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Sizilien
Solidarität und Sorge

Kulturelle Einflüsse, Pendler, die täglich zum Arbeiten mit der Fähre übersetzen und das Tourismusgeschäft: Süditalien und Nordafrika verbindet seit dem Altertum eine enge Nachbarschaft. Doch seit dem Terroranschlag von Tunis ist es gerade diese Nähe, die vielen Sizilianern Sorgen bereitet.

Von Mark Hoffmann | 20.03.2015
    Eine Altstadtgasse in Palermo
    In Palermo wächst die Angst, dass sich der IS-Terror auch auf Süditalien auswirkt. (picture alliance / ZB)
    Palermo ist schon zu normalen Zeiten eine laute Stadt. An die Sirenen der Polizeifahrzeuge – viele müssen die von der Mafia bedrohten Ermittlungsrichter eskortieren – sind die Bürger gewöhnt. Aber das Attentat in Tunis hat die Stimmung mit einem Mal verändert. Die Sicherheitsmaßnahmen sind massiv verstärkt worden. Überall sieht man Polizisten in Uniform.
    "Wir wurden angewiesen, besonders aufzupassen – nur auf was sollen wir aufpassen? Wie sollen wir etwaige Attentäter erkennen? Das ist ein Riesenproblem. Wenn wirklich etwas passiert, wird es zu spät sein."
    Palermo liegt auf Sizilien, Sizilien gehört zu Italien, Italien zu Europa. Doch Afrika liegt hier näher als das italienische Festland und das Bewusstsein der Nachbarschaft ist in jedem Bürger der sizilianischen Hauptstadt fest verankert. Das bestätigt auch Francesco, Besitzer eines kleinen Computergeschäftes in der barrocken Altstadt.
    "Für uns Sizilianer ist Tunesien ja direkte Nachbarschaft, uns verbindet sehr viel, was auch daran liegt, dass Sizilien für lange Zeit von den Arabern besetzt war. Wir fühlen uns dem tunesischen Volk sehr verbunden, wir haben viele Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel kulinarische Spezialitäten und auch viele Kunstwerke, die aus arabischer Zeit stammen."
    Viele Gemeinsamkeiten
    Majid Majik ist einer von 3.000 tunesischen Bürgern, die in Palermo leben. Er betreibt gleich um die Ecke von Francescos Laden ein typisch arabisches Restaurant – seit bereits 25 Jahren, weshalb er sich längst als halber Sizilianer fühlt.
    "Alles ähnelt hier meiner Heimat, uns verbindet eine ähnliche Mentalität und auch die Kultur. Ich fühl mich hier als wär ich Tunesien, das gleiche Klima, es ist wie bei mir zuhause. "
    Das Attentat in seiner Geburtsstadt hat den sympathischen Lokalbesitzer Majid zutiefst getroffen.
    "Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie leid mir das getan hat. Ich habe die ganze letzte Nacht nicht geschlafen. Ich hatte immer wieder diese Bilder vor Augen, die ständig im tunesischen Fernsehen gezeigt wurden – ich habe das praktisch alles live miterlebt. Es war schrecklich mit anzusehen, wie diese Menschen um ihr Leben gerannt sind."
    "Der Tourismus ist uns heilig"
    Majid kommen die Tränen. Auch weil er an die Folgen des Attentats für die Wirtschaft in seiner Heimat denkt – und daran, wie das heilige Gesetz der Gastfreundschaft mit Füßen getreten wurde.
    "Es ist ein schwerer Schlag für den Tourismus, es sind Menschen gestorben, die gern gesehen Gäste in Tunesien waren. Der Tourismus ist uns heilig."
    Betroffenheit und Solidarität
    Einige der betroffenen Touristen sah man am Tag zuvor noch durch die Straßen von Palermo laufen. Da lag ihr Kreuzfahrtschiff im Hafen, bevor es über Nacht nach Tunis fuhr. Um seinem Land in der Krise beizustehen wünscht sich der Tunesier Majid von Italien und Europa vor allem Solidarität für sein Land. Die Stadtverwaltung von Palermo hat bereits reagiert und den Terrorakt jenseits des Meeres heftig verurteilt. Sagt Giorgio Gorgi, der Pressesprecher des Bürgermeisters:
    "Wir sind ausgesprochen betroffen, einerseits weil einige der Opfer von Palermo nach Tunis unterwegs waren und sterben mussten, nur weil sie dort ein Museum besuchen wollten , andererseits um Palermo als Symbol des friedlichen Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen zu verteidigen."
    Morgen wird in der Stadt eine große Kundgebung veranstaltet unter dem Motto "Noi siamo Tunisini", wir sind Tunesier. Aus Protest - und aus Sorge, dass der Funke über den schmalen Meeresarm Richtung Sizilien springen könnte, sagt Giorgio Gorgi:
    "Wir verurteilen diesen Terror, denn wir befürchten, dass er sich ausweitet, weil die Gewalt keine Grenzen mehr kennt. Früher gab es Kriege, in denen Völker gegeneinander kämpften. Heute will der Terror einen Krieg der Kulturen entfachen."
    Überall in Palermo ist die Betroffenheit zu spüren. Anna Finocchiaro ist Keramikkünstlerin. Das Attentat hat sie tief erschüttert:
    "Tunesien war bisher so friedlich, das einzige Land, in dem sich langsam eine Demokratie entwickelt. Es ist bedrückend, dass der Terrorismus jetzt so nahe ist. Tunesien liegt viel näher als Rom. Es fühlt sich an wie Funken auf der Haut, wie ein Feuerschein."