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Singer-Songwriter
Der alte neue Ben Watt

30 Jahre nach seinem Debüt bringt der Londoner Musiker Ben Watt nun sein zweites Album heraus. In den 1980ern hatte er mit der Formation "Everything But The Girl" einige Hits, arbeitete danach als DJ, betrieb einen Klub. Sein neues Werk "Hendra" glänzt mit wunderschön klingenden Gitarren.

Ben Watt im Corsogespräch mit Eric Leimann |
    Ein Mann spielt auf einer elektrischen Gitarre, einer Gibson Les Paul
    Ben Watt: "Ich verbinde viele Jugenderinnerungen mit der Londoner Punk-Szene. Diese Ära war wie ein großer Befreiungsschlag." (dpa / Oliver Berg)
    Eric Leimann: Sie haben die letzten zehn, 15 Jahre als DJ gearbeitet, ein Label für elektronische Musik und einen Klub betrieben. Nun veröffentlichen Sie ein Songwriter- Album, das eine Liebeserklärung an die Gitarre ist. Das müssen Sie erklären ...
    Ben Watt: Nun - das ist natürlich eine Überraschung für Leute, die nur das kennen, was ich in den letzten zehn Jahren gemacht habe. Da habe ich mich tatsächlich vor allem in der elektronischen Musikszene bewegt. Meine ersten Veröffentlichungen als Musiker hatten allerdings viel mit Folk und Jazz zu tun. Anfang der 80er war ich ein experimentierfreudiger Gitarrist auf einem kleinen Label, beeinflusst von Leuten wie Vinie Reilly von der Band Durutti Column oder John Martyn. Die Musik, die ich damals machte, kam gut bei den Leuten an - aber ich habe mich trotzdem dazu entschieden, damit aufzuhören, um mit Tracy zu arbeiten. Vielleicht gehe ich jetzt zurück, um diese losen Fäden von damals wieder aufzunehmen. Um diesen 19-Jährigen wiederzufinden und auch die Platten, die er damals mochte. Vielleicht gibt es da ja etwas, dass es wert wäre, abgeschlossen zu werden.
    Leimann: Mich erinnern viele Stücke von "Hendra" an Musik, die an der amerikanischen Westcoast in den frühen und mittleren 70ern aufgenommen wurde. Vor allem erinnert sie mich an die besten Jahre von Jackson Browne. Liege ich da falsch?
    Watt: Nein, ich bin ein großer Fan von Jackson Browne. Kann jemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, von einem Song wie "Late For The Sky" unberührt bleiben? Tatsächlich habe ich gerade große Lust auf die Musik dieser Ära. Ich liebe das erste Album von David Crosby, die Neil Young- Alben aus den frühen 70ern und auch unbekanntere Folkrock-Musiker dieser Zeit wie Michael Chapman, der gerade ein bisschen wiederentdeckt wird. In der Zeit, als diese Musik entstand, war ich ein junger, sehr beeinflussbarer Teenager. Ich hatte ältere Brüder und eine ältere Schwester. Die spielten diese Art von Musik in unserem Haus... Natürlich ist diese Ära ein Teil von mir.
    Leimann: Sie sind 1962 in London geboren und aufgewachsen. Dort ist ja bekanntlich Mitte, Ende der 70er Punk explodiert und Sie müssten genau das richtige Alter dafür gehabt haben. Man findet keine Spuren davon in ihrer Musik. Hat Sie Punk nicht interessiert?
    Watt: Doch, Punk hatte schon seine Phase in meinem Leben. Ich verbinde viele Jugenderinnerungen mit der Londoner Punk-Szene. Diese Ära war wie ein großer Befreiungsschlag. Normale Leute haben Labels gegründet, die Dinge selbst in die Hand genommen. Auch das war ein wichtiger Einfluss für mich. Ebenso wie die Menschen, die ich auf der Kunsthochschule kennengelernt habe. Da hörte man Talking Heads, Roxy Music, Magazines. Diese Bands kannte ich vorher gar nicht. Auch das hat mich fasziniert. Alles kam zusammen damals - ich war wie ein Schwamm, der alles aufgenommen hat.
    "Viele Songs erzählen von meiner Familie"
    Leimann: Was haben Sie nun aus diesem Schwamm für Ihr erstes Songwriter-Album seit 30 Jahren herausgepresst?
    Watt: Ich habe die Songs alleine auf der Gitarre geschrieben. Dafür habe ich all meine Gitarren umgestimmt, sie in relativ ungewöhnlichen Stimmungen gebracht. Ich wollte, dass das Instrument anders klingt und ich dadurch auch andere Dinge auf der Gitarre spiele. Das Ergebnis war eine Art schwebender Stil zwischen Folk und Jazz - ich mochte diesen Sound sehr. Ich wusste aber auch, dass ich noch einen Gegenpol dazu brauche. Etwas Grobes, Wildes, ein bisschen Angst, ich brauchte den Blues! Deshalb habe ich Bernard Butler angesprochen, den früheren Gitarristen von Suede ... Er war ein Teenager als ich meine ersten Alben mit "Everything But The Girl" machte, wo ich ja Gitarre spielte. Deshalb ist er sozusagen mit mir aufgewachsen. Tatsächlich waren ich, Johnny Marr von "The Smiths" und Robin Guthrie von den Cocteau Twins seine Vorbilder. Deshalb war Bernard interessiert, mit mir zuarbeiten. Er brachte diesen komplett anderen Sound auf das Album und das war es, was ich wollte.
    Leimann: Bei vielen Liedern auf "Hendra" habe ich den Eindruck, vertonten Kurzgeschichten zuzuhören. Wovon handeln die Songs?
