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Open Access auf breiter Front

Hunderte Bibliotheken und Forschungseinrichtungen haben sich zur Open-Access-Initiative SCOAP-3 zusammengeschlossen. Aus einem gemeinsamen Topf bezahlen sie Wissenschaftsverlage, die im Gegenzug Publikationen frei zugänglich machen.

Martin Köhler im Gespräch mit Ralf Krauter | 22.01.2014
    Ralf Krauter: Open Access - hinter diesem Schlagwort steckt die Idee, wissenschaftliche Publikationen via Internet frei zugänglich zu machen. Und zwar ohne, dass die Autoren oder die Leser dafür noch extra irgendwelche Gebühren berappen müssen. Weil es bei öffentlich-geförderten Projekten keinen guten Grund gegen, wohl aber viele Argumente für Open Access gibt, nimmt die Bewegung allmählich Fahrt auf. Und einen wichtigen Impuls dafür liefert jetzt die Gemeinde der Hochenergiephysiker.
    Unter dem Namen SCOAP-3 haben sich über 1000 Bibliotheken und Forschungseinrichtungen aus 24 Ländern zusammen geschlossen zur bislang größten globalen Initiative für Open Access. Das Ergebnis: Ein gemeinsamer Topf mit rund zehn Millionen Euro pro Jahr, aus dem Verlage wie Elsevier und Springer bezahlt werden, damit sie im Gegenzug seit Anfang Januar alle Artikel in einschlägigen Journalen für Hochenergiephysik frei zugänglich machen.
    Wie es zu dem Deal kam, wollte ich von Dr. Martin Köhler wissen, dem Leiter der Bibliothek bei DESY, dem Deutschen Elektronen-Synchrotron in Hamburg.
    Martin Köhler: Ich glaube, ein Stückchen weit war die Zeit für diese Geschichte reif, und aus Sicht der Bibliotheken war es sicherlich ein Punkt, dass man gesagt hat: Wir geben mittlerweile relativ viel Geld für Zeitschriften aus und das wird jedes Jahr mehr. Wir wollen allerdings andererseits das, was wir an Forschung machen - das ist ja am Ende etwas, womit wir mit Steuergeldern Ergebnisse produzieren -, dass wir diese Ergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen wollen, und zwar nach Möglichkeit so, dass wir das vorhandene Geld, was im Augenblick durch die Bibliotheken an die Verlage gezahlt wird, dass wir das in irgendeinem Sinne, ich nenne das mal, umwidmen, sprich: Die Idee war, dass man etwas versucht zu finden, wo man auf der einen Seite den Open-Access-Gedanken umsetzt, aber auf der anderen Seite nicht dafür eine ganze Menge frisches Geld benötigt.
    Und ein weiterer wesentlicher Punkt war, dass es bei SCOAP gelungen ist, die großen Forschungsorganisationen und auch die internationalen Geldgeber an dieser Stelle mit in ein Boot zu ziehen. Das heißt, in Deutschland hat sich zum Beispiel die Deutsche Forschungsgemeinschaft beteiligt, in den anderen Ländern gab es auch zum großen Teil - bis auf die USA - große Finanzierer, die dann ebenfalls mit eingesprungen sind, um an dieser Stelle den Anfang, den man ja braucht, um so was überhaupt zum Rollen zu bringen, da einen Anstoß zu geben und das anzufinanzieren.
    Ralf Krauter: Es geht also letztlich um eine Umwidmung von Geldern, die bisher sowieso schon in Forschungspublikationen geflossen sind, die sollen jetzt in andere Kanäle fließen. Machen wir es mal konkreter: Was bedeutet das jetzt genau? Wer bezahlt da was an wen und was bekommt er ab sofort dafür?
