Dienstag, 16. April 2024

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Sprache im US-Wahlkampf
"Trump ist cleverer als man meint"

Donald Trump trat im Wahlkampf oft rüpelig auf, vergriff sich im Ton oder wirkte ahnungslos - alles Strategie, meint die Kognitionsforscherin Elisabeth Wehling. Er habe so effektiv seine Ideologie kommuniziert, sagte sie im DLF. Clinton hingegen habe für ihre progressive Ideologie nicht die richtigen Worte gefunden.

Elisabeth Wehling im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 08.11.2016
    Donald Trump bei einer Wahlkampfrede in Arizona
    Donald Trump bei einer Wahlkampfrede in Arizona: Die Wahl einer einfachen Sprache ist kein Zufall, meint Elisabeth Wehling. (dpa / picture alliance / Gary Williams )
    Maja Ellmenreich: Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten wurde in den zurückliegenden Monaten ein Wahlkampf geführt, der seinem Namen alle Ehre gemacht hat:
    "Crooked Hillary Clinton, oh, she’s crooked, folks, she’s crooked as a three-dollar-bill!"
    "It’s just awfully good that someone with the temperament of Donald Trump is not in charge of the law in our country."
    "I call President Obama and Hillary Clinton the founders of ISIS."
    Die Kontrahenten Donald Trump und Hillary Clinton. Auch wenn wir noch nicht wissen, wie die Wahl am Ende ausgeht - was Pöbeleien und Beschmutzungen, Anklagen, Diffamierungen und Lügen angeht, gilt jetzt schon: Punktsieg für Trump.
    Handfeste Tatsachen waren gestern - willkommen im Zeitalter des Postfaktischen! In diesen wenigen Stunden des vermeintlichen Stillstands - offiziell ist der Wahlkampf schließlich vorbei und die US-amerikanischen Wahllokale haben ihre Türen geöffnet - wir wollen jetzt die Wahlkampfschlacht zwischen Clinton und Trump noch mal einmal unter die Lupe nehmen. Und zwar im Gespräch mit der Linguistin und Kognitionsforscherin Elisabeth Wehling, die an der Universität von Kalifornien in Berkeley lehrt und forscht und mit ihrem Team den Wahlkampf zwischen Clinton und Trump wissenschaftlich untersucht hat. Frau Wehling, wir haben gerade aus dem Mund von Donald Trump gehört: Barack Obama und Hillary Clinton seien für ihn die Gründer des sogenannten Islamischen Staates. Glaubt der US-amerikanische Wähler ihm solche Aussagen?
    "Ein bisschen Schmutz bleibt immer hängen"
    Elisabeth Wehling: Ganz generell gesprochen natürlich nicht. Dafür wissen die Amerikaner genug über die Politik und die Außenpolitik der Obama-Administration. Allerdings: Zunächst einmal gibt es natürlich einige Amerikaner, die auf so etwas hereinfallen und sagen, ja Mensch, ist das wirklich so, hat Obama da vielleicht indirekt uns diese ganze Sache beschert. Aber auf der anderen Seite, und ich glaube, darum geht es hier: Trumps Strategie ist ja immer gewesen über die letzten 18 Monate, sehr intensive Bilder zu entwerfen. Und im Zweifelsfall sagt er hinterher, na ja, das war sarkastisch gemeint, das war eigentlich nur ein Scherz, völlig darüber sich bewusst seiend, dass diese Bilder hängen bleiben, dass man nicht einmal so was intensives sagt und dann hinterher ein bisschen abschwächt und dann vergessen die Menschen das wieder, sondern dass das immer im Kopf kleben bleibt. Und das ist natürlich eine ganz subtile Strategie, die er da fährt, auch mit diesem Sprachmoment.
    Ellmenreich: Damit folgt er ja eigentlich den grundsätzlichen Regeln der üblen Nachrede: Einmal in die Welt gesetzt, auch wenn es nachher widerlegt wurde, bleibt immer was hängen und der Gegner ist beschmutzt und das ist ja das Ziel.
    Wehling: Richtig. Da muss man sagen, was im Alltag gilt, das gilt auch in der Politik: Ein bisschen Schmutz bleibt immer hängen.
    Ellmenreich: Aber Untersuchungen haben trotz allem nachgewiesen, dass über 80 Prozent dessen, was Donald Trump von sich gibt, faktisch falsch ist, aber das nun im Nachhinein als Humor oder Lüge oder Sarkasmus auch abtut. Wieso gehen dennoch einige oder eben auch viele Wähler diesem Lügner auf den Leim?
