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Steuerhinterziehung als weltweites Phänomen

Steuerhinterziehung könne nur über internationalen Datenaustausch auf der Namens- und Kontoebene bekämpft werden, meint der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbandes Anton Börner. Außerdem fordert er das Verbot von steuergünstigen Offshore-Konstruktionen.

Anton Börner im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 02.05.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Soweit also Informationen von Christoph Grabenheinrich, und telefonisch verbunden sind wir jetzt mit Anton Börner, dem Präsidenten des Bundesverbands des deutschen Groß- und Außenhandels. Guten Morgen, Herr Börner!

    Anton Börner: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Börner, Bundespräsident Joachim Gauck, der nennt das Verhalten von Steuerhinterziehern in der Zeitschrift "Stern" verantwortungslos oder gar asozial – ist das eine zutreffende Beschreibung?

    Börner: Ja, mindestens, also ich denke, wir haben es hier mit einem Verbrechen zu tun, und kein Mensch würde auf die Idee kommen, einen Drogenhändler als verantwortungslos zu bezeichnen, und ich würde sagen, das ist noch sehr milde ausgedrückt. Es ist ein Verbrechen, und das muss man dann auch so nennen, dass es eines ist. Ich denke, das Phänomen der Steuerhinterziehung ist auch viel, viel tiefergehend, wir haben es hier nicht mit einem lokalen Phänomen zu tun oder mit einem nationalen Phänomen zu tun, wir haben es hier mit einem internationalen Phänomen zu tun. Und wenn wir uns mal anschauen, wenn die Daten nur einigermaßen stimmen, dass jedes Jahr etwa 400 Milliarden Euro oder Dollar weltweit hinterzogen werden, dann kann man sich vorstellen, in welchen Dimensionen sich das abspielt. Ich bin ein großer Befürworter von Transparenz, und zwar Datenaustausch international, das heißt, die Länder müssen sich gegenseitig die Kontendaten übermitteln, der Finanzverwaltung zur Verfügung stellen. Ein ganz wesentlicher Punkt ist allerdings, dass man, wenn man so einen internationalen Vertrag macht, dass man auch die nationalen Verwaltungen mit einbezieht. Ich habe beispielsweise in Italien von der Finanzpolizei gehört, ja, dass die Politik zum großen Teil dort dagegen ist, dass man international ermittelt, und man arbeitet da so mit halbgebundenen Händen. Da sieht man, in welche Tiefen das ganze Thema reingeht, wenn man das dann umsetzen will.

    Heckmann: Da kommen wir gleich noch mal zu, Herr Börner. Ich möchte noch mal auf Uli Hoeneß selber zu sprechen kommen, der hat in der Wochenzeitung "Die Zeit", die heute erscheint, wörtlich gesagt, er habe Riesenmist gebaut, aber er sei kein schlechter Mensch. Haben Sie den Eindruck, dass Uli Hoeneß erfasst hat, was er da eigentlich getan hat?

    Börner: Also ich kenne jetzt weder den Herrn Hoeneß persönlich, noch kenne ich seinen Fall, ich kenne nur das, was in den Medien berichtet wird. Ja, ich sage es mal etwas salopp, was soll er denn sonst sagen. Sicher, wenn er sagt, er hat Mist gebaut, dann ist das sicher richtig, aber es ist eine Aufgabe eines Gerichts oder von Gerichten, halt dann die Schuld festzustellen. Und da muss man eben sehen, was da für ein Urteil rauskommt, aber …

    Heckmann: Der Bundespräsident Joachim Gauck, der hat auch gesagt, man solle es sich aber auf der anderen Seite auch nicht zu einfach machen. Wer denkt, da stünden lauter moralische Normalverdiener lauter unmoralischen Reichen gegenüber, der irre.

    Börner: Ja, ich habe mal einen lustigen Satz gehört: Der Haushalt ist die Schweiz des kleinen Mannes oder Mitarbeiters im deutschen Handwerk. Na ja, also ich will da jetzt nicht tiefer einsteigen - jeder Gastwirt oder jeder Gastronom kann da wahrscheinlich auch ein Lied davon singen, wie das da mit den Rechnungen aussieht, wie die verbucht werden, und, und, und, also ich denke …

    Heckmann: Das heißt, die Aufregung ist so ein bisschen bigott?

