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Steiner: Wir können Umweltpolitik nur noch global voranbringen

Der Direktor des UNO-Umweltprogramms, Achim Steiner, erwartet von den Teilnehmern der Artenschutzkonferenz in Bonn finanzielle Zusagen für den Naturschutz. Nachdem in den vergangenen Jahren die Investitionen für den Erhalt von Tieren und Pflanzen eher verringert worden seien, gebe es nun Zeichen für eine gestiegene Bereitschaft, mehr Geld aufzubringen. Vor allem die Entwicklungsländer müssten finanziell unterstützt werden, um Schutzgebiete einzurichten.

Moderation: Silvia Engels | 28.05.2008
    Engels: Bei der 9. UN-Naturschutzkonferenz in Bonn treten die Verhandlungen zur Bewahrung von Tieren, Pflanzen und Schutzgebieten heute in eine neue Phase. Bislang verhandelten Experten und Fachdelegationen darüber, wie man den Wert der biologischen Vielfalt berechnen und somit besser schützen kann. Das Ringen geht ab heute auf Ministerebene weiter, aber dann geht es um handfeste Entscheidungen. Einigt man sich auf gemeinsame Standards und wer bezahlt wie viel für die Umsetzung? - Am Telefon ist der Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms Achim Steiner. Guten Morgen!

    Steiner: Guten Morgen Frau Engels.

    Engels: Sie kennen sich aus mit solchen globalen Konferenzen. Was kommt am Ende raus?

    Steiner: Ja, das ist manchmal nicht so einfach. Ich komme gerade aus Tokyo, wo ja die Umweltminister der G8 getagt haben, und jetzt hier in Bonn ein weiterer Versuch, in der internationalen Umweltpolitik einen Schritt weiterzukommen. Ich glaube der Ausgangspunkt muss immer sein: Wir sind heute am Beginn des 21. Jahrhunderts an dem Punkt, wo wir Umweltpolitik nur noch global voranbringen können. Das bedeutet, über 190 Länder an einen Tisch zu bringen mit all ihren unterschiedlichen Interessen. Das ist natürlich nicht einfach, aber wir haben keine andere Wahl. Von daher ist auch diese Artenschutzkonferenz ein wichtiger Weg oder ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu dieser internationalen Umweltpolitik.

    Engels: Formal geht es ja um den konkreten Fahrplan zur Umsetzung einer UN-Konvention, die bis zum Jahr 2010 die Verluste an biologischer Vielfalt entscheidend verringern soll. Wie ist das zu erreichen?

    Steiner: Wir haben ja seit 1992 mit diesem Abkommen zur Artenvielfalt drei Säulen geschaffen. Einmal den Schutz der Artenvielfalt, zweitens die nachhaltige Nutzung und drittens den gerechten Vorteilsausgleich. Hier geht es vor allem um die rechtlichen Grundlagen, wie genetisches Material auch in einem wirtschaftlichen System fair gehandelt und genutzt werden kann. Im Bereich der Schutzsysteme sind wir einen Schritt weiter gekommen, aber das Ziel, bis 2010 entscheidende Verringerung beim Artenverlust herbeizuführen, ist uns bis jetzt noch nicht gelungen. Das heißt hier sind konkrete Maßnahmen, aber auch eine Art Bilanz in Bonn gefragt, denn so wie wir im Augenblick den internationalen Naturschutz betreiben, werden wir dieses Ziel verfehlen und vor allem wir verlieren immer mehr Arten. Das können wir uns einfach nicht leisten!

    Engels: Das ist ja eine ganz konkrete Frage des Geldes. Schutzgebiete müssen ausgewiesen werden. Die liegen häufig in Entwicklungsländern. Dort ist die Flora und Fauna sehr, sehr reichhaltig. Der WWF spricht von einem Investitionsbedarf von 20 bis 30 Milliarden Dollar, Ausgegeben für Schutzgebiete werden nach verschiedenen Schätzungen lediglich bis zu 6,3 Milliarden Euro. Wer soll zahlen?

