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Sebastian Coe
IAAF-Chef im Zwielicht

Das Image Sebastian Coes als fähiger Sportfunktionär ist angekratzt: Besonders seit den jüngsten Dopingenthüllungen steht der Präsident des Internationalen Leichtathletikverbandes IAAF in der Kritik. Zu Recht, wie unser Autor Jürgen Kalwa findet.

Von Jürgen Kalwa | 15.11.2015
    Der Präsident des Internationalen Leichtathletikverbandes, der Brite Sebastian Coe
    In der Kritik: Sebastian Coe, Präsident des Internationalen Leichtathletikverbandes IAAF. (dpa/picture alliance/Keystone/Jean-Christophe Bott)
    Auf der Bahn: Weltrekorde und Olympiagold. Seitdem scheinbar unwiderstehlich im Kampf um Einfluss unterwegs. Parlamentsabgeordneter in Großbritannien, von der Queen geadelt und in den Stand eines Barons erhoben. Aufstieg in Gremien des internationalen Sports. Und dann im August so etwas wie eine Krönung: Der Internationale Leichtathletikverband macht Sebastian Coe zu seinem Präsidenten.
    Er habe "noch keine Gelegenheit gehabt, das sacken zu lassen", sagt er, strahlt entspannt und wirkt, als werde er es sich - mit 59 Jahren - in diesem Amt richtig gemütlich machen. Seit ein paar Tagen weiß er allerdings, wie ungemütlich der Job sein kann. Erst recht, wenn einem jemand vor laufender Kamera ins Gesicht sagt, dass man als Funktionär versagt hat. Wie am Montag beim Interview mit Jon Snow im britischen Fernsehsender Channel 4: Es gäbe doch nur zwei Möglichkeiten, sagte Snow. Coe, lange Jahre Vize-Präsident der IAAF, habe entweder geschlafen oder er sei selbst korrupt.
    Wird Sebastian Coe mit der Vergangenheit aufräumen?
    Die Antwort versuchte Coe am Freitag zu geben, als er mit durchgedrücktem Kinn den Beschluss des IAAF-Vorstandes bekanntgab: "Unser Sport befindet sich in einer beschämenden Lage. Deshalb haben wir den russischen Verband mit einer überwältigenden Mehrheit von 22 zu 1 und unmittelbarer Wirkung gesperrt."
    Entschlossenheit. Eindeutigkeit. Eine Haltung, wie sie Clemens Prokop erwartet hatte, der in Peking überraschend bei der Wahl in diesen Vorstand ausgebootet worden war. Der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes bezweifelt bislang nicht die Fähigkeiten des Engländers.
    "Sebastian Coe hat jetzt die Chance und die Verpflichtung zu zeigen, dass er sich von der Vergangenheit - und damit meine ich von den Personen Diack und Umgebung - wirklich freigeschwommen hat und dass er als erstes den WADA-Empfehlungen konsequent folgt, diese Vorgänge um Lamine Diack lückenlos und rücksichtlos aufgeklärt werden. Wenn er dies schafft, dann hat er das Zeug dazu, wirklich ein großer Präsident zu werden."
    Erneuerer? Oder nur geschickter Taktierer?
    Coe, ein Vorreiter und Erneuerer? Wohl eher nur ein geschickter Taktierer. Der versuchte, die Enthüllungen von ARD-Doping-Experte Hajo Seppelt über die von der IAAF erhobenen Blutwerte als Kriegserklärung an seinen Sport zu diffamieren. Um dann in einem Interview mit der ARD – wohlgemerkt nicht mit Seppelt - ein paar rhetorische Nebelkerzen abzulassen. Ein Simultandolmetscher gab damals seine Worte so wieder:
    "...die eher selektive Sicht, die hier an den Tag gelegt wurde, wo die IAAF und Menschen wie ich und unser Sport sehr einseitig dargestellt wurden. 10, 15, 20 Jahre lang hätten wir nichts getan gegen Doping, so wurde gesagt, und wir wären sogar Komplizen beim Doping gewesen mit unserer Unfähigkeit, das Problem anzugehen."
    Dabei geht es bei Coe und einer möglichen Komplizenschaft nicht nur um Doping. Sondern um die ganze Bandbreite von "Good Governance", wie das auf Neudeutsch heißt. Coes Interessenskonflikte sind unübersehbar. Seine Rolle als Markenbotschafter der Firma Nike, einer der zahlungskräftigsten Sponsoren der Leichtathletik, die ihm dem Vernehmen nach mehr als 100.000 Euro im Jahr zahlt, mag da nur das auffälligste Beispiel sein.
    Nähe zur Führungsriege der FIFA
    Und das auch deshalb, weil erst vor wenigen Monaten massive Vorwürfe aufkamen, die das Nike Oregon Project des Ex-Marathonläufers Alberto Salazar betreffen. Und dessen Top-Athleten Mo Farrah und Galen Rupp. Die amerikanische Anti-Dopingagentur ermittelt inzwischen, gibt allerdings zum Stand der Dinge keine Auskünfte.
    Aber das ist nicht alles. So kam die kuriose Vergabe der WM 2021 nach Eugene im Bundesstaat Oregon unweit des Hauptquartiers von Nike mit den Fingerabdrücken von Coe. Er war der Chef des Gremiums, das die Entscheidung traf und das potenzielle Konkurrenten wie die Stadt Göteborg gar nicht erst eine Bewerbung einreichen ließ.
    Blättert man in der Vita des Sportfunktionärs zurück, der als Chef der erfolgreichen Olympischen Spiele von London einen enormen Vertrauensbonus genießt, fallen einem andere Dinge auf. Dubios etwa seine Rolle als Vorsitzender einer 2006 von der FIFA eingerichteten Ethikkommission. Ernannt von Sepp Blatter.
    Nächstes Karriereziel IOC?
    Coe amtierte bis 2009 und hätte sich als allererstes um den korrupten FIFA-Vize-Präsidenten Jack Warner kümmern müssen. Zu dessen schattigen Geschäften gehörte damals der Verkauf von WM-Eintrittskarten. Die FIFA verhängte zwar eine Geldbuße von einer Million Dollar, verzichtete aber seltsamerweise darauf, die gesamte Summe einzutreiben. Warner war als Stimmenbeschaffer für Blatter in Nordamerika und der Karibik unersetzlich.
    Also ist zu erwarten, dass der ehrgeizige Lord Coe auch diesmal nicht viel unternehmen wird. Zumal er längst eine Karriere im IOC im Visier hat. Statt Sepp Blatter gilt es nun, Thomas Bachs Ambitionen zu bedienen. Und der hat kein Interesse an einer harten Linie gegen Russland und daran, russische Athleten von den Olympischen Spielen in Rio fernzuhalten. Es sei denn, die französische Justiz mischt sich ein. Dann hat Coe ein echtes Problem.