener, mit dem ich disputiert hatte, zu sich rufen. Noch bevor ich bei ihm eintrat, sagte mir mein Dolmetscher, der Sohn des Meister Wilhelm, dass wir in unser Land zurückkehren müssten und ich dagegen keine Einwendungen machen sollte, weil er es als ausgemachte Sache erfahren habe. Als ich vor den Khan trat, musste ich die Knie beugen, ebenso der Götzendiener neben mir und sein Dolmetscher."

    Wilhelm von Rubruk scheiterte mit seiner Mission, den Khan zu einem Kreuzzug ins Heilige Land zu überreden. Aber er überlieferte uns mit seinem Reisebericht eine detaillierte Beschreibung der mongolischen Hauptstadt und der Lebensweise der Mongolen. Die Götzendiener, die er beschrieb, waren buddhistische Mönche. Quellen dieser Art lassen sich nicht eins zu eins übertragen können aber wertvolle Hinweise liefern. Wilhelm von Rubruk konnte nicht ahnen, dass es rund 130 Jahre später die Pracht vorbei sein würde. Das Ende Karakorums kam einem Verschwinden in die Bedeutungslosigkeit gleich. Prof.Hans-Georg Hüttel:

    "Karakorum wurde seit seiner Gründung durchgehend benutzt bis 1388, dann wurde es flächig von den Chinesen zerstört. Es wurde dann nach der Zerstörung offenbar wieder aufgebaut, ein paar Jahre später um 1412 in Teilen wieder aufgebaut. Wir wissen es nicht genau. Und dann wurde es genutzt bis weit in das 16.Jahrhundert rein wurde sogar noch einmal Hauptstadt eines ostmongolischen Rumpfreiches, gleichzeitig das Kloster Erdene Zuu gegründet, und dann hören wir das letzte Mal von der Stadt 1576. Wir hören davon. Das muss winzig gewesen sein, unbedeutend gewesen sein, spielte keine Rolle mehr. Und dann wurde die Stadt des Dschingis Khan vergessen."


    Literatur:

    Wilhelm von Rubruk, Reise zu den Mongolen, von Konstantinopel nach Karakorum, 1253-1255, hg. von Hans Dieter Leicht, Edition Erdmann, Wiesbaden 2012.

    Deutsches Archäologische Institut - Ausgrabungen in Karakorum
    Deutsches und mongolisches Archeologenteam bei Ausgrabungen in Karakorum
    Deutsches und mongolisches Archeologenteam bei Ausgrabungen in Karakorum (Wittersheim/KAAK)