    Steiner: Jeder von uns, denn jeder von uns profitiert ja tagtäglich von der Natur. Da ist eben auch unser ökonomischer Kompass des letzten Jahrhunderts einfach fehl gelaufen. Wir sind noch nicht im Bereich der Nutzung der natürlichen Ressourcen an einem Punkt, wie wir es im Grunde in jedem Unternehmen und auch in einer Volkswirtschaft machen, dass wir in die Ressourcen, die wir brauchen und nutzen, investieren. Vor allem die Natur hat ja das Geniale, dass sie sich nämlich jederzeit wieder produzieren kann. Was wir eben in unseren ganzen Nutzungsstrategien - ob das jetzt Landnutzung ist, Landwirtschaft oder auch Industrie - lange verfehlt haben ist, dass wir wieder investieren in die Natur, damit sie genau diese Produkte und Dienstleistungen, die wir ja täglich zur Verfügung haben, auch weiter bereitstellt. Wir betreiben im Grunde das, was man in einem Bergbaugebiet macht, nämlich wir bauen ab und erhalten nicht das, was unsere Wirtschaft letztlich am Leben erhält.

    Engels: Aber das Kernproblem besteht ja darin, dass bislang niemand die Kosten bezahlen muss, wenn er Bäume fällt oder Arten zurückdrängt, sondern nur profitiert. So genannte Waldwertpapiere sollen das beenden. Das heißt ähnlich wie bei den Emissionszertifikaten, die wir nun schon kennen, soll das gehandelt werden. Ist das nicht ein rein virtuelles Konzept?

    Steiner: Unsere gesamte Volkswirtschaft beruht ja letztlich auf einem bestimmten virtuellen Konzept, nämlich dass man durch bestimmte Rahmenbedingungen Märkte beeinflussen kann. Genau das versuchen wir ja heute in der internationalen Umweltpolitik auch. Ob das beim Klimawandel ist oder jetzt beim Ressourcen-Management, wir müssen ökonomische Instrumente schaffen, die Finanzierungsströme sicherstellen, damit man wieder in diese Ressourcen investieren kann. Von daher ist das kein virtuelles Instrument.

    Engels: Aber sehen Sie Ansatzpunkte konkreter Umsetzung?

    Steiner: In der Tat! Ich meine wir haben ja gerade im Rahmen der Klimakonvention in den letzten Monaten erlebt, wie Länder inzwischen bereit sind, zum Beispiel für die Erhaltung von Tropenwaldgebieten, die ja eine Schlüsselrolle spielen auch bei der ganzen Klimapolitik, Mittel bereitzustellen. Hier geht es um einen Ressourcen-Transfer und einen Interessensausgleich zwischen denen, die Nutzen haben, und denen, die letztlich diese Ressourcen erhalten. Von daher sind auch hier konkrete Finanzströme nicht zuletzt auch die globale Umweltfazilität, die wir ja seit über 15 Jahren haben. Nur das Geld, das wir im Augenblick investieren, steht absolut in keinem Verhältnis zu dem Nutzen, den wir ziehen, und vor allem zum Handlungsbedarf und darin liegt auch die Krise.

    Engels: Herr Steiner, Sie haben es angesprochen. Klimaschutz, Artenvielfalt, das sind zwei wichtige Ziele. Nun wehrt sich beispielsweise Brasilien vehement dagegen, dass auf dieser Konferenz Zusammenhänge zwischen der zur Klimaschonung ja angestrebten Biosprit-Produktion und der Rodung des brasilianischen Regenwaldes verknüpft werden. Bremsen sich also die verschiedenen Umweltschutzziele Klimaschutz und Artenbewahrung aus?

    Steiner: In unserem gegenwärtigen internationalen System und vor allem in den sehr widersprüchlichen Interessen natürlich sehr oft und das ist ja auch das Problem. Brasilien als Land widerspricht ja nicht der These und auch nicht dem Wissen, dass der Erhalt des Amazonas nicht nur für sich selber eine enorme Rolle spielt, sondern auch international. Nur ihre Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte ist immer wieder gewesen, dass sie letztlich einen Nachteil in den internationalen Konventionen haben, weil sie selber einen Teil ihrer Souveränität, das heißt das Recht, ihre Ressourcen zu nutzen, aufgeben in internationalen Abkommen, aber eben nicht das bekommen was ihnen versprochen wurde, nämlich substanziell finanzielle Unterstützung aus der internationalen Gemeinschaft. Deswegen steht die gesamte internationale Umweltpolitik im Augenblick letztlich unter einem Schatten, weil das Vertrauen nicht mehr da ist zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern.