    Börner: Ja, ist es in der Tat schon. Es geht natürlich auch immer um die Frage der Größenordnung, aber es ist sicher so, dass nicht jede, jede Hausangestellte, oder jeder Pfleger oder wie auch immer, der Privatmann, der im Haushalt arbeitet, oder jeder Gärtner, der einen Rasen mäht, dass am Jahresende dann auch deklariert und angibt. Also ich denke, das ist ein schwieriges Thema, das dann auch sehr stark eben in das Privatleben einzieht. Also ich denke, wenn man ganz ehrlich ist, kann sich wahrscheinlich jeder in Deutschland da an der Nase packen, oder nicht nur in Deutschland. Wie gesagt, das ist ein weltweites Phänomen, überall auf der Welt ist es so. Menschen sind halt keine Heiligen, und da muss man halt irgendwie auch suchen als Staat, wie weit geht man mit der Repression, wie weit geht man in der Ermittlung, und was toleriert man noch. Auch da hat mir mal ein italienischer Finanzminister so seine Philosophie erzählt: Wir tolerieren halt gewisse Dinge, die in anderen Ländern nicht toleriert werden, und das ist auch eine Mentalitätsfrage.

    Heckmann: Herr Börner, im Steuerstreit mit der Schweiz, da gibt es jetzt ja offenbar neue Verhandlungsbereitschaft, wir haben darüber bereits berichtet. Die SPD allerdings, die stellt Bedingungen, und zwar zwei Stück: einmal, die Schweiz müsse einem automatischen Informationsaustausch zustimmen, also im Prinzip de facto das Bankgeheimnis aufgeben, und es dürfe eben keine pauschale und anonyme Amnestie geben, wie das ja bei dem ersten Entwurf der Fall und vorgesehen gewesen ist. Ist es richtig aus Ihrer Sicht, auf diese beiden Punkte zu bestehen?

    Börner: Ja, das sehe ich ganz deutlich so, wobei nochmal: Das ist kein Phänomen mit der Schweiz, das ist ein weltweites Phänomen, und ich denke, wenn man sich an die amerikanische Philosophie anschließt – die Amerikaner sagen eben, wir brauchen Datenaustausch auf der Namensebene, auf der Kontoebene, und dann ist das alles okay, und diese pauschalen Steuerabführsysteme, die funktionieren nicht, weil wir es einfach hier mit dem Kapital weltweit zu tun haben, und wenn heute die Schweiz nicht ist, dann gehe ich halt morgen dort hin und dann über … das heißt, die laufen eben immer den Dingen hinten nach. Also ich glaube schon, es wäre in der Tat wichtig, angesichts dieser gewaltigen Schuldenkrise, die wir ja auf der Welt haben, wir reden ja nicht über Europa, sondern es ist ein weltweites Phänomen, muss man als Weltgemeinschaft sich dieses Themas annehmen, und dazugehört nicht nur die Transparenz, die ich auch immer gefordert habe, sondern es gehören auch Dinge dazu wie Offshore-Konstruktionen zu verbieten, das heißt, ich lege einen Teil – Dienstleistungsbereich, Lizenzen und so weiter – in ein Niedrigsteuerland oder in ein Land, wo gar keine Steuern erhoben werden, und dann schreibe ich einen Rechnung an mein Unternehmen, wo hohe Steuern sind, und dann habe ich Kosten, dann mindert das den Gewinn, damit muss ich dort weniger Steuern zahlen, und den Gewinn transferiere ich dann legal – ja, legal! – in dieses Land, wo ich eben keine Steuern bezahle, und dann umgehe ich im Grunde genommen nationale Besteuerung. Das muss dringendst auch verboten werden, das heißt, es ist ein großes Paket, aber ich bin voll dafür, dass man mit diesen pauschalen Dingen letztlich zwar vielleicht kurzfristig mal was lösen kann, auch mal kurzfristig vielleicht ein bisschen Geld in die Staatskasse kriegt, aber langfristig wird das Problem nicht gelöst. Und wir müssen ein langfristiges, tragbares Konzept haben, das geht nur über Transparenz und Datenaustausch auf der Namens- und Kontoebene.

    Heckmann: Herr Börner, die einen hinterziehen Steuern in Millionenhöhe, Millionen andere Menschen leiden unter der Sparpolitik in Europa auf der anderen Seite - die Stimmen derer, die fordern, dass diese Sparpolitik gelockert werden müsse, die werden immer lauter, auch gestern waren sie sehr laut und vernehmlich zu hören. Haben diese Leute nicht recht, würgt diese Politik, diese Sparpolitik, die Konjunktur nicht immer weiter ab?