    Köhler: Ganz konkret ist es so: Wir haben in den einzelnen Ländern über sogenannte National Contact Points die Bibliotheken und auch die Institute beziehungsweise auch die Finanzierungsorganisationen angesprochen und sie gebeten, Geld, das sowieso schon im System war, also was im Wesentlichen für Zeitschriften ausgegeben wurde, dass das in einen gemeinsamen SCOAP-Topf bezahlt wird, und dazu muss ich vielleicht auch dazu sagen: SCOAP ist die erste Initiative dieser Art, wo die Verlage insofern eine ganz besondere Rolle spielen, dass die Verlage sich darauf eingelassen haben im Rahmen des SCOAP-Projektes, dass sie die Abonnementsgebühren der Zeitschriften, die jetzt Open Access werden, dass sie diese Abonnementsgebühren erstatten - sprich, wenn ich jetzt beispielsweise ein Paket abonniert habe von Zeitschriften, wo eine Hochenergiezeitschrift drin ist, dann wird dieses Paket anteilig entsprechend günstiger, und diese Differenz, die kann ich als Bibliothek oder als Universität entsprechend in den SCOAP-Topf reinzahlen, wobei es an dieser Stelle für mich vom Budget her völlig budgetneutral ist.
    Krauter: Das heißt, als Bibliothekschef - Sie sind ja Leiter der DESY-Bibliothek - bezahlen Sie jetzt weniger direkt an die Verlage, aber wo fließt das Geld dann hin?
    Köhler: Das fließt in den SCOAP-Fonds, wenn man so möchte, wird übers CERN dann entsprechend verteilt, und wird von da an die Verlage wiederum ausgeschüttet, je nachdem, was bei ihnen publiziert wird. Also es gab ein Ausschreibungsverfahren, was an dieser Stelle zum ersten Mal die Preise für die Leistung der Verlage, die ja im Wesentlichen in diesem Fall bei dem Peer-Review, also der wissenschaftlichen Begutachtung, und der Qualitätssicherung besteht, dass die Verlage für diese Leistung bezahlt werden. Damit das funktioniert, gab es ein Ausschreibungsverfahren, wo sich die Verlage beworben haben. Und wir haben dann nach Qualität, nach Preis eine Reihenfolge gemacht und dann wurden diese Zeitschriften, die dann da zum Zuge kamen, denen wurde ein Angebot gemacht, was dann die Verlage auch angenommen haben, sodass in Zukunft alle Veröffentlichungen in diesen Verlagen aus diesem entsprechenden Topf bezahlt werden.
    Und interessanterweise, das ist auch was Neues - das ist gedeckelt, sprich, es kann nicht passieren, dass auf diese Art und Weise das beliebig teuer wird, sondern das ist an der Stelle auch gedeckelt.
    Krauter: Klingt ja so, als ob für die Verlage letztlich, von denen ja mindestens zwei sehr große dabei sind, Elsevier und Springer, klingt so, als ob das für die eigentlich nur so mäßig interessant ist. Musste man die zum Jagen tragen, um da mitzumischen?
    Köhler: Es war ein sehr langwieriger Prozess und auch ein Prozess des schwierigen Verhandelns, aber die Verlage haben an der Stelle, glaube ich, auch erkannt, dass das traditionelle Modell, was wir bisher haben, was im Wesentlichen über Subskriptionen funktioniert, dass das möglicherweise insbesondere im Bereich Hochenergiephysik nicht unbedingt in der jetzigen Form eine sehr große Zukunft hat. Über 90 Prozent der Wissenschaftler benutzen das arXiv, also sprich, einen freien Server, um auf die Texte zuzugreifen, und es ist tatsächlich textuell auch mittlerweile schon so, dass 97 Prozent dieser Arbeiten schon im Open Access verfügbar sind.
    Krauter: Die SCOAP-Initiative geht ja aufs Konto der Hochenergieteilchenphysiker zurück, Sie haben das gesagt, auch weil da die Bedingungen offenbar besonders günstig waren. Hat sie denn das Zeug zum Leuchtturmprojekt, das vielleicht auch anderen Disziplinen der Wissenschaft mittelfristig den Weg weisen könnte?
