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"Songs sind wie Tofu"

Wer sein Album "Old Ideas", "Alte Ideen", nennt, hat entweder einen gesunden Humor - oder ist einfach nur ehrlich. Leonard Cohens erstes Studio-Epos seit über acht Jahren klingt düster, morbide und beklemmend - genau wie man es von ihm erwartet.

Leonard Cohen im Gespräch mit Marcel Anders | 27.01.2012
    Leonard Cohen: Ich bin mir nicht sicher, wie stark ich beim Schreiben der Songs gelitten habe. Eigentlich hatte ich sogar gute Laune. Aber ich denke, in allen Stücken, die wir mögen, steckt eine gewisse Trauer. Selbst "Jingle Bells" kann man so langsam singen, dass es die tiefsten Emotionen einfängt. Weshalb Songs wie Tofu sind: Sie übernehmen die emotionale Stimmung des Sängers. Und wenn man sein Leid zum Ausdruck bringen will, lässt sich das darin genauso tun, wie einen erotischen Impuls zu geben oder einen, der Depressionen auslöst. In einem guten Song findest du etwas zu all diesen Zwickmühlen.

    Marcel Anders: Davon offeriert der Altmeister nicht weniger als zehn Stück, die sich um Liebe, Lust und Leidenschaft drehen. Aber auch um Einsamkeit und Spiritualität. Eben typische Cohen-Themen, die sich wie ein roter Faden durch seine 45jährige Karriere ziehen. Und die er nicht nur hochphilosophisch umsetzt, sondern auch mit einer gewissen Ironie. Die schlägt sich im Albumtitel nieder, in der Selbsteinschätzung als "fauler Bastard im Anzug" und im künstlerischen Anspruch:

    Cohen: Ein Song funktioniert auf unterschiedlichen Ebenen. Er richtet sich zum Beispiel ans Herz mit seinen Qualen und Niederlagen. Aber er eignet sich auch zum Geschirrspülen, zum Hausputz und als Hintergrund beim Turteln. Ich denke, wir lieben Musik, weil sie so viele Einsatzmöglichkeiten, aber auch so etwas Heilendes und Belebendes hat. Ein guter Song kann in all diese Bereiche vorstoßen.

    Anders: Wobei Cohen bei der musikalischen Umsetzung seiner Ideen genauso berechenbar ist, wie bei der Lyrik: Da setzt der gebürtige Kanadier auf den tiefen Bariton, der nicht singt, sondern spricht. Auf eine minimalistische, aber atmosphärische Instrumentierung aus akustischer Gitarre, Orgel und Klavier. Sowie einen Grenzgang aus Folk, Pop und Gospel. Wobei diesmal - und das ist das Novum eines soliden Spätwerks - noch eine weitere Spielart zum Einsatz kommt:
    Cohen: Ich hatte immer das Gefühl, das ich nicht das Recht hätte, den Blues zu singen. Ich meine, ich liebe ihn, gerade was seinen Aufbau betrifft, aber ich dachte nie, dass ich die Erlaubnis dazu hätte. Jetzt wurde sie mir gewährt. Keine Ahnung, von welcher Institution. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich diese Form verwenden könnte. Und das bei etlichen Songs.

    Anders: Und wenn Cohen einen Blues über die Dunkelheit anstimmt, ist das keine Masche, und keine Pflege seines Images als "Gottvater der Verzweiflung", sondern es basiert auf der Realität. Denn der Wahlkalifornier, der in den späten 60ern mit Songs wie "Suzanne", "So Long, Marianne" oder "Bird On The Wire" zu Weltruhm gelangte, leidet bis heute unter starken Depressionen, die er mit Yoga und Meditation zu bekämpfen versucht.
    Cohen: Eine Depression ist eine ernste Sache. Also nicht vergleichbar mit einer schlechten Verabredung oder einem Wochenende, das nicht so toll lief. Wenn ich von Depressionen rede, meine ich eine klinische Sache, die dich dein ganzes Leben verfolgt. Eine richtige Qual, die dir das permanente Gefühl gibt, dass nichts richtig gut läuft. Dass es keinen Spaß gibt und alle Strategien zusammenbrechen. Das ist die Art von Depression, mit der ich mich auskenne.

    Anders: Doch Cohen, der immer mehr an Spock aus "Raumschiff Enterprise" erinnert, hat noch viele andere Spezialgebiete: Er betätigt sich als Fotograf, Maler und Zeichner. Kennt sich mit teuren Anzügen, edlen Weinen und guter Lyrik aus. Und hat eine Schwäche für attraktive Frauen - und sie für ihn. Auch, wenn er das - als reifer Gentleman - lächelnd herunterspielt.

    Cohen: An diesem Punkt meines Lebens als Playboy bezeichnet zu werden, bedarf einer Menge Humor. Zumal ich gelesen habe, dass mit zunehmendem Alter bestimmte Gehirnzellen sterben, die mit sexueller Lust zu tun haben. Wodurch du dich entweder besser oder schlechter fühlst. Abhängig vom Zustand deiner Neuronen.