Sandra Schulz: Wie soll der Westen reagieren auf die Vorgänge in Tibet? Darüber möchte ich nun sprechen mit dem Autor und promovierten Sinologen Tilman Spengler. Guten Morgen!
Tilman Spengler: Guten Morgen!
Schulz: Herr Spengler, die Bundesregierung hat sich gleich zu Beginn der Debatte gegen einen Boykott ausgesprochen. Bundesaußenminister Steinmeier hat das gestern noch einmal bekräftigt. Eine richtige Entscheidung?
Spengler: Das ist sicherlich keine unkluge Entscheidung, zu sagen, dass man den Boykott nicht mittragen will, es ist eine andere Frage, ob man das gleich öffentlich machen soll.
Schulz: Welche Gründe hat denn die Bundesregierung, sich so schnell festzulegen?
Spengler: Nun, ich glaube, im Anfang war es erst mal der Versuch, auf beide Seiten irgendwie einzuwirken. So, wie ich es vernommen habe, war das auch im Interesse der tibetischen Exilregierung, dass man einfach sagt, gut, wir versuchen diesen Konflikt von vornherein erst mal kleinzukriegen, bevor er hochkocht. Und in diesem Moment war dann wohl die Entscheidung so, dass man sagt, gut, dann sagen wir mal unsererseits, erste Vorgabe: kein Boykott.
Schulz: Inwieweit hätte so ein Boykott helfen können?
Spengler: Ich glaube nicht, dass ein Boykott so wahnsinnig viel hilft, ich meine, das ist eine Veranstaltung, die stattfinden wird, denke ich, so in dieser glorreichen Unabhängigkeit wie eine Formel-1-Veranstaltung oder irgendetwas anderes. Daran wird ein Protest von irgendjemandem nichts richtiges ändern, und es hat natürlich auch sehr gute Gründe, dass man es nicht macht.
Schulz: US-Präsident George W. Bush hat ja schon angekündigt, er werde zum Auftakt der Spiele im Stadion sein, das war ja auch eine Variante, die im Spiel war, sozusagen die offiziellen Feierlichkeiten zu meiden. Warum tut sich der Westen damit eigentlich so schwer, Druck auszuüben auf China?
Spengler: Na ja, gut, da ist ja die Frage, was man bezweckt damit, also, was kann ich maximal bewirken, wenn ich dort Druck ausübe? Und das Interesse des Westens, es gibt zwei Interessen des Westens natürlich, das eine ist das schnöde Interesse, die wirtschaftlichen Beziehungen nicht zu gefährden, und das andere ist das humanitäre Interesse, ein klein wenig auf die Einhaltung von Menschenrechten zu achten, und wenn man sich dieses zweite Interesse betrachtet, dann ist es wohl ein ganz klein wenig besser, nicht die großen Glocken laut zu läuten.
Schulz: Aber gerade wenn man auf die wirtschaftlichen Beziehungen blickt: Es ist ja keine Einbahnstraße. Es ist ja nicht so, dass der Westen nur von China abhängig wäre, sondern es müsste ja eigentlich ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis in der Kooperation da sein. Mit welchen Argumenten kann der Westen auf China zugehen?
Spengler: Nun gut, aber wenn man da nun wirklich einen Handelskrieg jetzt vom Zaune bräche, das wäre ein Hauen und Stechen, das, glaube ich, wirklich niemandem, auch nicht den Chinesen - also, ich meine, den Chinesen jetzt auf der Straße oder um ihren Esstisch herum - richtig gelegen sein kann. Ich meine, die Frage der Verlässlichkeit, die haben Sie ganz richtig gestellt. Die Chinesen beantworten die Verlässlichkeit eben damit, dass sie auf jede Ausschreitung mit großer Härte reagieren. Das ist für sie Verlässlichkeit. Für uns wäre es Verlässlichkeit, dass bestimmte andere Regeln eingeübt werden, und das macht uns ja im Augenblick ein wenig zu schaffen, dass nach 20, 30, 40 Jahren Erfahrung, die wir im Westen jetzt mit der Art und Weise haben, wie unsere chinesischen Partner, oder was sie auch immer sind, mit internem Dissens umgehen, dass sich da nicht sehr viel geändert hat. Wenn Sie die Zahl zurückdenken und sich erinnern, was 1976 erstmalig, nach Ende der Kulturrevolution, passierte, als der damalige Ministerpräsident Zhou Enlai betrauert wurde nach seinem Tode, betrauert wurde von den Menschen, die nun die Hoffnung auf mehr Demokratie, mehr Freiheiten richteten. Da wurde der erste Aufschlag niedergeknüppelt, und da gibt es ja nun leider Gottes eine ziemlich traurige Kette von Nachfolgeereignissen bis eben in die letzten Tage in Tibet.
