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Stiftung Off Road Kids
Zukunft für Straßenkinder sichern

Die Streetworker von Off Road Kids haben seit 1993 mehr als 4.000 Straßenkindern in Deutschland dabei geholfen neue Perspektiven zu finden. Allein in Hamburg gebe es jedes Jahr rund 200 Kinder und Jugendliche, die aus ihrem Elternhaus fliehen, so eine Mitarbeiterin.

Von Axel Schröder | 30.09.2016
    Zwei Jugendliche in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs an einem kalten Tag auf der Straße
    Aus allen gesellschaftlichen Schichten stammen die Jugendlichen, die wie hier in Hamburg auf der Straße leben. (picture-alliance/ dpa)
    Florian musste sich überwinden, den Klingelknopf der "Off Road Kids" zu drücken. Eigentlich wollte er, der 22-jährige bullige Typ, den Ausweg aus seiner Situation alleine meistern. Aber die Verzweiflung war zu groß, erzählt er heute vor dem Eingang zu den Off Road Kids, ein halbes Jahr, nachdem er sich getraut hat, die Hilfe des Vereins anzunehmen:
    "Bei mir war es sehr schwierig. Meine Wohnung war fristlos gekündigt, meine Freundin war hochschwanger. Ich bin orthodox, also christlich, meine Freundin ist islamisch. Die Eltern wussten davon nichts - von ihr. Und Leif hat mir dabei geholfen halt."
    Zu Leif Weber fasst Florian sofort Vertrauen. Der Sozialarbeiter arbeitet bei den "Off Road Kids" in einen schmalen Seitenstraße im Hamburger Stadtteil St. Georg.
    "Die größte Herausforderung für mich als Sozialarbeiter war, es auszuhalten, dass die beiden einfach eine sehr komplexe Problemsituation hatten und ich nicht sofort jeden Brand löschen konnte und sofort helfen konnte. Das heißt, die Lösungen ergaben sich erst so nach und nach. Und da gab es auch immer mal so Phasen, wo es einfach auch schwierig war - die beiden auch frustriert waren - die beiden bei der Stange zu halten."
    Hilfsangebot mit Potenzial
    Der erste Schritt war, ihren Eltern die Situation klarzumachen. Leif Weber war dabei, Florian und seine Freundin ihrer Mutter zum ersten Mal von ihrer Liebe zueinander und der Schwangerschaft berichtet haben. Gleich danach kümmerte sich der Sozialarbeiter um eine bezahlbare Genossenschaftswohnung. Die Stiftung streckte das Geld für die dafür nötigen Genossenschaftsanteile vor. Aber die hat er mittlerweile schon zurückgezahlt, erzählt Florian. Gegründet wurde "Off Road Kids" von Markus Seidel im schwäbischen Bad Dürrheim. Auch er war heute in Hamburg dabei, als die Stiftung verkünden konnte, seit ihrer Gründung rund 4.000 Kindern und Jugendlichen geholfen zu haben:
    "Man mag vielleicht vermuten, dass ich von irgendeinem schlimmen Schicksal getrieben worden war. So ist es überhaupt nicht. Ich habe ganz banal Fernsehen geschaut und habe da Reportagen über Straßenkinder in Deutschland gesehen im Herbst 1992. Und im Freundeskreis dann rumgehorcht: wer würde mitmachen, eine Hilfsorganisation für Straßenkinder in Deutschland zu gründen. Und wir waren im Schwarzwald ganz schnell 50 Leute und da dachte ich mir: "Das Thema hat doch Potenzial. Da kannst du was machen!" Und seither sind wir am Werk. Ich denke, dass diese 4.000, denen wir geholfen haben, von der Straße dauerhaft wegzukommen, jetzt auch wirklich ein besseres Leben haben."
    Eine Million Euro zur Verfügung
    Einfach machen, sich einfach engagieren, das war die Devise von Markus Seidel. Er begrüßte heute Morgen in Hamburg auch Deutsche-Bahn-Chef Rüdiger Grube. Neben der Vodafone-Stiftung ist das Unternehmen einer der größten Spender für die "Offroad-Kids":
    "Ich komme selbst aus sehr einfachen Verhältnissen und weiß, wie es dem ein oder anderen Kind zumute ist, wenn zuhause eben nicht der Segen gerade hängt, sondern wenn sie tagtäglich in dem Gespann von Mutter und Vater leben, die sich nicht verstehen. Und da glaube ich, leisten die "Off Road Kids" Hervorragendes!"
    Eine Million Euro stehen der Stiftung jedes Jahr für ihre Arbeit in Berlin, Dortmund, Hamburg und Köln zur Verfügung. Allein in Hamburg gebe es rund 200 Kinder und Jugendliche, die aus ihrem Elternhaus fliehen, schätzt die studierte Sozialpädagogin Bente Müller von "Off Road Kids".
    "Hier in Hamburg haben wir sehr, sehr viele junge Erwachsene, die den Kontakt zu den Eltern schon sehr, sehr lange nicht mehr haben, die eine Karriere in der Jugendhilfe hatten und mit 18 dann wieder irgendwo rausfallen, nämlich aus der Jugendhilfe, aus dem betreuten Wohnen mit 18 entlassen werden. Aber häufig noch gar nicht die Alltagskompetenzen haben und noch gar nicht wissen, wo es langgehen soll!"
    Aus allen gesellschaftlichen Schichten
    Aus allen gesellschaftlichen Schichten stammen diese Jugendlichen, erzählt Bente Müller. Ob Eltern ihren Kindern ein lebenswertes Zuhause bieten können, liege eben nicht am Einkommen. Der 22-jährige Florian ist heilfroh, den Schritt zu den "Off Road Kids" gewagt zu haben. Nach etlichen Nächten, in denen er wach lag, in denen er die Verzweiflung kaum aushalten konnte:
    "Man denkt, man wird obdachlos und schläft unter der Brücke mit einem kleinen Kind. Man geht zu so vielen Stellen und keiner hilft! Keinen interessiert's quasi. Aber "Off Road Kids" hat mir geholfen, muss ich jetzt sagen! Gut, dass es so eine Sache gibt!"