Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Gesetzesverschärfungen
Künast: "Jetzt braucht man eine Politik des kühlen und klaren Kopfes"

Renate Künast fordert nach den Gewalttaten von Köln eine bessere Polizeiarbeit statt härterer Gesetze gegen kriminelle Ausländer. Schärfere Gesetze brächten nichts, wenn in der Polizeiarbeit keine Beweise gesammelt würden, die zu einer Anklage und einer Verurteilung führen könnten, sagte die Grünen-Politikerin im Deutschlandfunk.

Renate Künast im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 12.01.2016
    Grünen-Politikerin Renate Künast
    Grünen-Politikerin Renate Künast (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Straftäter müssten spüren, dass sie festgenommen werden können und nicht wie in der Silvesternacht in Köln mangels Personal bei der Polizei einfach wieder freigelassen werden, sagte Künast. Vertreter der Großen Koalition hatten zuvor schärfere Gesetze gegen straffällig gewordene Migranten und Aslysuchende gefordert.
    Man müsse erstmal dafür sorgen, dass es überhaupt zu einer Anklage kommt, sagte Künast. Und dafür habe die Bundesrepublik eine Vielzahl an Instrumenten. Eine "verbale Angeberei" um die härtesten Forderungen bringe wenig, denn auch härtere Gesetze können nur mit Beweisen und Anklagen zur Anwendung kommen.
    Künast fordert verschärftes Sexualstrafrecht
    Zugleich forderte sie eine Verschärfung des Sexualstrafrechts. Angrapschen sei kein Straftatbestand und für den einer Vergewaltigung bestünden zu hohe Hürden, beklagte Künast. Entsprechende Vorschläge ihrer Partei blockiere die große Koalition "seit Monaten".
    Einer von Bundeswirtschaftschaftsminister Sigmar Gabriel geforderten Wohnortpflicht für Flüchtlinge erteilte Künast eine Absage. Eine derartige Auflage sei nicht sinnvoll, wenn Migranten dann dort leben müssten, wo sie keine Arbeit fänden und keine sozialen Kontakt hätten. "Dann hätten wir mit Zitronen gehanndelt", so Künast.

    Das Interview in voller Länge
    Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon ist jetzt Renate Künast von Bündnis 90/Die Grünen. Sie ist die Vorsitzende des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Morgen, Frau Künast!
    Renate Künast: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Bleiben wir mal in Nordrhein-Westfalen. Viele haben ja den Eindruck, Innenminister Jäger macht sich einen schlanken Fuß und wälzt alle Verantwortung auf den geschassten Polizeipräsidenten ab. Teilen Sie diesen Eindruck?
    Künast: Na ja, der Innenminister führt nicht die Polizeieinsätze. Er ist verantwortlich insgesamt für seinen Polizeiapparat, aber er führt nicht den ganz konkreten Polizeieinsatz, weder den in Köln noch an anderen Orten und die konkrete Aufsicht über den einzelnen Einsatz hat er auch nicht. Das stimmt schon tatsächlich, gleichwohl er sich natürlich allgemein verantworten muss, weil er die Ausstattung, die Schulung der Polizei als Aufgabe hat.
    Aber jetzt glaube ich, dass wir auch gut beraten sind, nicht nur zu gucken, welche Köpfe müssen da jetzt politisch und in den Ämtern rollen, sondern die Frauen, die das erlitten haben an dem Abend, haben jetzt eigentlich von der Politik auch eines zu erwarten, nämlich dass es nicht funktionalisiert wird, nicht funktionalisiert wird gegen diese Straftaten, gegen Ausländer und Flüchtlinge insgesamt oder gegen einzelne Politiker.
    Es ist ja schon komisch, dass die Frauen da was erlitten haben, ihnen die Würde genommen ist, in einer ganz großen Massivität eine Unsicherheit haben, auf einen Platz oder in der Kölner Innenstadt, muss man ja fast sagen, wo der Staat seiner Aufgabe auch massiv nicht nachgekommen ist. Da muss man überlegen, warum war das so, was war da falsch, und wie stellen wir die Ordnung wieder her.