    Börner: Diese Sparpolitik … das Phänomen ist wiederum ein anderes: Wenn wir beispielsweise in Italien sind - das habe ich auch hier sehr deutlich gefordert -, haben Sie ein Finanzvermögen in privater Hand, das viel, viel größer ist als in Deutschland, sie haben hier 175 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt an privaten Geldvermögen, ohne Immobilien, in Deutschland ist die Zahl 125 Prozent. Die Italiener müssen an die Vermögenden rangehen, und ich habe auch gesagt, wenn die Leute hier nicht investieren, dann muss man sie konfiskatorisch besteuern, das heißt, man muss zuerst das Geld von den Leuten holen, die es haben, zum großen Teil auch ins Ausland geparkt haben - um nicht das Wort verschoben zu nennen, und erst dann kann man ans Ausland gehen. Das heißt: Jawoll, man braucht dringend Geld, um eine Wachstumspolitik zu machen. Die Frage ist nur, wo holt man sich das Geld: Holt man es sich eben im weiteren "Schulden Machen" - ist gleich, Aufgabe der Sparpolitik, und da bin ich grundsätzlich dagegen, weil es das Phänomen und das Übel nicht an der Wurzel packt –, oder holt man das Geld bei den Leuten, die in der Lage sind, in der Privatwirtschaft zu investieren und Arbeitsplätze und Wachstum zu schaffen? Und da sage ich ja.

    Heckmann: Aber Herr Börner, ist das nicht auch ein bisschen bigott - denn in Deutschland hat man ja immerhin das historisch größte Konjunkturprogramm aufgelegt in der Krise und Regelungen für die Kurzarbeiter geschaffen -, wenn man jetzt verlangt von Berlin aus, dass die südeuropäischen Länder alle nur auf Sparen setzen und man es selber ganz anders gemacht hat?

    Börner: Nein, ich sage ja gerade, die Länder können sich aber selber helfen, das ist kein Problem, dass sie das Ausland brauchen. Die südeuropäischen Länder sind reicher als die nordeuropäischen, sie müssen halt an das Geld rangehen. Und man kann nicht sagen, ja, das ist ein Thema, das können wir nicht angehen. Ich habe das hier bei Gesprächen mit den Gewerkschaftsvorsitzenden, ich habe das mit der Regierung besprochen, die haben immer gesagt: Ja, das können wir nicht machen, das ist ja privat, da können wir nicht ran. Ich sagte: Warum? Ihr könnt genau so wie wir auch einen Lastenausgleich erheben, ihr könnt die Leute zwingen über höhere Steuern, wenn sie nicht investieren, wenn das Geld herumliegt, wenn sie nichts damit tun. Ja, aber das wollen wir nicht. Da fängt es an, also man muss zuerst mal, bevor man andere Leute um Hilfe bittet, selber seine eigenen Ressourcen angehen, und das passiert halt nicht. Es ist halt einfacher, immer über die Grenze zu schauen und zu sagen: Na ja, wir gehen nach Brüssel, oder die EZB, oder Deutschland, oder wer auch immer, die sollen uns dann helfen. Es ist keine Frage des "Helfen Wollens" oder "Helfen Könnens", Fakt ist, dass die Sparpolitik falsch ist. Das habe ich auch dem Herrn Monti gesagt, man kann nicht den kleinen Leuten immer mehr Geld wegnehmen, sondern man muss an die Großen rangehen und muss sagen: Ihr habt die Möglichkeiten, ihr könnt investieren, investiert dann bitte auch, das unterstützen wir auch vom Staat.

    Heckmann: Kurz noch zum Schluss, Herr Börner, die Jugendarbeitslosigkeit in den Ländern, die steigt und steigt. Wie groß ist die Gefahr, dass Europa sich selbst zerstört, wenn den jungen Menschen keine Perspektive geboten wird?

    Börner: Sehr groß, die Gefahr ist sehr groß, da muss man aber auch wieder anfangen und sagen, man hat auch hier keine Arbeitsvermittlungssysteme, das geht alles so ein bisschen unter der Hand, da muss man einfach in die Verwaltung reingehen, und man muss die Gesellschaft reformieren. Das ist ein Reformationsprozess der Gesellschaft, es ist ein politischer Prozess, und weniger ein ökonomisches Problem.

    Heckmann: Der Präsident des Bundesverbands des deutschen Groß- und Außenhandels, Anton Börner, war das, hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Herr Börner, ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Börner: Bitteschön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.