    Engels: Reden wir über Geld. Von wem erwarten Sie wie viel Geld, vielleicht auch mit Blick auf Deutschland?

    Steiner: Ich glaube hier in Bonn ist vor allem natürlich die zusätzliche Finanzierung von Schutzgebieten ein sehr wichtiges Thema. Hier erhoffe ich mir von der Bundesregierung, wie aber auch von Europa und letztlich den Industriestaaten ein Signal, dass sie inzwischen bereit sind, das weiterzuführen was ihnen 1992 am Herzen lag, nämlich als man diese Konvention unterschrieben hat. Hier sind Finanzierungsmittel notwendig: Einmal für weitere Entwicklung von Schutzgebieten, aber auch um diese Länder dabei zu unterstützen. Wir können einem Land in Afrika nicht zum Vorwurf machen, wenn es Nationalparks nicht so führen kann wie wir hier, wenn sie international nicht unterstützt werden. Das heißt hier sind Milliarden-Beträge gefragt. Aber man muss das immer in ein Verhältnis setzen mit dem Nutzen, den wir daraus ziehen, und der liegt in einem viel höherem Maße als wir es heute ökonomisch erfassen.

    Engels: Haben Sie denn Hinweise darauf, wie viele Milliarden die Konferenz bereit ist in die Hand zu nehmen?

    Steiner: Das wird sich heute in dem Ministersegment zeigen. Es gibt positive Anzeichen. Vor allem auch die Bundesregierung hat hier eine sehr positive Rolle gespielt. Jetzt kommt es darauf an, ob die Staaten der Europäischen Union mitziehen und vor allem auch andere Länder wie USA und Japan. Die Zahlen sind sicherlich noch nicht an dem Punkt, wo wir sie vielleicht uns alle erhoffen, aber ich glaube Bonn wird sicherlich hier eine Richtungswende einlenken, denn wir haben im letzten Jahrzehnt eher eine Verringerung dieser Investitionen erlebt und das ist natürlich sehr bedauerlich.

    Engels: Die Artenvielfalt - ich sprach es an - ist dort am größten, wo die Menschen andere Probleme haben, denn gerade in Südamerika, in Südostasien gibt es Probleme durch die radikal gestiegenen Nahrungsmittelpreise. Eine weitere Belastung des Artenschutzes?

    Steiner: Ist es, wenn wir weiter so verfahren wie wir es heute tun. Und dort schließt sich eben der Kreis. Man darf Umwelt- und Wirtschaftspolitik nicht mehr so trennen, wie wir es in den letzten 100, 200 Jahren getan haben. Klimapolitik, Artenschutz, Nahrungsmittelsicherheit, das sind alles Elemente, wie wir unsere natürlichen Systeme nutzen. Was wir schon seit langem fordern ist, dass wir hier mit einem integrierten Ansatz vorangehen können, denn sonst werden wir diese Ziele nicht erreichen. Die Nahrungsmittelkrise können wir nicht nur dadurch lösen, indem wir die Landwirtschaft weiter so intensivieren wie in den letzten 100 Jahren, denn gerade dies führt ja auch zur Zerstörung genau der Faktoren, die es uns ermöglichen, Lebensmittel zu produzieren. Das heißt eine ökologisch orientierte Landwirtschaft mit anderen ökonomischen Vorzeichen, nicht falschen verzerrenden Subventionen, sondern Subventionen, die den Landwirt nicht nur als maximierenden Produzenten fördern, sondern eben auch als Landschaftsmanager, das sind Richtungsveränderungen, die wir schon seit langem fordern und die sich auch langsam erkennen lassen - auch in Entwicklungsländern.

    Engels: Der Leiter des UNO-Umweltprogramms Achim Steiner heute Früh im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für das Gespräch!

    Steiner: Vielen Dank!