    "Verbale Kraftmeierei"
    Heckmann: Frau Künast, haben Sie den Eindruck, dass diese Vorfälle instrumentalisiert werden derzeit?
    Künast: Ja, deshalb sage ich es. Ich habe den Eindruck. Ich bin selber auch, ich sage mal, verunsichert und ganz massiv empfinde ich das als ekelhafte Übergriffe, und es kann nicht sein, wenn man Frauen trifft, die da waren, dass die sich so nicht bewegen können. Aber ich meine, mindestens ist doch klar, dass AfD und Pegida das jetzt versuchen zu funktionalisieren, zu missbrauchen. Jetzt braucht man eine Politik des kühlen und klaren Kopfes, weil es muss jetzt auch klar gemacht werden, wir akzeptieren das in unserem Land nicht, es wird darauf Reaktionen geben. Aber wir müssen auch Polizei auf nächste Fälle vorbereiten und zusehen, dass Polizei Einsätze so machen kann, dass tatsächlich solche Dinge nicht mehr vorkommen können, sich auf diese andere Art von Begehung von Straftaten einstellen.
    Jetzt gibt es eine verbale Kraftmeierei, es wird alles scharf bestraft, aber die Richter sind an Recht und Gesetz gebunden. Sie müssen Beweise haben und wir müssen deshalb eine beweissichere Festnahme haben und das Sexualstrafrecht ändern, und das alles gemeinsam.
    Heckmann: Aber Gesetze können verschärft werden und die Koalition, die denkt ja auch über Gesetzesverschärfungen an vielen Stellen nach. Sie haben gerade gesagt, man muss das Signal geben, wir akzeptieren solches Vorgehen hier in Deutschland nicht. Gehört dazu nicht auch die Erkenntnis, dass kriminelle Ausländer wirklich jetzt auch mal schneller abgeschoben werden müssen, um dieses Signal auch Richtung Migranten zu geben?
    Künast: Ich sage mal, wir müssen uns angucken, wie funktioniert das mit den Abschiebungen. Ich will aber auf eines hinweisen. Insofern muss man da gar nicht verbalradikal sein. Wir haben gerade für dieses Jahr ab Januar die Abschiebemöglichkeiten erweitert. Die zeitlichen Fristen sind runtergesetzt worden. Jetzt gibt es diese Vorfälle und jetzt kommt gleich der nächste Punkt. Es ist rechtlich schon erweitert worden, und ich möchte auf eines wirklich rechtlich hinweisen. Sie können viel darüber reden, dass Sie jetzt klar abschieben wollen, aber die rechtliche Reaktion, die die Leute spüren, spüren müssen, ist ja erst mal die, dass überhaupt ein Polizeieinsatz da ist in einer Art und Weise, dass sie auch festgenommen werden können, und nicht wie da dann nach einer Stunde, weil gar keine Polizei mehr da ist, einfach freigelassen werden. Sie müssen festgenommen werden, die Personalien festgestellt werden, man muss die Täter und die Tat zusammensortieren können, sodass man Beweise hat und es zu einer Anklage kommt.
    "Hier wird man nicht auf Verdacht als Ausländer verurteilt, das ist ja auch gut so"
    Heckmann: Das ist, denke ich, Konsens, dass genug Polizei da sein muss, die dann vor Ort ist, um einzugreifen.
    Künast: Herr Heckmann! Jetzt ist doch das Problem, dass da manche ganz wild und großartig sagen: Abschieben, abschieben, abschieben. Aber lassen Sie uns mal mit kühlem Kopf dann überhaupt erst mal überlegen, wie kämen wir denn dahin. Es muss erst mal den Einsatz geben, es muss die Beweise geben. Hier wird man nicht auf Verdacht als Ausländer verurteilt, das ist ja auch gut so, sondern Sie müssen diese ganze Kette hinkriegen, sodass ein Gericht auch rechtskräftig verurteilt, und erst dann kommt man überhaupt zur Abschiebung. Deshalb, finde ich, ist es teilweise so eine verbale Angeberei, wer ist am schärfsten. Vorher muss man das tun.