    Köhler: Ich hoffe natürlich schon. Wie weit das gehen wird, wird sich, denke ich, erst zeigen, wenn wir ein bisschen mehr Erfahrungen haben, also insbesondere müssen wir, glaube ich, schauen, wie der nächste Ausschreibungsprozess, der nach dem Ende der jetzigen SCOAP-Phase sich entwickelt, wie es da aussieht, wie da entsprechend die Preise sind. Was man jetzt schon sehen kann, ist, dass der durchschnittliche Preis pro Artikel im Augenblick mit 1150 Euro deutlich günstiger ist, vielleicht nicht deutlich, aber zumindest signifikant günstiger als der sonstige, ich nenne das mal Marktpreis, den man üblicherweise hat für Open-Access-Publikationen in hochwertigen Fachzeitschriften. So gesehen ist das sicherlich jetzt schon ein Erfolg. Wie weit sich das auf andere übertragen lässt, muss man, glaube ich, im Einzelfall sehen.
    Krauter: Markiert SCOAP, jetzt mal auf die Teilchenphysik beschränkt, nur einen Paradigmenwechsel, oder ist es vielleicht sogar eine Revolution im wissenschaftlichen Publizieren, die wir da gerade bezeugen dürfen?
    Köhler: Ist schwer zu sagen. Die Hoffnung ist natürlich schon, dass es eine große Änderung bewirkt. Ich denke oder ich hoffe, was sich zeigen wird, ist, dass auch den Wissenschaftlern bewusster wird, dass es nicht nur darauf ankommt, auf einen Inhalt zugreifen zu können, sondern auch die Frage, welche Rechte man dazu hat. Wir sind damit in Richtung Lizenzen. Die SCOAP-Initiative sorgt dafür, dass die Veröffentlichungen, die als SCOAP-Veröffentlichungen herauskommen, in einer sogenannten CC-BY-Lizenz, das ist eine Creative-Common-Lizenz, erscheinen, und das bedeutet, dass das Copyright bei den Autoren bleibt, also nicht zu den Verlagen übergeht, und man erwirbt damit auch das Recht, diese Artikel vielfältig nachzunutzen, also deutlich über das hinaus, was man im Moment kann und darf. Bei SCOAP gibt es jetzt durch dieses Lizenzmodell durchaus die Möglichkeit, so was wie Data-Mining zu machen, oder andere Sachen, die man zusammenfügen kann, dass man Bilder weiter verwenden kann, dass man viele Möglichkeiten hat, die halt in den traditionellen Lizenzen nur unter ganz, ganz großen Schwierigkeiten machbar sind. Dieser Schritt wird sich meines Erachtens als sehr, sehr wichtig herausstellen, weil wir da möglicherweise Nutzungsverhalten bekommen, was man im Augenblick noch gar nicht absehen kann.
    Krauter: Weil es das letztlich möglich macht, Mehrwert aus Forschungsergebnissen zu generieren, die man bisher nicht schaffen konnte?
    Köhler: Ganz genau. Also wir sehen das jetzt bei den Kollegen, die im Bereich Photon Science zum Beispiel aktiv sind, also das ist Forschung mit Licht, dass da beispielsweise die Menge der Publikationen mittlerweile so groß ist, dass man das menschlich durch reinen Intellekt gar nicht mehr unbedingt überblicken kann, sodass man da, um für sich die Perlen herauszufischen, dass das etwas ist, wo man deutlich mehr Rechte braucht, als im Augenblick bei den üblichen Verlagen einem gegeben werden.
    Krauter: Und im Rahmen der SCOAP-Initiative wäre das möglich und man könnte sozusagen diese Früchte dann ernten, die da schon irgendwo verborgen liegen?
    Köhler: Definitiv. Es wird auch bei SCOAP ein sogenanntes Repositorium geben, also eine, ich sage mal, einen Spiegel, wo die gesamten Texte auch in einem langzeit-archivierbaren Format verfügbar sind und auch gut maschinenlesbar, sodass man dann diese ganzen Artikel entsprechend herunterladen kann, verarbeiten kann und das alles ohne schlechtes Gewissen, weil das tatsächlich lizenzrechtlich dann völlig in Ordnung ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.