    Wehling: Zunächst einmal muss man wissen, dass in Amerika natürlich viele Menschen die Politik primär über TV und Podcasts und so weiter konsumieren. Das heißt, sie hören in erster Linie die Storys, die erzählt werden, zum Beispiel in einem TV-Duell. Nicht jeder Amerikaner geht hinterher an seinen Laptop, geht ins Internet hinein und schaut sich die langen Faktenchecks und die Listen von Realitäten an und kontrolliert das alles gegen. Das ist das eine und das Zweite ist: Selbst für den Anteil der Bevölkerung, der das tut, gilt nach wie vor: Einmal gehört, wird so schnell nicht wieder vergessen. Und wenn man auch hinterher dann faktisch sagt, aha, wir haben gar nicht so viele Arbeitslose, das sind de facto viel, viel weniger, wird der Kopf nie ausradieren, was er vorher in einem TV-Duell zum Beispiel gehört hat, nämlich die Idee, dass es Amerika wahnsinnig schlecht geht und wir sind blutarm, wie Trump es ja nennt, wir bluten aus, unsere Wirtschaft blutet aus. Derart intensive gedankliche und sprachliche Bilder, die vergisst der Mensch nicht, selbst wenn er hinterher faktisch noch mal nachkontrolliert, was aber im Übrigen nicht jeder Amerikaner tut.
    "Die abstrakte Sprache ist immer ein bisschen Flucht"
    Ellmenreich: Sie attestieren ja Donald Trump, was das Vokabular und die Grammatik angeht, die Sprache eines Viertklässlers. Jetzt stelle ich mir die Frage, ob dieses sprachliche Niveau der kleinste gemeinsame Nenner ist, um möglichst viele potenzielle Wähler, die sprachmächtigen, aber auch die etwas sprachschwachen zu erreichen. Ist das so?
    Wehling: Es ist tatsächlich so, dass sie mit einfacher Sprache natürlich nicht nur ganz intellektuelle verkopfte Bürger erreichen, sondern auch die Durchschnittsbürger im mittleren Westen. Aber eigentlich muss man die Sache noch aus einer anderen Perspektive heraus betrachten. Und zwar ist es tatsächlich der Fall, dass in einer einfachen Sprache neuronal, für das Gehirn mehr Semantik liegt, weil alles, was wir einfach benennen können, das kennen wir aus unserer direkten Welterfahrung, aus unserem Alltag, und das hat für uns am meisten Bedeutung in unserem Leben. Gerade deshalb fällt es ja oft schwer, in der Politik und anderswo, sich einfach auszudrücken. Und nicht zuletzt ist das sehr abstrakte Sprechen über politische Inhalte oft ja auch eine Art Flucht, wenn man sich vielleicht gedanklich und programmatisch noch nicht ganz geklärt hat. Insofern fällt die einfache Sprache immer leichter, wenn man einfache Programme hat. Das ist klar. Aber es ist nicht einfach nur abzutun als, da spricht man, ich sage mal ein bisschen zugespitzt, für das dumme Volk. Tatsächlich in einer einfachen Sprache liegt neuronal mehr verborgen als in der abstrakten. Die abstrakte Sprache ist immer ein bisschen Flucht.
    Ellmenreich: Also ist, wenn ich Sie richtig verstehe, dann Donald Trump deutlich cleverer als man vielleicht aufs erste hören und sehen meint, weil er sich eines perfiden Mittels der neuronalen Manipulation bedient?
    Wehling: Auf Ihre erste Frage: Ja unbedingt. Trump ist cleverer als man meint. Sein Wahlkampf hat auch weitaus mehr Strategie, als ihm nachgesagt wird. Zu dem zweiten Teil Ihrer Frage: Man muss das aus meiner Sicht etwas anders betrachten. Trump hat eine bestimmte Ideologie. Das ist eine Ideologie, mit der viele Europäer und Österreicher und Deutsche und so weiter nicht klar kommen. Das ist nicht unbedingt so, wie wir denken. Es ist auch nicht so, wie alle Amerikaner denken. Aber auch in Amerika gibt es Menschen, die genau dieselben Werte vertreten wie Trump, nämlich jeder soll möglichst auf sich selbst schauen, wir brauchen viel Disziplin und Wettbewerb, manche Menschen sind mehr wert als andere, die Reichen sind ganz besonders toll und so weiter. Wer so auf die Welt schaut, der hat natürlich Recht oder Anrecht auf einen politischen Kandidaten, der genauso auf die Welt schaut und das auch klar kommuniziert. Das heißt, wir mögen seine Ideologie nicht nachvollziehen können, oder beziehungsweise nicht teilen. Aber er kommuniziert sie, muss man sagen, einfach effektiv und gut und da muss man auch ein bisschen auf Clinton schauen, dass sie für die Gegenseite, für eine progressive Ideologie, für Werte des Miteinanders, der sozialen Empathie, der Fürsorge keine vergleichbar einfachen Worte findet, und das ist natürlich wirklich auch ein Versagen ein Stück weit des Clinton-Wahlkampfes, ganz klar.
