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So klang das Ende der SED

Das Auswärtige Amt in Berlin nutzt ein Gebäude der ehemaligen DDR-Staatspartei SED. Dort fanden im Sitzungssaal Debatten statt, die für das Ende der DDR entscheidend waren. Die entsprechenden Tonbandprotokolle bilden nun die Grundlage des Stücks "Das Ende der SED" der Gruppe Theater 89.

Von Oliver Kranz | 12.03.2012
    "Liebe Genossen des Zentralkomitees! Ich bin ernsthaft dafür, dass wir in dieser Stunde, in dieser Minute, die Diskussion beenden. Wir haben keine Minute mehr Zeit."
    "Sehr richtig! Genau!"

    Die Dramatik überträgt sich sofort. Als der DDR-Kulturminister Hans-Joachim Hoffmann am 18. Oktober '89 das Wort ergreift, demonstrieren die Menschen bereits überall in der DDR auf der Straße.

    "Uns steht das Wasser bis hierher. Wir stehen vor neuen, gewaltigen Demonstrationen, die der Feind organisiert. Jetzt müssen die Kommunisten auf die Straße. Wir brauchen sofortige Reaktionen. Wenn wir jetzt, wenn auch verspätet, uns nicht zu Wort melden, dann sind wir in der Gefahr, dass wir das Wort nicht mehr bekommen."

    Der Redner blickt mit äußerster Nervosität in den Saal - so könnte es gewesen sein, als vor
    mehr als 20 Jahren diese Worte schon einmal gesprochen wurden. Im ehemaligen Sitzungssaal des Zentralkomitees der SED scheint der Geist der DDR ohnehin noch in den Wänden zu stecken. Die Theaterleute haben lediglich ein Rednerpult und einen langen Tisch aufgestellt. Dort sitzt das Präsidium - grau geschminkte Herren, in grauen Anzügen - neben lebensgroßen Puppen.

    "Wir zeigen im Grunde Dinge, die deutlich machen, wie so ein System aus den Leuten Marionetten macht, wie die Leute eben keine Macht ausüben, wie sie eigentlich austauschbar sind, wie es im Grunde völlig egal ist, wer da sitzt. Sie funktionieren in dem System, in diesen Spielregeln. Und Erich Honecker auch."

    Sagt Hans-Joachim Frank, der Regisseur. Er lässt im Stück Rede auf Rede folgen - manchmal unterbrochen von Zwischenrufen aufgebrachter Parteimitglieder. Jedes Wort ist historisch belegt. Die Theatermacher haben nichts hinzuerfunden.

    Spannend ist, dass im Zentralkomitee im Oktober '89 die alten Spielregeln mehr gelten. Einige der rund 200 Mitglieder, wollen die Beschlüsse der Parteiführung nicht mehr wie früher einfach nur durchwinken. Hermann Kant, der Vorsitzende des Schriftstellerverbandes, kritisiert offen das brutale Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten.

    "Es ist keine Verklärtheit - Verklärtheit, das war wohl deine Vokabel gestern, lieber Genosse Krenz -, die mich sagen lässt, der Unterschied zwischen Polizei und Volkspolizei muss so deutlich bleiben wie etwa der Unterschied zwischen Eigentum und Volkseigentum. Ich füge hinzu, der Unterschied zwischen Demonstranten und Schläger muss so deutlich bleiben wie der Unterschied zwischen Ordnung und Chaos."

    Die Texte stammen von Tonbandaufnahmen, die bei den Sitzungen des Zentralkomitees immer gemacht wurden, um Abschriften für den parteiinternen Gebrauch herstellen zu können. Der Historiker Hans-Hermann Hertle machte Ende der 90er-Jahre eine interessante Entdeckung:

    "Die Niederschriften gaben nicht wieder, was sich wirklich auf diesen ZK-Tagungen abgespielt hat. Es waren ganze Passagen gekürzt, es waren ganze Wortbeiträge nicht enthalten. Das bedeutete, dass die SED damals nicht mal ihren Spitzenkadern den chaotischen, tumultartigen Verlauf dieser Sitzung zumuten wollte, und vor allen Dingen nicht, die Dinge, die dort ausgesprochen waren, vor allen Dingen nicht die tiefe wirtschaftliche Krise der DDR."

    Hans-Hermann Hertle hat die Protokolle gemeinsam mit seinem Kollegen Gerd-Rüdiger Stephan 1999 im Christoph Links Verlag publiziert. Danach bot er das Material verschiedenen Theatern an. Doch die lehnten dankend ab. Auch Hans-Joachim Frank, der Leiter des Theaters 89, zögerte:

    "Ich hab gar nicht erst aufgeschlagen, ein Jahr lang, und hab gedacht, man kann diesen alten Herren auf gar keinen Fall noch einmal eine Bühne bieten. Also ich habe das innerlich ganz stark abgelehnt."

    Hans-Joachim Frank wollte auf der Bühne lieber die Position der Opfer zeigen als die der Täter. Sein Theater 89 entstand kurz vor dem Fall der Mauer in Ostberlin. Damals galt in der DDR schon allein die Gründung einer freien Gruppe als oppositioneller Akt. Die Theaterleute könnten also für sich in Anspruch nehmen, schon damals auf der richtigen Seite gestanden zu haben. Doch das wäre natürlich zu einfach. Als Frank das Buch über das "Ende der SED" schließlich doch aufschlug, konnte er es nicht mehr aus der Hand legen.

    "Das Interessante ist ja überhaupt, wenn man sich mit diesen Dokumenten beschäftigt, dass aus Tätern Opfer werden. Und dass Opfer Täter auch sind - dass es eben so kompliziert ist, dass man das gar nicht auseinander kriegt."

    Die Inszenierung fragt nicht nach der individuellen Schuld einzelner Parteimitglieder, sondern greift aus der Fülle der historischen Dokumente die heraus, die die Ursachen des Zusammenbruchs der DDR beschreiben. Das Land stand 1989 kurz vor dem ökonomischen Bankrott. Einige Redner gestehen Fehler offen zu, andere flüchten sich in abgedroschene Phrasen. Der uralte Kommunist Bernhard Quandt explodiert:

    "Genosse Erich Honecker und Genosse Egon Krenz, wir haben im Staatsrat die Todesstrafe aufgehoben. Ich bin dafür, dass wir sie wieder einführen und dass wir die alle standrechtlich erschießen, die unsere Partei in eine solche Schmach gebracht haben."

    Im Oktober '89 hätte es leicht ein Blutbad geben können - nicht nur unter den vermeintlich schuldigen Parteifunktionären - auch das macht die Inszenierung klar. Sie zeigt den Zerfall eines Machtapparats vor dem Hintergrund einer ausweglosen Lage. Das ist hochspannend. Erstaunlich ist nur, dass das Buch, das schon seit mehr als zehn Jahren vorliegt, erst jetzt ins Theater kommt.