Schulz: Aber wie lange kann China diese Art von Verlässlichkeit, die Sie beschreiben, nämlich die Verlässlichkeit, Gegenstimmen niederzuknüppeln, überhaupt durchhalten?
Spengler: Ich glaube, das ist wiederum eine sehr kluge Frage, eine sehr schwer zu entscheidende Frage, weil: Das hängt natürlich davon ab, ob es in diesem Lande je zu einer in irgendeiner Weise tragfähigen Opposition kommt, und das zeichnet sich im Augenblick nicht ab. Das, was die Tibeter dort veranstalten oder die Uiguren vielleicht veranstalten, wir wissen das ja nicht, das sind Proteste, das sind mutige vielleicht, verzweifelte Proteste, vielleicht auch Hooliganisten, das können wir von hier aus nicht beurteilen, aber es ist nicht eine Opposition.
Schulz: Es gäbe ja eine weitere Möglichkeit, auf China Druck auszuüben, wenn man von Druck sprechen will. 67 Millionen Euro Entwicklungshilfe hat Deutschland im vergangenen Jahr an China gezahlt. Sind diese Millionen gut angelegt?
Spengler: Doch, die sind richtig gut angelegt. Das täuscht. Das Blöde ist, das Wort Entwicklungshilfe hat immer etwas Herablassendes, aber wenn Sie daran denken, dass ein großer Teil dieser Entwicklungshilfe auch in die Ausbildung von Juristen geht und solche Geschichten mehr, also, da würde ich nicht dran knapsen.
Schulz: Sie haben in Peking geforscht und auch gelehrt, wie beurteilen Sie die Entwicklung in dem Land in den vergangenen Jahren?
Spengler: Nun, ich glaube, es ist ein wenig so, dass man sagen kann, dass die Identität in sich noch nicht gefunden ist, das ist eben ein bisschen schwierig, also die kulturelle Identität, die auch so sehr etwas wie Durchatmen, Gelassenheit, Aufeinanderzugehen ermöglichen könnte. Das heißt, es hat ja eine so wahnsinnige Zerstörung der Kultur vorher gegeben, es hat dann diesen wahnsinnigen Wirtschaftsaufschwung gegeben, und der hat nicht das gebracht eben, oder hat bislang noch nicht das gebracht, was wir auch nur als eine Vorform einer bürgerlichen Gesellschaft anerkennen oder erkennen könnten und wo man sich eben die Opposition nicht nur leistet, sondern einfach sagt, das ist bestandsnotwendig, das ist eine Systemgarantie, dass es so etwas gibt, und wir müssen Formen lernen, mit Dissens fertig zu werden und zwar auf eine friedliche Art und Weise. Das hat sich eben noch nicht herauskristallisiert, wäre vielleicht auch ein kleines Wunder, ist aber auf jeden Fall schrecklich, schrecklich und bedauerlich.
Schulz: Gibt es denn auch Entwicklungen, die Sie beobachten, an die sich Hoffnungen knüpfen?
Spengler: Nun gut, das gibt es schon, aber das sind eher noch so kleine Pflänzchen. Es gibt halt sehr, sehr mutige Anwälte in dem Land, und es gibt sehr mutige Gewerkschafter oder solche, die sich um Gewerkschaften bemühen. Das gibt es. Es gibt Intellektuelle, die den Mund aufmachen, und es gibt viele Versuche, sozusagen auf dem nichtpolitischen Feld, auf dem nicht direkt politisch exponierten Feld eine kleine Veränderung zu bewegen, etwa in den Universitäten. Das ist sicherlich anzuerkennen, aber es gilt nichtsdestotrotz eben das, was ich vorhin gesagt habe: Eine Opposition ist das nicht oder eine Pluralität von politischen Meinungen.
