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Stadtgeschichte und Partykeller

Zeugnisse aus Belgrads Vergangenheit gibt es vor allem tief unter der Erde. Auch an der Festung Kale Megdan arbeiteten verschiedene Epochen, dort gibt es sogar ein unterirdisches Labyrinth.

Von Jutta Schwengsbier | 27.01.2013
    Am Zusammenfluss von Save und Donau gelegen, war Belgrad schon zu Zeiten der Römer ein idealer Handelsstandort. Dort, wo heute verliebte Pärchen entlang der Festungsmauern flanieren und von einem steil aufragenden Hügel in die weite pannonische Tiefebene blicken, dort lag vor über 2000 Jahren der Donaulimes. Das war die Grenze, die das Römische Reich vor den Barbaren schützen sollte. Wer nach historischen Spuren sucht, muss allerdings tief graben. In seinem Buch "Belgrad unter Belgrad" beschreibt Soran Nikoloc welche Schätze in verschiedenen Schichten und an verschiedenen Orten unter der Erde noch zu finden sind.

    Im Keller der Stadtbibliothek wurden 1983 zum ersten Mal Reste einer über 2000 Jahre alten römischen Festung gefunden. Das römische Singidunum, was übersetzt die runde Festung bedeutet, wurde ab dem vierten Jahrhundert mehrfach von Hunnen, Ostgoten oder anderen umherziehenden Völkern verwüstet.

    "Die Bauherren waren überrascht, als sie eine Wasserleitung des römischen Wasserleitungssystems entdeckten. In einer Länge von 15 Kilometern führten die Leitungen von einem Dorf bis hierher zur Festung. Die Wasserleitung wurde im Jahr 46 nach Christi erbaut und ist bis ins 18. Jahrhundert benutzt worden."

    Solche historisch wertvollen Baudenkmäler, die von 2000 Jahren Stadtgeschichte zeugen, sind in Belgrad nur noch unterirdisch zu finden. Im Kräftespiel zwischen Orient und Okzident, zwischen aufstrebenden und untergehenden Weltreichen wurde die Stadt rund 40 mal dem Erdboden gleichgemacht. Auf den Ruinen bauten die Sieger dann jeweils eine neue Metropole, mit eigenem Flair und im Baustil der neuen Herrschaftshäuser. So ist von den zahlreichen Moscheen oder türkischen Denkmälern aus osmanischer Zeit nur noch eine einzige Moschee in Belgrad erhalten. Nur die Festung Kale Megdan mit ihren Wehranlagen blieb fester Bestandteil im Stadtbild, jeweils renoviert entsprechend der Militärtechnik der Zeit, erklärt Stadtführerin Dragica Kirstic.

    "Letzter Großbau der Festung war unter den Österreichern im 18. Jahrhundert, als sie Belgrad von den Türken übernommen haben. 15 Jahre lang haben sie an dieser Festung gearbeitet. Zu vielen Toren gibt es diese Türen, die sind aus Holz. Und sie sehen diese Kanonen nicht, hier in der Mauer drinnen. Das hat man absichtlich auch drinnen gelassen, um jemanden, der wieder die Festung angreifen wollte, zu zeigen, das haben schon andere versucht und haben es nicht erreicht."

    Mit einer Granate, die mitten ins Pulverlager der türkischen Garnison traf, konnte Österreich die Festung von den Türken erobern und danach die Osmanen vom Balkan vertreiben. Um nicht beim nächsten Angriff genauso geschlagen zu werden, gruben die Österreicher ihre Wehrstellungen bis tief unter die Burg und schlossen ihr Pulverlager im Felsen ein.

    Steile, schmale Treppen im Zentrum der Burg führen heute noch in die klaustrophobische Enge des Bunkerlabyrinths.

    "Die meisten unterirdischen Gänge haben damals die Österreicher gemacht, ihre Siedlung war an der Donau. Und sie hatten immer Angst vor den Türken und eventuellen Überfällen. So mussten sie Schutz sich irgendwie geben, durch unterirdische Gänge. Von der Donau in Richtung der Save. Denn auf der anderen Seite waren sie ja in Sicherheit. Aber die Sicherheit natürlich nur, wenn die sie unter der Erde erreichen konnten."

    Die langen Gänge und die unterirdischen Wehranlagen der Festung waren noch bis zum Zweiten Weltkrieg letzter Rückzugsort für die Staatsführung.

    "Von hier aus hat man mit Kanonen dieses Gebiet beschossen, das auf den Zufluss von der Donau in die Save schaut. Man rechnet, dass 21 Granaten in der Sekunde geschossen wurden. Dann können sie sich vorstellen, was für Vibrationen das verursacht hat. Deshalb auch dieser Kies, der hier unten steht, um die Vibrationen ein bisschen abzudämpfen. Als Titos Jugoslawien Russland in die Quere kam 1947, hat man diesen Bunker, im Falle, dass es zu einem Angriff kommt. Denn man hat erwartet, dass Stalin damals Jugoslawien angreift. Was nicht erfolgt ist. So nennt sich der Bunker unter uns Informbüro Bunker."

    Zum letzten Mal geschossen wurde in diesen unterirdischen Bunkern, als Emir Kosturica hier seinen preisgekrönten Kinohit "Underground" gedreht hat. Im Film beginnen die Widerstandskämpfer während des Zweiten Weltkriegs in dem unterirdischen Labyrinth mit dem Bau von Waffen. Da sich das Ganze als äußerst lukratives Geschäft erweist, versäumt es der Waffenhändler, die Untergrundkämpfer über das Kriegsende zu informieren. Die Partisanen wagen sich erst nach Jahren aus dem Untergrund an die Oberfläche, nur, um sich mitten im Bosnienkrieg wiederzufinden.

    Jeder, der die wohl berühmteste Politgroteske des Balkans gesehen hat, fühlt sich unweigerlich daran erinnert, sobald er die unterirdischen Gänge Belgrads betritt. Wie im Film "Underground" dringt hier die ganze Tragik und der Humor des Balkans tief unter die Haut. Die verborgene Untergrundwelt zeugt davon, wie oft diese Stadt von Großmächten überrannt wurde - gleichzeitig dröhnt aus den zahlreichen Grotten in langen Partynächten laute Discomusik.