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Sexualstraftaten
Fehlern im Ermittlungssystem auf die Spur kommen

Warum führt in Bremen nur jede 20. Anzeige wegen Vergewaltigung zu einer Verurteilung? Allein eine Verschärfung des Strafrechts wird die Situation nicht ändern – denn die Ursachen liegen ganz woanders. Das hat eine Studie ergeben, die in Bremen der Runde Tisch gegen Sexualstraftaten vorgestellt hat.

Von Almuth Knigge | 17.02.2016
    Ein junges Mädchen steht am Ende eines dunklen Flures.
    Bei Sexualstraftaten sind schon die Ermittlungen schwierig. (dpa / Nicolas Armer)
    Wenn man es zynisch formuliert, dann haben in Bremen Sexualstraftäter bundesweit die besten Chancen, mit ihrem Verbrechen ungestraft davonzukommen. Von 145 angezeigten Fällen im Jahr 2012 wurden nur sieben verurteilt – das sind 5,5 aller angezeigten Fälle. Die Zahlen sind nicht neu, nur die Gründe für die niedrige Verurteilungsquote wurde jetzt in einer Studie untersucht – und die dürfte, so Bremens Gleichstellungsbeauftragte Ulrike Haufe, alle Bundesländer interessieren, "weil sie selber auch alle recht schlechte Zahlen haben in Bezug auf Verurteilungen von potenziellen Tätern. Nicht ganz so schlecht wie in Bremen, wir fallen richtig noch mal raus, aber niemand hat sich getraut, ich sag bewusst getraut, eine solche Studie in Auftrag zu geben, die ja ergebnisoffen in Auftrag gegeben worden ist."
    Denn bundesweit liegt die Verurteilungsquote im Schnitt auch nur bei 8,4 Prozent. Ein Grund, erklärt Daniela Müller, Diplompsychologin beim Frauennotruf in der Hansestadt, sei für sie der Rechtsgrundsatz in Dubio pro Reo. Im Zweifel für den Angeklagten, "wenn Betroffene anzeigen, dann stehen Sie vor dem Problem, dass ihre Aussage alleine unserem Rechtssystem nicht reicht, um einen Täter der Tat zu überführen, sondern sie müssen ihre Aussage beweisen."
    Erste Probleme bei Vernehmung der Opfer
    Ein schier unauflöslicher Konflikt zwischen dem Leid der Opfer und dem Recht der Tatverdächtigen "und bei Sexualstraftaten gibt es in der Regel nicht so wunderbar belastbares Beweismaterial wie zum Beispiel bei Steuerhinterziehung - in der Regel sind keine Zeugen dabei und die Betroffenen, die ein großes Unrecht anzeigen, sind dann mit einer Umkehr konfrontiert, nämlich damit, dass ihre Aussage infrage gestellt wird und das sie in die Beweislast gedrängt werden."
    Wenn man nun aber diesen Rechtsgrundsatz nicht infrage stellen will, dann, so hat sich der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer gedacht, muss man den Fehlern im Ermittlungssystem auf die Spur kommen. "Wir haben, was die Fakten angeht, ja keinen Zweifel gehabt, dass die Lage schlecht ist" und die Studie der Hochschule Bremen und des Instituts für Polizei- und Sicherheitsforschung hat gezeigt, dass die Fehler im System liegen – angefangen bei der Vernehmung nach der Tat, wenn das Opfer sich zu einer Anzeige durchgerungen hat, weiß die Gleichstellungsbeauftragte Haufe. "Hier gibt es schon die ersten Probleme, weil es nicht zwingend ist, dass aufgenommen worden ist von denen, die eine Fortbildung oder eine Qualifikation haben wie zum Beispiel die Kripobeamten unseres Sonderdezernates K 32."
    Empfehlungen der Studie sind einfach umzusetzen - kosten aber Geld
    Das Sonderdezernat K 32 ist eigentlich eigens dafür da, Sexualdelikte aufzuklären, die Beamten sind für den Umgang mit den Opfern besonders geschult. Allerdings schieben die Kommissare einen Berg von 6.500 Überstunden vor sich her und sind am Wochenende und nachts nicht besetzt. Also dann, wenn die meisten Sexualstraftaten stattfinden.
    "Die Frage, wie zu verhören ist, ist eine der zentralen jetzt nach dem Ausgang der Studie." Die Autoren der Studie empfehlen, und diesen Empfehlungen wollen die Bremer Behörden nun auch folgen, dass alle Vernehmungen per Tonband mitgeschnitten werden und das, wenn das Opfer einverstanden ist, die Aussage auch per Video aufgezeichnet wird. Die Vernehmungen sollen anschließend verschriftlicht werden. Bei der Staatsanwaltschaft will man zukünftig dafür sorgen, dass die Verfahren in einer Hand bleiben. Das sind alles Empfehlungen aus der Studie, die umzusetzen nicht so schwierig sind. Das ist die gute Nachricht, die schlechte ist, mehr geschultes Personal kostet Geld. "Bei so einem Thema debattiere ich nicht über Geld."
    Ein weiterer Punkt, der künftig anders gehandhabt werden soll, sind Ermittlungen im Umfeld des Tatverdächtigen. Sie sollen intensiviert werden, wo es sinnvoll und mit der Unschuldsvermutung vereinbar erscheint. Derartige Ermittlungen, so ein Ergebnis der Studie, hatte es bislang kaum gegeben. "Insofern hoffe ich auch, dass von dieser Veranstaltung aus so etwas wie ein Impuls ausgeht, ein Neubeginn und dass wir auch in der Lage sind, dann in absehbarer Zeit bessere Zahlen zu zeigen als das heute der Fall ist."