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Sportpolitik
Doping. Bestechung. Ämterpatronage. Betrug

Wie konnte der internationale Sport und seine Organisationen Strukturen schaffen, in denen sie schalten und walten konnten wie ihnen beliebt? Weil der Mix aus politischem Machtstreben und Sponsorenmilliarden ein System der Ämterpatronage und eine Kultur des Gebens und Nehmens entstehen ließ. Und niemand weiß, wie man dieses System erneuern kann.

Von Jürgen Kalwa | 02.01.2016
    Die ehemaligen FIFA-Funktionäre Sepp Blatter (re.) und Jack Warner
    Die ehemaligen FIFA-Funktionäre Sepp Blatter (re.) und Jack Warner (imago Sportfoto)
    Man darf davon ausgehen, dass der englische König Heinrich VIII. ein machtbewusster Monarch war. Bekannt noch heute dafür, dass er oft heiratete und sich mit dem Papst anlegte. Aber er war auch ein ambitionierter Sportler. Er ließ in seinen Palästen mehrere Tennisanlagen bauen. Denn das Spiel brachte ihm Zerstreuung und Vergnügen. Wie an jenem Tag, als seine zweite Frau Anna Boleyn im Tower von London enthauptet wurde. Da spielte er lieber Tennis. Und verlor angeblich keinen einzigen Punkt.
    Man fühlt sich manchmal an dieses Ereignis aus dem 16. Jahrhundert erinnert, wenn man sieht, mit welcher Haltung heutzutage Sport organisiert wird. Vielleicht wäre Heinrich VIII. sogar der idealere Schutzpatron als der französische Baron Pierre de Coubertin, der Erfinder der Olympischen Spiele der Neuzeit?
    Nur größer, ohne dunkelhäutige Teilnehmer und ohne Juden
    Kein Land und keine Gesellschaftsschicht war so prägend wie die Upperclass im viktorianischen Großbritannien. Heinrichs Nachfahren steckten viel Kreativität in die Erfindung und Verfeinerung von Sportarten wie Tennis, Rugby, Fußball, Golf. Inspiriert von einem damals aufkommenden, besonderen Sinn für Ordnungsschemata und Regeln.
    Was übrigens den Franzosen de Coubertin sehr beindruckte, der von einem Abstecher nach England zurückkehrte und von da an so etwas ähnliches auf die Beine stellen wollte. Nur größer, und ohne dunkelhäutige Teilnehmer und möglichst auch ohne Juden. So wie 1896 in Athen, als die Neuzeit des Sports begann. Seitdem haben viele an der Schraube gedreht, um ähnliche Strukturen auf die Beine zu stellen.
    Mit grandiosen wohlmeinenden Prinzipien, zumindest auf dem Papier. Und mit einem ausgeprägten Instinkt dafür, wie man sich mit den Mächtigen arrangiert. Ob mit Hitler und seinen Propaganda-Spielen von 1936.
    "Ich verkünde die Spiele von Berlin zur Feier der XI. Olympiade neuer Zeitrechnung als eröffnet."
    Oder mit dem Wettstreit der Systeme im Kalten Krieg, die Massenmedien Radio und später Fernsehen machten solche Sportveranstaltungen zum sinnstiftenden Spektakel für vieles. Für einen überdrehten Nationalstolz.
    "Aus, aus, aus. Das Spiel ist aus. Deutschland ist Weltmeister."
    Und für etwas, was vermutlich schon Heinrich VIII., gefallen hätte.
    "The Games must go on."
    Der Marsch zum weltumspannenden Theater musste weitergehen
    Der prägende Satz nach dem Terroranschlag in München 1972, bei dem elf israelische Sportler ermordet wurden. Der Marsch zum weltumspannenden Theater musste schließlich weitergehen. Der Umbau vom Amateurkonzept zum kommerzialisierten Betrieb mit den Milliarden aus den Kassen von Medienunternehmen und multinationalen Sponsoren musste weitergehen.
    Der Zweck heiligte viele Mittel. Besonders in der FIFA, wo eine korrupte Funktionärsschicht eine Struktur produzierte, die im amerikanischen Kongress mit drastischen Worten belegt wurde.
    Die Sportart Fußball werde von einem 'mafiartigen Verbrechersyndidat' organisiert, sagte Senator Richard Blumenthal. Er zögere nur deshalb, diesen Begriff zu verwenden, weil man 'damit fast die Mafia beleidigt'.
    Keine Gegenkräfte
    Den Verdacht, dass das System hinter dem Schutzwall der 'Autonomie des Sports' in diese Richtung driftet, durfte man schon eine Weile lang haben. Denn abgesehen von dem gelegentlichen Druck, der durch Enthüllungen von Journalisten entstand, gab es keine Gegenkräfte, die das verhinderten. Genauso wenig wie bei den anderen Entwicklungen. Seien es Doping. Bestechung. Ämterpatronage. Betrug. Den Symptomen ein und derselben Pathologie.
    Man sieht inzwischen viel klarer, dass von den einstigen edlen Wertvorstellungen nichts übrig ist. Falls es die jemals gab. Professor John Hoberman von der Universität Texas in Austin, der sich in seinen Büchern mit den gesellschaftlichen Problemen des Sports beschäftigt, kann das nur bestätigen:
    "Je genauer man in die oberen Schichten der globalen Sportfunktionäre schaut, desto mehr findet man unehrliche Leute, Opportunisten, Heuchler und andere, die mit unsauberen Machenschaften verknüpft sind. FIFA ist heutzutage das beste Beispiel. Aber die anderen globalen Sportverbände haben ähnliche Probleme: Selbstinteresse. Machtgier. Größenwahnsinnige Funktionäre, die sich als globale Diplomaten geben. Leider sehe ich weder Personen noch die Ideen, mit denen man das Problem lösen könnte."