Schulz: Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk heute morgen der Sinologe und Schriftsteller Tilman Spengler. Danke Ihnen!
Spengler: Ich danke Ihnen auch.
Tilman Spengler: Guten Morgen!
Schulz: Herr Spengler, die Bundesregierung hat sich gleich zu Beginn der Debatte gegen einen Boykott ausgesprochen. Bundesaußenminister Steinmeier hat das gestern noch einmal bekräftigt. Eine richtige Entscheidung?
Spengler: Das ist sicherlich keine unkluge Entscheidung, zu sagen, dass man den Boykott nicht mittragen will, es ist eine andere Frage, ob man das gleich öffentlich machen soll.
Schulz: Welche Gründe hat denn die Bundesregierung, sich so schnell festzulegen?
Spengler: Nun, ich glaube, im Anfang war es erst mal der Versuch, auf beide Seiten irgendwie einzuwirken. So, wie ich es vernommen habe, war das auch im Interesse der tibetischen Exilregierung, dass man einfach sagt, gut, wir versuchen diesen Konflikt von vornherein erst mal kleinzukriegen, bevor er hochkocht. Und in diesem Moment war dann wohl die Entscheidung so, dass man sagt, gut, dann sagen wir mal unsererseits, erste Vorgabe: kein Boykott.
Schulz: Inwieweit hätte so ein Boykott helfen können?
Spengler: Ich glaube nicht, dass ein Boykott so wahnsinnig viel hilft, ich meine, das ist eine Veranstaltung, die stattfinden wird, denke ich, so in dieser glorreichen Unabhängigkeit wie eine Formel-1-Veranstaltung oder irgendetwas anderes. Daran wird ein Protest von irgendjemandem nichts richtiges ändern, und es hat natürlich auch sehr gute Gründe, dass man es nicht macht.
Schulz: US-Präsident George W. Bush hat ja schon angekündigt, er werde zum Auftakt der Spiele im Stadion sein, das war ja auch eine Variante, die im Spiel war, sozusagen die offiziellen Feierlichkeiten zu meiden. Warum tut sich der Westen damit eigentlich so schwer, Druck auszuüben auf China?
Spengler: Na ja, gut, da ist ja die Frage, was man bezweckt damit, also, was kann ich maximal bewirken, wenn ich dort Druck ausübe? Und das Interesse des Westens, es gibt zwei Interessen des Westens natürlich, das eine ist das schnöde Interesse, die wirtschaftlichen Beziehungen nicht zu gefährden, und das andere ist das humanitäre Interesse, ein klein wenig auf die Einhaltung von Menschenrechten zu achten, und wenn man sich dieses zweite Interesse betrachtet, dann ist es wohl ein ganz klein wenig besser, nicht die großen Glocken laut zu läuten.
Schulz: Aber gerade wenn man auf die wirtschaftlichen Beziehungen blickt: Es ist ja keine Einbahnstraße. Es ist ja nicht so, dass der Westen nur von China abhängig wäre, sondern es müsste ja eigentlich ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis in der Kooperation da sein. Mit welchen Argumenten kann der Westen auf China zugehen?
Spengler: Nun gut, aber wenn man da nun wirklich einen Handelskrieg jetzt vom Zaune bräche, das wäre ein Hauen und Stechen, das, glaube ich, wirklich niemandem, auch nicht den Chinesen - also, ich meine, den Chinesen jetzt auf der Straße oder um ihren Esstisch herum - richtig gelegen sein kann. Ich meine, die Frage der Verlässlichkeit, die haben Sie ganz richtig gestellt. Die Chinesen beantworten die Verlässlichkeit eben damit, dass sie auf jede Ausschreitung mit großer Härte reagieren. Das ist für sie Verlässlichkeit. Für uns wäre es Verlässlichkeit, dass bestimmte andere Regeln eingeübt werden, und das macht uns ja im Augenblick ein wenig zu schaffen, dass nach 20, 30, 40 Jahren Erfahrung, die wir im Westen jetzt mit der Art und Weise haben, wie unsere chinesischen Partner, oder was sie auch immer sind, mit internem Dissens umgehen, dass sich da nicht sehr viel geändert hat. Wenn Sie die Zahl zurückdenken und sich erinnern, was 1976 erstmalig, nach Ende der Kulturrevolution, passierte, als der damalige Ministerpräsident Zhou Enlai betrauert wurde nach seinem Tode, betrauert wurde von den Menschen, die nun die Hoffnung auf mehr Demokratie, mehr Freiheiten richteten. Da wurde der erste Aufschlag niedergeknüppelt, und da gibt es ja nun leider Gottes eine ziemlich traurige Kette von Nachfolgeereignissen bis eben in die letzten Tage in Tibet.
