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Selbsternannter Rebell gegen die politische Korrektheit

Die Träume von Michel Houellebecq möchte man nicht träumen: Es geht um Pädophilie als Ausweg aus der Krise des hormongesättigten Mannes, um eine Abrechnung mit dem Feminismus oder um die Diffamierung des Islams. Houellebecq, der Querulant, ist so zum Helden der gehobenen Stammtische geworden.

Von Walter van Rossum |
    In der ersten seiner "Interventionen" erläutert Michel Houellebecq die Möglichkeiten der Pädophilie als Ausweg aus der Krise des hormongesättigten Mannes. Beim zweiten Text handelt es sich um eine Bilanz des real existierenden Feminismus. Die unendliche Arbeit der Domestizierung, welche die Frauen in den vergangenen Jahrtausenden geleistet hätten, um den primitiven Hang des Mannes zu Gewalttätigkeit, Hurerei, Sauferei und Glücksspiel zu unterdrücken und aus ihm eine des Soziallebens halbwegs fähige Kreatur zu machen, seien innerhalb einer Generation zunichtegemacht worden. Das ist Frauenhass der ganz wirren Art.

    Im dritten Beitrag stampft der französische Schriftsteller den amerikanischen Rocksänger Neil Young in Grund und Boden. Das vierte Kapitel bietet ein Interview, in dem Houellebecq seine bekannte Äußerung, der Islam sei die dümmste aller Religionen, noch einmal bekräftigt.

    Wie nur konnte ein derart debiler Gesinnungsmüll in Frankreich Aufmerksamkeit erregen? Zunächst hatte Houellebecq sich dort einen Namen als Meister der gezielten Provokation gemacht. Sein Roman "Elementarteilchen" wäre als Strandlektüre durchgegangen, überraschte der Autor nicht am Ende seine Leser mit dem Phantasma einer zu ihrem Besten geklonten Menschheit. Erlöst von der Erbsünde der Begierde und anderen wirren Wonnen. Houellebecqs genetisch aufgeladene und zivilisationsmüde Utopie mündet in einer Flucht in die klinisch-rassische Reinheit. Er entpuppt sich rasch und deutlich als eine Art Salonfaschist – Ausgabe letzter Hand. Und siehe da: Er hat reichlich Zulauf, am Stammtisch des "juste milieu".

    Auf jeder Seite seiner sogenannten Interventionen gibt Houellebecq sich als Rebell gegen die Zumutungen der politischen Korrektheit.
    Die rhetorische Strategie dieser Rambos angeblich verbotener Wahrheiten geht so: Ich sprechen Klartext, dafür werde ich scharf kritisiert, also habe ich recht. Fragt sich nur, warum sich seine Kritiker überhaupt noch so vehement auf ihn stürzen. Und es ist wahr, Houellebecq hat für seine tiefsinnige Bemerkung über den Islam als dümmste aller Religionen tatsächlich heftige Kritik einstecken müssen. Warum eigentlich? Die französische und nicht nur die französische Gesellschaft praktiziert sozusagen täglich und routiniert ihre Verachtung für Muslime. Und was ist von Intellektuellen zu halten, die partout nicht dulden wollen, den Islam als dämlich zu bezeichnen, aber nichts dagegen haben, in Afghanistan Zehntausende von Menschen zu opfern, angeblich um Mädchen wieder den Schulbesuch zu ermöglichen?

    Was ist Houellebecqs rohe Beleidigung verglichen mit den täglichen Aggressionen gegen Muslime als Zivilisationsauftrag? Mit anderen Worten, die meisten seiner Kritiker verdammen Houellebecq, weil er droht, die Realpolitik mit präfaschistischen Deutungsmustern zu infizieren. Dagegen will auch die politisch korrekte Fraktion des "juste milieu" ihre politische Reinheit, seine realpolitische Logik verteidigen – auch wenn es sich in Wahrheit weder um korrekte noch besonders logische Haltungen handelt. Und so erklärt die intellektuelle Verfassung die Aufregung um einen Kasper wie Michel Houellebecq, dem es so – zumindest in Frankreich - tatsächlich gelungen ist, als eine Art Kristallisationspunkt zivilisatorischer Querelen zu wirken. Daran kann man tatsächlich ermessen, dass das Abendland drauf und dran ist, endgültig den Kopf zu verlieren.

    Michel Houellebecq: "Ich habe einen Traum. Neue Interventionen". Aus dem Französischen von Hella Faust. Dumont Verlag. Köln 2010. 110 S. Euro