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Sprache und Denken
Was den Mensch zum Menschen macht

Im November jährt sich der Todestag des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz zum 300. Mal. Am Dienstag wurde das Jubiläumsjahr mit einem Festakt im Schloss Herrenhausen in Haus eröffnet – mit einem durchaus anspruchsvollen Diskurs über Sprache und wie sie uns von den Tieren unterscheidet.

Von Alexander Budde | 21.01.2016
    An diesem Abend im Schloss Herrenhausen blickt Dominik Perler vom Pult herab in zunehmend ratlose Gesichter. In seinem Festvortrag "Tierisch menschlich" ergründet der Professor vom Institut für Philosophie an der Humboldt Universität in Berlin den Zusammenhang von Sprache und Denken. Ergriffen lauscht das gelehrte Publikum, denn natürlich geht es auch darum, was den Mensch zum Menschen macht:
    "Denkt der Schimpanse nicht, dass die Banane hinter dem Gitter liegt, er jedoch davor steht, und denkt er nicht, dass er deshalb nicht an sie herankommt? Genau diese naheliegende Überlegung weist Leibniz zurück ..."
    Ohne prädikative Sprache kann sich ein Lebewesen zwar auf Gegenstände beziehen und sein Verhalten danach ausrichten, Tiere mögen Pläne schmieden, Werkzeuge einsetzen, die Absichten ihrer Artgenossen durchschauen – doch Denker sind sie nicht, bilanziert Perler nüchtern. Denn Tiere haben keine Sprache, keine Syntax, können deshalb keine Urteile bilden, Urteile aber sind die Voraussetzung für´s Denken, ergo sind die Schimpansen fundamental anders als wir:
    "Leibniz zog aus dieser Feststellung eine radikale Konsequenz. Er meinte, dass sprechende und damit auch denkende Lebewesen ganz besondere Lebewesen sein müssen, nämlich sogenannte 'geistige Substanzen', die sich von Anfang an von allen anderen Lebewesen unterscheiden und von Gott die Fähigkeit erhalten haben, prädikative Urteile zu bilden."
    Sprache als Spiegel des Verstandes
    Eine starke These, die im Zeitalter nach Darwin zum Widerspruch reizt. Die Philosophin Birgit Recki fordert, genauer zu erforschen, wie die Sprache im Laufe der evolutionären Entwicklung überhaupt entstanden ist, damit wir Menschen uns selbst und unsere Stellung in der Welt richtig einschätzen.
    "Wir müssen vorsichtig sein, gerade deshalb, weil ja die Tiere für uns Gegenstände einer Interpretation sind, und da würde ich methodisch sagen, gerade dadurch, dass sie nicht sprechen, sollte uns vorsichtig machen im Hinblick darauf, dann gleich zu schlussfolgern, was sie alles nicht können – und dann vielleicht in einer Hermeneutik des Wohlwollens mal versuchen, ob da nicht im Verhalten von Tieren etwas zum Tragen kommt, was für uns den Eindruck von Folgerichtigkeit macht."
    Die Sprache als Spiegel des Verstandes: Nur eine von vielen Einsichten der barocken Geistesgröße Leibniz, die sich als erstaunlich tragfähig erwiesen. Rose Marie Beck bemerkt, dass sich die Geister bis heute an der Causa scheiden. Was wäre denn, spekuliert die Afrikanistin listig, wenn es urplötzlich den schlagenden Beweis dafür gäbe, dass Tiere denken können?
    Der schriftliche Nachlass ist kaum zu überblicken
    "Es würde eine Tierbefreiungsbewegung geben, wir bräuchten dringend diesen C-3PO – das ist dieser Übersetzungsdroide von Star Wars (Gelächter), der muss uns da natürlich helfen, es würde riesige Debatten geben, ob man Tiere noch essen darf oder nicht!"
    Umfassend waren die Interessen des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz, der noch in seinem Todesjahr 1716 unermüdlich mit der Erklärung und Vermessung unserer Welt beschäftigt war. Leibniz führte umfassende sprachwissenschaftliche Forschungen durch, er stritt mit Isaac Newton um die Erfindung der Differenzial- und Integralrechnung und legte zum Entzücken heutiger Informatiker das nur auf 0 und 1 basierende binäre Zahlensystem dar. Kein Wunder, dass der schriftliche Nachlass des Jubilaren kaum zu überblicken ist, sagt Philosoph Perler:
    "Für uns besteht die Herausforderung, das jeweils zu übersetzen und zu sehen, wo die Gemeinsamkeiten sind. Aber das beeindruckende ist dabei, dass er in der Tat versucht hat, aus allen Theorien die beste Theorie herauszudestillieren. Und das ist nach wie vor eine beeindruckende Leistung, - auch die Art und Weise wie er in den Briefen auf seine Gesprächspartner eingegangen ist, in ihrer Sprache jeweils auf sie geantwortet hat."
    Vermutlich schrieb der gut vernetzte Denker allein in seinem Todesjahr rund 900 Briefe. Seit 1901 läuft die Leibniz-Edition. Stiftungsprofessor Wenchao Li beschreibt das Vorhaben als eine beglückende Zumutung, als ein gewaltiges intellektuelles Puzzlespiel. 16.000 Schriftstücke umfasst allein der Briefwechsel. Jedes einzelne, sagt Editor Li, werfe mehr Fragen auf, als es Antworten gibt.
    Die Strukturen der Welt erforschen
    "Leibniz war ein Mensch, der schreibend denkt und Gespräche braucht, um seine eigenen Gedanken zu entwickeln. Nachlass immerhin: 200.000 Blatt. Und wenn man das Blatt an Blatt legt, das würde ungefähr 60 Kilometer betragen. Und wenn ein Mensch mit guten Sprachkenntnissen in Latein und Französisch jeden Tag acht Stunden Leibniz liest und pro Woche 5 Tage, dann braucht er 20 Jahre. Ich habe mal gedacht, ich wollte alles lesen, was er geschrieben hat, aber das schaffe ich nicht!"
    Zur Vorbereitung des Zehnten Internationalen Leibniz-Kongress im Juli in Hannover scharte Li Leibniz-Forscher von Tokio bis Tel Aviv um sich. Die Einheit in Vielfalt wollen sie suchen, Fortdenken, Querdenken – zum Beispiel auch über die Frage, ob Maschinen nicht die besseren Denker sind. Geballter Sachverstand im besten Sinne, freut sich Dominik Perler, der Philosoph, über das moderne Potenzial seines Helden, der sich in der besten aller möglichen Welten wähnte:
    "Er meinte, wenn wir uns nur genug anstrengen und eben den Verstand einsetzen, können wir die Struktur der Welt erfassen. Vielleicht nicht vollständig und schon gar nicht alleine, aber es gibt so etwas wie ein großes gemeinsames Projekt, das wir heute Wissenschaft nennen. Und diesen Optimismus teile ich mit Leibniz, ich denke der ist sehr wichtig, der treibt die Forschung voran!
    Wir müssen versuchen, all das einzusetzen, was wir an Verstandesfähigkeit haben, um in den Naturwissenschaften genauso wie in den Geisteswissenschaften Strukturen der Welt zu erforschen. Ob wir dann am Schluss zur Einsicht kommen, wie Leibniz meinte, dass die ganze Welt in der Tat harmonisch strukturiert ist, das ist noch eine ganz andere Frage."