Schulz: Aber wie lange kann China diese Art von Verlässlichkeit, die Sie beschreiben, nämlich die Verlässlichkeit, Gegenstimmen niederzuknüppeln, überhaupt durchhalten?
Spengler: Ich glaube, das ist wiederum eine sehr kluge Frage, eine sehr schwer zu entscheidende Frage, weil: Das hängt natürlich davon ab, ob es in diesem Lande je zu einer in irgendeiner Weise tragfähigen Opposition kommt, und das zeichnet sich im Augenblick nicht ab. Das, was die Tibeter dort veranstalten oder die Uiguren vielleicht veranstalten, wir wissen das ja nicht, das sind Proteste, das sind mutige vielleicht, verzweifelte Proteste, vielleicht auch Hooliganisten, das können wir von hier aus nicht beurteilen, aber es ist nicht eine Opposition.
Schulz: Es gäbe ja eine weitere Möglichkeit, auf China Druck auszuüben, wenn man von Druck sprechen will. 67 Millionen Euro Entwicklungshilfe hat Deutschland im vergangenen Jahr an China gezahlt. Sind diese Millionen gut angelegt?
Spengler: Doch, die sind richtig gut angelegt. Das täuscht. Das Blöde ist, das Wort Entwicklungshilfe hat immer etwas Herablassendes, aber wenn Sie daran denken, dass ein großer Teil dieser Entwicklungshilfe auch in die Ausbildung von Juristen geht und solche Geschichten mehr, also, da würde ich nicht dran knapsen.
Schulz: Sie haben in Peking geforscht und auch gelehrt, wie beurteilen Sie die Entwicklung in dem Land in den vergangenen Jahren?
Spengler: Nun, ich glaube, es ist ein wenig so, dass man sagen kann, dass die Identität in sich noch nicht gefunden ist, das ist eben ein bisschen schwierig, also die kulturelle Identität, die auch so sehr etwas wie Durchatmen, Gelassenheit, Aufeinanderzugehen ermöglichen könnte. Das heißt, es hat ja eine so wahnsinnige Zerstörung der Kultur vorher gegeben, es hat dann diesen wahnsinnigen Wirtschaftsaufschwung gegeben, und der hat nicht das gebracht eben, oder hat bislang noch nicht das gebracht, was wir auch nur als eine Vorform einer bürgerlichen Gesellschaft anerkennen oder erkennen könnten und wo man sich eben die Opposition nicht nur leistet, sondern einfach sagt, das ist bestandsnotwendig, das ist eine Systemgarantie, dass es so etwas gibt, und wir müssen Formen lernen, mit Dissens fertig zu werden und zwar auf eine friedliche Art und Weise. Das hat sich eben noch nicht herauskristallisiert, wäre vielleicht auch ein kleines Wunder, ist aber auf jeden Fall schrecklich, schrecklich und bedauerlich.
Schulz: Gibt es denn auch Entwicklungen, die Sie beobachten, an die sich Hoffnungen knüpfen?
Spengler: Nun gut, das gibt es schon, aber das sind eher noch so kleine Pflänzchen. Es gibt halt sehr, sehr mutige Anwälte in dem Land, und es gibt sehr mutige Gewerkschafter oder solche, die sich um Gewerkschaften bemühen. Das gibt es. Es gibt Intellektuelle, die den Mund aufmachen, und es gibt viele Versuche, sozusagen auf dem nichtpolitischen Feld, auf dem nicht direkt politisch exponierten Feld eine kleine Veränderung zu bewegen, etwa in den Universitäten. Das ist sicherlich anzuerkennen, aber es gilt nichtsdestotrotz eben das, was ich vorhin gesagt habe: Eine Opposition ist das nicht oder eine Pluralität von politischen Meinungen.
Schulz: Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk heute morgen der Sinologe und Schriftsteller Tilman Spengler. Danke Ihnen!
Spengler: Ich danke Ihnen auch.