    Watt: Ich habe ja gerade mein zweites Buch veröffentlicht. Das erzählt im Prinzip die Geschichte meines Aufwachsens, vor allem ist es die Geschichte meiner Eltern und ihrer Ehe. Natürlich waren viele Themen des Buchs noch in meinem Kopf, als ich die Songs für das Album geschrieben habe - das Buch hatte ich damals gerade abgeschlossen. Was auch zu dieser Zeit geschah: Meine Schwester, der ich sehr nahe stand, sie ist ganz plötzlich gestorben - gerade als ich mit der Platte anfing. Das war natürlich auch ein wichtiges Thema. Viele Songs erzählen tatsächlich von Mitgliedern meiner Familie. Davon, wie wir auch in schweren Zeiten versucht haben, durchzuhalten und positiv miteinander zu bleiben.
    Leimann: Wenn Sie Geschichten aus Ihrer Familie erzählen - erzeugt das bei Ihnen unterschiedliche Gefühle je nachdem, ob Sie Prosa oder Songtexte darüber schreiben?
    Watt: Ich glaube nicht, dass sich das Gefühl verändern muss. Es ist einfach eine andere Disziplin, ob man Prosa oder in Versen schreibt. Da gibt es den Song "Matthew Arnold's Field". Der erzählt den Tag, an dem ich die Asche meines toten Vaters verstreut habe - eine wahre Geschichte. Ursprünglich wollte ich die Passage aus dem Buch direkt als Text für diesen Song verwenden, habe dann aber gemerkt, dass ein Song niemals fertig werden würde, der sich aus sechs oder sieben Seiten Prosa speist. Ich habe also noch mal neu angefangen, die Passage im Buch noch mal gelesen und dann einen neuen Text verfasst. Wer sich dafür interessiert, kann die beiden Texte vergleichen.
    Leimann: Warum hat es eigentlich so lange gedauert, bis Sie wieder ein eigenes Ben Watt-Album aufgenommen haben ...
    Watt: Wir alle haben unsere Hemmungen, vielleicht sind sie psychologischer Natur aber - es gibt auch rein praktische Gründe. Ich war sehr beschäftigt (lacht), spielte 20 Jahre in einer Band mit Tracy. Das waren neun Studioalben, wir tourten in der ganzen Welt. Danach entschied ich mich, DJ zu werden und die Welt der elektronischen Musik zu erforschen. Doch es gab immer dieses Gefühl in mir, das sagte: Komm zu dir selbst zurück, zu deiner eigenen Stimme. Werde zu dem Menschen, der du vielleicht gerne mit 19 oder 20 gewesen wärst.
    "Das Album war wie ein großes Geheimnis"
    Leimann: Mir gefällt Ihre Stimme sehr gut. Erstaunlich, dass Sie die so lange versteckt haben ...
    Ich hatte immer ein Problem mit meiner Singstimme. Früher mochte ich sie nicht. Als ich nun diese Lieder schrieb, stellte ich fest, dass sich meine Stimme verändert hatte. Sie war tiefer geworden, schien mehr Raum zu haben. Ich habe beim Singen mehr Gefühl gespürt, was sehr wichtig ist. Nacht für Nacht ging ich nun hinunter in mein Studio, sang einfach und versuchte mich selbst zu mögen.
    Leimann: Ihre Frau Tracy Thorn ist bekanntermaßen eine großartige Sängerin. Hat sie Sie dazu ermutigt, selbst zu singen?
    Watt: Sie wusste, dass ich dieses Projekt unbedingt machen wollte. Sie hat sich aber auch Sorgen gemacht, glaube ich, weil sie weiß, dass ich sehr hart mit mir ins Gericht gehen kann. Sie fürchtete, dass ich mich da in ein Riesenprojekt begebe und am Ende unzufrieden damit bin oder abgewiesen werde. Sie war einfach froh, als alles gut ausging. Aber ich habe ich vorher nichts, aber auch gar nichts vorgespielt. Das ging so über Wochen. Das Album war wie ein großes Geheimnis. Und dann hab ich ihr die ganze Platte vorgespielt. Zum Glück - hat sie ihr gefallen (lacht).
    Leimann: Wenn wir nun über tief liegende Gefühle im Zusammenhang mit der eigenen Musik reden - gibt es einen Unterschied zwischen diesen Songs und der elektronischen Musik, die sie die letzten zehn Jahre gemacht haben?
    Watt: Klub Musik sollte im Klub gehört werden. Nur dort kann man ihre Kraft verstehen - um 3, 4 oder 5 Uhr morgens. Das ganze Drama eines Abends. Was ich an Tanzmusik aus dem Klub mag, ist die gemeinschaftliche Erfahrung. Das ist fast wie ein Ritual. Der DJ sollte dabei gar nicht so wichtig sein. Die Tänzer, der Sound - darum geht es. Menschen kommen zusammen, um zu tanzen und zu interagieren. Interessanterweise ist es ganz ähnlich mit Folk Musik. Im besten Fall erzählt Folk Geschichten, die eine gemeinschaftliche Erfahrung darstellen. In den großen Folk Klubs ging es niemals um den Künstler oder die Band. Wenn man zu irischen Tanzveranstaltungen geht, ist es oft so, dass die Band so platziert ist, dass man sie noch nicht einmal sehen kann. Irgendwo in einer Ecke versteckt - und trotzdem tanzen alle. Die Gemeinsamkeit zwischen Folksongs und elektronischer Musik ist für mich, dass man ein Gefühl sucht, dass alle teilen können. Ob dieses Gefühl nun in den Worten versteckt ist oder in den Beats - man will damit nur Menschen zusammenbringen, damit sie sich selbst finden und sagen: Ja, genauso fühle ich mich!