    Ich glaube, dass die klare und scharfe Reaktion darin liegt, dass man jetzt mit kühlem Kopf dafür Sorge trägt, dass es überhaupt zu einer Verurteilung kommen kann, und da sage ich Ihnen, ist nicht der erste Punkt das Strafrecht, sondern der gute Polizeieinsatz, und zweitens muss das Sexualstrafrecht in Deutschland geändert werden, weil bestimmte Dinge wie Angrapschen und so gar nicht strafbar sind heute und weil eine Vergewaltigung viel zu viele Voraussetzungen hat, dass eine Frau sich wehrt, Gewaltandrohung erst mal konkret passiert und so und nicht einfach direkt eine Vergewaltigung strafrechtlich verfolgbar ist.
    Heckmann: Da sind ja auch entsprechende Änderungen im Sexualstrafrecht geplant. Das hat der Justizminister Heiko Maas ja auch heute noch mal angekündigt. Aber bleiben wir mal bei der Frage.
    Künast: Herr Heckmann, darf ich sagen: Es gibt schon längst einen Gesetzentwurf und nicht den von Maas.
    Heckmann: Jetzt würde ich gerne mal diese Frage stellen. Was soll denn passieren mit Migranten, mit jungen Migranten, die vielleicht mehrfach auch sogar auffällig wurden, bei sexuellen Übergriffen beispielsweise abgeurteilt wurden, aber zu einer geringen Haftstrafe verurteilt wurden oder zu einer Haftstrafe, die auf Bewährung ausgesetzt wurde? Was soll mit denen passieren?
    Künast: Man wird sie versuchen müssen zu resozialisieren, sowohl ob sie jetzt zu einer geringeren Strafe verurteilt wurden oder auch hier sind, das ist doch sowieso die Tatsache, abgesehen davon, dass wir jetzt, das sage ich jetzt noch mal ... Wir haben gerade eben das Recht verändert, sodass sie bei einer Haftstrafe von einem Jahr beziehungsweise drei Jahren dann ausgewiesen und abgeschoben werden können, wenn das rechtlich funktioniert.
    Heckmann: Das reicht aber vielen nicht mehr aus!
    Künast: Ja. Aber, Herr Heckmann, ich glaube nicht, dass wir Politik so machen, indem wir jetzt alle verbalradikal sagen, dann nehmen wir noch drei Monate weniger oder so. So macht man ja, glaube ich, nicht wirklich erfolgreiche Integrationsarbeit und arbeitet mit Migranten. Das ist auch nicht der Punkt. Da können Sie gerne Herrn Laschet vornean hinstellen, der dann immer noch jede Woche eine neue weitere Forderung stellt, aber in der Realität ändert sich gar nichts. Für dieses radikalverbale Auf-den-Tisch-Schlagen von Politikern, die was vorgaukeln, und am Ende passiert gar nichts, dafür bin ich nicht zu haben. Ich sage Ihnen, wir kommen zu höheren Verurteilungen, wenn das Strafgesetzbuch klarer formuliert ist, und der Maas-Entwurf ist nicht gut an der Stelle. Es gibt einen anderen der Grünen, der schon seit einem halben Jahr, also vorher in den Deutschen Bundestag eingebracht wurde und den die Koalition blockiert im weiteren Beratungsverfahren, seit Monaten beide, SPD und CDU.
    "Ich bin auch gegen diesen Verbalpopulismus"
    Heckmann: Die Leute sollen also resozialisiert werden, sagen Sie, die von solchen Straftaten betroffen sind und solche Straftaten begehen. Das heißt, die sollen auf jeden Fall hier im Land, hier in Deutschland bleiben. Sie sind also auch gegen den Vorschlag von Sigmar Gabriel, der gesagt hat, kriminelle Ausländer, die sollen ihre Haft in ihren Herkunftsländern absitzen?
    Künast: Ich sage nicht, die sollen ... Erst einmal sagen die Gesetze, dass Resozialisierung eine Aufgabe ist. Es gibt klare Regeln, wann abzuschieben ist. Und ich bin der Auffassung, diese Regeln muss man jetzt erst mal umsetzen, weil es sie neu und schärfer seit 1. Januar gibt.
