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She She Pop
Auseinandersetzung mit den eigenen Müttern

"Frühlingsopfer" heißt die neue Performance der Theatergruppe She She Pop. Am Berliner Hebbel am Ufer zeigen die Künstler darin ihre Mütter - als allmächtig, ungreifbar und unkörperlich.

Von Elisabeth Nehring |
    Theater Hebbel am Ufer (HAU) Berlin
    Theater Hebbel am Ufer (HAU) Berlin (dpa/picture alliance/Paul Zinken)
    "Ok, jetzt sind alle da: Hier sind die Bilder unserer Mütter, hier sind wir. Ihr seid hier. Sämtliche Mütter oder Kinder von Müttern. Wir haben ein Ritual vorbereitet. Und das handelt davon, einander zu vereinnahmen, dann zu kontrollieren, dann abzustoßen und schließlich loszulassen. Der erste Teil heißt Vorrede, weil darin geredet wird. Später wird geschwiegen und Musik gehört. (....) Aber vorher muss noch einiges ausgesprochen werden."
    Redebedarf gibt es genug zwischen den Performern und Performerinnen von She She Pop und ihren Müttern. Sebastian Bark, Johanna Freiburg, Ilia Papatheodorou und Berit Stumpf haben ihren Müttern einiges zu sagen - und sich im Gegenzug einiges anzuhören. Zum Beispiel, was diese alles geopfert hätten für ihre Kinder: Freiheit und Unabhängigkeit zum Beispiel. Aber auch von der schwierigen Suche nach sich selbst erzählt eine Mutter, eine andere von Weiblichkeit, die nächste von Erfolgen im Beruf. Sympathisch ist das und lustig. Ein bisschen peinlich berührt kann man dagegen als betroffenes Kind vielleicht sein - weswegen die Mütter - anders als She She Pops Väter in dem Erfolgsstück 'Testament' - nicht direkt mit auf die Bühne dürfen. Sie werden aus der Live-Performance verbannt und erscheinen einzig auf vier großen, säulenartig herunter hängenden Stoffbahnen.
    Denn - das lernen wir bei She She Pop an diesem Abend - auch heute noch sollen Mütter einem bestimmten Bild entsprechen - und zwar am besten dem ihrer Kinder. So schweben die Mütter in verschiedenen Konstellationen als überlebensgroße Videoprojektionen vor uns und ihrem Nachwuchs - allmächtig, ungreifbar, unkörperlich. Aber eben auch gebannt, kontrolliert, ihrer Spontaneität auf der Bühne beraubt.
    Launen- und Distanzlosigkeit
    Die zweite Generation fasst in chorisch angelegten Sentenzen zusammen, was Mütter und Kinder charakterisiert: "Einige von uns sind seit 45 Jahren verheiratet. Einige von uns haben sich eine neue Familie gesucht. Einige von uns wissen nichts über ihre finanzielle Situation. Einige von uns haben noch nie ihre Mutter kritisiert. Einige von uns hätten gerne manchmal einen mütterlichen Rat." Das ist direkt und gleichzeitig ausreichend unpersönlich komponiert, sodass sich niemand zu sehr ausgestellt fühlen muss. Erst später gehen die Bekenntnisse tiefer ins Persönliche, legen sich die Performer (Achtung: Freud!) abwechselnd auf den Boden und erzählen: über den Wunsch, die Mutter zu beschützen, aber auch über deren Launenhaftig- und Distanzlosigkeiten. Auch hier rettet die lakonische Art zu sprechen Performer und Publikum vor allzu viel Betroffenheit.
    Zu Strawinskys Musik "Sacre du Printemps" gibt es immer wieder bewegte Zwischenspiele: Oben die Mütter, unten die Kinder - beide Seiten hantieren mit großen, farbigen Decken, die aus den Personen vollverschleierte Burka-Trägerinnen, alte Märchen-Mütterchen oder historische Figuren machen. Die raffinierte Videotechnik Benjamin Kriegs lässt die Mütter-Projektionen auf den sich bewegenden Tüchern erscheinen und wieder entschwinden, überlagert sie mit Körpern und Gesichtern der Kinder. Den unzähligen Arten der gegenseitigen Vereinnahmung, Verkörperung, Verschmelzung und Überlagerung von Generations-Identitäten wird so Ausdruck gegeben, ohne den Dilettantismus der Mütter, ihre Ecken, Kanten und Unbeholfenheiten zu schönen.
    "Frühlinsopfer" - aufgeführt von She She Pop und ihren Müttern ist ein lakonisches Ritual, das mit dem Element des Weihevollen gekonnt spielt und außerdem ein humorvoller, berührender und kluger Abend, der eine alte Theaterregel bestätigt: Dass die persönlichsten und verletzlichsten menschlichen Verhältnisse - wozu die Beziehung zur Mutter ganz sicher auch gehört - am besten in hochstilisierter Form verhandelt werden. Zum Schutz, aber auch, um überhaupt etwas aussprechen zu können.