    "Politisches Framing bedeutet das Schaffen von Interpretationsmustern"
    Ellmenreich: Also hat Donald Trump die Seele, die Werte des US-Amerikaners besser durchschaut als Hillary Clinton?
    Wehling: Nicht des US-Amerikaners. Nein, das keinesfalls. Aber des erzkonservativen US-Amerikaners. Amerika ist eine tief gespaltene Nation, in der es eine große Kluft gibt, ideologisch und im Alltagsleben, zwischen den erzkonservativen und den erzprogressiven Menschen, sage ich mal. Und dann gibt es natürlich die Mitte, die man sich abholen kann in einem Wahlkampf, in dem man die eigenen Werte besonders gut betont, denn die Mitte ist ja immer ideologisch hin und hergerissen und kann sowohl der strengen konservativen Weltsicht als auch der fürsorglichen progressiven Weltsicht etwas abgewinnen. Das heißt, im Wahlkampf muss jede Partei dafür sorgen, die eigenen Werte möglichst transparent zu machen, sodass die Mitte sich in den Bereichen, in denen die Werte überlappen, mit einer Gruppe sich identifizieren kann und entsprechend dann demokratisch befähigt zum Regieren des Landes.
    Ellmenreich: Also hat es Hillary Clinton nicht verstanden, die richtigen moralischen Botschaften, oder, um es mit Ihrer Sprache zu sagen, das richtige politische Framing zu verwenden. Was genau ist dieses Framing?
    Wehling: Politisches Framing bedeutet das Schaffen von Interpretationsmustern, von Deutungsrahmen über Sprache. Wenn wir in der politischen Debatte Worte lesen wie zum Beispiel Flüchtlingswelle, dann entwickelt sich in unserem Kopf ein Frame, der Flüchtlinge als eine Wassermasse, als eine Bedrohung, als eine Naturgewalt begreifbar macht, vor der wir uns dann schützen, und das heißt natürlich im politischen Handeln jetzt in diesem Fall auch der Ruf nach nationaler Abschottung. Wenn die Welle kommt, macht man die Schotten dicht. Das ist, ich denke, ein ganz eingängiges Beispiel dafür, wie man über sprachliche Konstrukte in den Köpfen seiner Mitbürger einen Frame aktiviert, einen kognitiven gedanklichen Deutungsrahmen, der dann eine ganze Reihe von Assoziationen und versteckten Schlussfolgerungen mit sich bringt, die man im ersten Moment nicht immer direkt erkennen muss, die dann aber sich ganz intensiv niederschlagen in das politische Denken, Entscheiden und Handeln.
    "Der Trump aus dem Wahlkampf würde nicht eins zu eins der Trump im Weißen Haus sein"
    Ellmenreich: Wie wird es nun weitergehen? Auf diese starken Bilder und auf die markigen Worte von Donald Trump wird ja dann doch ein Wahlergebnis folgen. Sollte es so kommen, dass er Präsident wird, wird er, wie soll ich sagen, durchaus intellektueller, wird er differenzierter ans Werk gehen müssen. Trauen Sie ihm das zu nach dem, was Sie jetzt während der Beobachtung der letzten 18 Monate gesehen haben?
    Wehling: Wenn Trump zum Präsidenten gewählt werden würde, dann wird er von seinem Grundturnus bleiben wie er ist, denn das ist Donald Trump, so spricht er, da ist auch viel aus dem Bauch heraus. Ein Grund, dass seine Kampagne gut funktioniert, ist, dass die Strategie immer sehr darauf abgestimmt ist, was für ein Typ ist Trump. Und diesen Typus, dieses Authentische, Rüpelhafte, Aggressive, zum Teil Menschenverachtende, das wird Trump nicht ablegen. Allerdings wird natürlich die Kommunikation einer Administration nicht nur von dem Präsidenten gemacht, sondern da kommt ein ganzes Team zum Tragen. Da gibt es eine ganze Reihe anderer Leute, die involviert sein werden in die Kommunikation, natürlich im Übrigen auch in die politische Gestaltung. Das heißt, der Trump aus dem Wahlkampf würde nicht eins zu eins der Trump im Weißen Haus sein. Da wird es Veränderungen geben. Aber an seinem Grundtypen, den er so gerne vor sich herträgt, wird sich meines Erachtens nicht allzu viel ändern, denn er weiß, diese Marke funktioniert.
    Ellmenreich: Elisabeth Wehling – Linguistin an der Universität von Kalifornien in Berkeley. Herzlichen Dank für das Gespräch
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.