    Ich bin der Meinung, dass wir überhaupt zu Verurteilungen kommen müssen durch eine andere Polizeiarbeit, damit die Richter Beweise haben, und ich meine, dass das Sexualstrafrecht verschärft werden muss. Dann kommt es vielleicht auch höher zu den Strafen, die zu einer Abschiebung führen, verstehen Sie. Nicht, dass Sie jetzt glauben, ich sei nicht dafür, sondern ich finde, dass wir eine Vielzahl von Instrumenten an der Stelle längst haben.
    Ich bin auch gegen diesen Verbalpopulismus. Sehen Sie mal, diese Frage, müssen die Täter etwas in ihren Heimatländern absitzen an der Stelle, das kann man machen. Dieses Recht gibt es heute schon. Man muss an der Stelle dann nur aufpassen, dass sie nicht in den Heimatländern vorzeitig entlassen werden, nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, dass man jetzt Vorschläge macht, die sich schärfer anhören, in Wahrheit aber lockerer sind.
    Heckmann: Das sollte sicherlich auch aus Gabriels Sicht sichergestellt sein. - Er hat einen weiteren Vorschlag gemacht, der jetzt auch positiv aufgegriffen wurde vom Städte- und Gemeindebund, und zwar eine Wohnsitzauflage auch für anerkannte Asylbewerber. Gehen Sie da wenigstens mit?
    Künast: Warum haben Sie jetzt den Unterton, gehen Sie da wenigstens mit? Ich kann nichts dafür, wenn andere Vorschläge machen, die teilweise sinnlos sind und Ihnen nur was vorgaukeln. Die Wohnsitzauflage gucke ich mir gerne an. Ich glaube nur, dass das ein typischer Gabriel-Vorschlag ist. Wie und wo soll das funktionieren? Das suggeriert ja ein bisschen, als würde man übers breite Land Menschen verteilen an der Stelle, und dann verteilen Sie sie dahin, wo keine Arbeitsplätze sind oder keine sozialen Kontakte und Beratungsstellen, und dann hätten Sie vielleicht auch das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
    Also lassen Sie uns mal sehr genau angucken, was ist überhaupt rechtlich zulässig. Jemanden, der zum Beispiel anerkannter Asylbewerber ist, der ein rechtschaffener Mann, eine rechtschaffene Frau ist, hat eigentlich dann auch innerhalb der Bundesrepublik Freizügigkeit und kann sagen, ich habe jetzt ein Job zum Beispiel bei Siemens, bei VW oder im nächsten Bioladen um die Ecke, und den würde ich gerne nehmen und nicht drei Stunden davon weg wohnen. Dem können Sie nicht eine Wohnsitzauflage machen.
    Heckmann: Aber es geht ja eher darum zu verhindern, dass ganz viele Personen sich in die Großstädte verlagern sozusagen wie Berlin beispielsweise und Berlin dann mit den Problemen alleine gelassen wird.
    Künast: Aber die Frage ist ja, ob dieser Vorschlag, Herr Heckmann, am Ende rechtlich und tatsächlich überhaupt funktionieren kann. Es macht ja keinen Sinn, ganz vielen Menschen eine Wohnsitzauflage irgendwo hinzumachen, wo es gar keine Jobs gibt zum Beispiel. Dann hätten wir doch wirklich mit Zitronen gehandelt, oder? Also lassen wir uns das mal sehr genau angucken, was geht.
    Der Punkt ist ja: Zum Beispiel hat Nordrhein-Westfalen offensichtlich sehr viele Menschen kurdischer Abstammung, sodass die dann in bestimmte Bereiche ziehen, wo schon viele sind. Gucken wir uns doch mal an, wie bei uns Integrationsarbeit, die Arbeit der Jobcenter läuft, damit etwas passiert in Zukunft.
    Heckmann: Wir müssen an dem Punkt leider unser Gespräch vertagen auf ein andermal, denn die Nachrichten fordern ihr Recht ein. Renate Künast war das von Bündnis 90/Die Grünen. Schönen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.