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Straches Rücktritt
"Kurz müsste die Koalition für beendet erklären"

Mit seinem Rücktritt versucht Österreichs Vizekanzler Heinz-Christian Strache den Schaden für seine Partei zu begrenzen, sagte der österreichische Politikwissenschaftler Anton Pelinka im Dlf. Er rät Kanzler Sebastian Kurz dennoch zu Neuwahlen - bei denen Kurz alle Koalitionsoptionen offen lassen sollte.

Anton Pelinka im Gespräch mit Dirk Müller | 18.05.2019
Das Foto von Dezember 2017 zeigt den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz mit FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache.
Das Foto von Dezember 2017 zeigt den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz mit FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache. (dpa-Bildfunk / APA / Roland Schlager)
Müller: Herr Pelinka, das war alles eine Falle. Wir haben schon mit unserem Korrespondenten darüber geredet. War das eine gute Falle?
Pelinka: Es war eine Falle. Ob sie gut oder schlecht war, hängt natürlich von der Perspektive des Beurteilenden ab, aber eine wirksame Falle, heißt: das politische Ende von Heinz-Christian Strache ist damit unvermeidlich. Die Frage ist nicht mehr, ob er politisch überleben kann. Es ist vielmehr auch die Frage, welche strafrechtlichen Konsequenzen etwa im Sinne der Korruption es für ihn hat, aber die entscheidende Frage ist, was macht Sebastian Kurz, der Bundeskanzler von der ÖFP damit. Das wird die strategische Entscheidung sein, die vielleicht heute Nachmittag bekanntgegeben wird.
"Strache als Person ist politisch Geschichte"
Müller: Das heißt also, Heinz-Christian Strache, darüber reden Sie gar nicht mehr, es geht im Grunde nur noch darum, wie das ganze abgewickelt wird.
Pelinka: Strache persönlich ist nicht rettbar. Wenn er es noch versuchen sollte, macht er vermutlich die Sache noch schlimmer, auch für seine Partei. Die Freiheitliche Partei wird sich wohl, wenn sie halbwegs überleben will, von Strache deutlich distanzieren müssen. Das wird auch mögliche Pläne, die Koalition mit einer anderen Führungsfigur der Freiheitlichen Partei fortzusetzen, beeinflussen. Strache als Person ist politisch Geschichte.
Müller: Wir hören jetzt viel in diesem Zusammenhang seit heute Morgen, seit gestern Abend von Norbert Hofer, im Moment auch Minister im Kabinett in Wien, vielen hier auch in Deutschland noch bekannt als Präsidentschaftskandidat der FPÖ. Wäre das der Mann, der das vielleicht wieder in den Griff bekommen könnte?
Pelinka: Das könnte sein, wenn er will, aber vor allem, wenn der Bundeskanzler das will, denn der Bundeskanzler hat die Option, und die scheint mir aus der Interessenslage der Volkspartei, also der Kurz-Partei, logisch, auf Neuwahlen zu gehen, aber wenn Sebastian Kurz die zweite Option wählt mit der Freiheitlichen Partei ohne Strache, aber eventuell mit Norbert Hofer weiterzumachen, wird das einen Strudel auslösen, denn Hofer als Nachfolger von Strache wird ständig gefragt werden, wie er zu dieser Korruption seines Vorgängers steht. Das heißt, auch Kurz wird die Frage gestellt bekommen, wie er mit einer Partei, die offenkundig einen so korrupten, zur Korruption bereiten, käuflichen Vizekanzler bisher kuriert hat, wird er weitermachen. Also die Sache wird kaum lösbar sein, indem man nur hier einen anderen Vizekanzler installiert.
"Eine deutliche Täter-Opfer-Umkehr"
Müller: Herr Pelinka, jetzt haben wir beide ja auf die Pressekonferenz von Heinz-Christian Strache gewartet. Jetzt ist er vor zwei Minuten vor das Mikrofon getreten. Wie bewerten Sie das, diese Äußerungen, die wir von ihm vernehmen konnten bislang?
Pelinka: Also es ist zuletzt eine deutliche Täter-Opfer-Umkehr. Er versucht sein Verhalten, das er ja nicht bestreitet, als eine Art Alkohollaune hinzustellen und dann den Scheinwerfer des Kriminalitätsvorwurfs auf die zu richten, die dieses Video an die Öffentlichkeit gebracht haben. Das mag zwar auch eine interessante Frage sein, aber die entscheidende Frage ist, wie kommt ein führender österreichischer Politiker dazu, sich wie ein Mafiaboss aus sizilianischer Provinz zu verhalten und Zusagen zu machen, Parteispenden gegen Staatsaufträge. Das ist doch der harte Kern. Strache versucht – vielleicht verständlicherweise – hier im Sinne der Täter-Opfer-Umkehr den Kriminalitätsvorwurf an die zu richten, die dieses Video an die Öffentlichkeit gebracht haben.
Müller: Wir hören auch hier in der Regie weiterhin zu. Es gibt im Moment noch keine klare definitive Aussage von Strache, welche Konsequenzen er persönlich ziehen wird, aber wir sind weiterhin aufmerksam. Vielleicht blicken wir noch ein bisschen nach vorne. Wir haben eben auch über die Optionen von Sebastian Kurz gesprochen. Wenn Sebastian Kurz Sie jetzt fragen würde, den Politikwissenschaftler Anton Pelinka, was soll ich machen – sind Sie klar für Neuwahlen?
Pelinka: Eindeutig Neuwahlen. Das heißt, diese Koalition für beendet zu erklären, für den Frühherbst Neuwahlen anzustreben, aber die Frage koalitionäre Optionen für danach offenzulassen, das heißt, sich nicht festzulegen auf die eine oder andere – die eine nein, die andere ja – Koalition, sondern offenzulassen, den Wahlgang abzuwarten. Kurz hat vor allem eine sehr gute Perspektive, dass er aus dem Auseinanderbrechen der Koalition mit Strache profitieren kann.
"Versuch einer Schadensminderung für die Freiheitliche Partei"
Müller: Also jetzt haben wir es gehört. Rücktritt von Heinz-Christian Strache, damit haben die meisten ja auch gerechnet, also Rücktritt als Vizekanzler, Rücktritt aus der Regierung, automatisch auch Rücktritt als FPÖ-Chef. Könnte das wiederum eine Art Befreiungsschlag – ich weiß nicht, ob das das richtige Wort ist in dieser Situation – dann für die FPÖ sein? Hat die FPÖ jetzt noch eine Chance, im Grunde dabei zu bleiben, in die Offensive zu gehen?
Pelinka: Es ist der Versuch einer Schadensminderung für die Freiheitliche Partei, aber ob die Freiheitliche Partei in der Regierung Kurz als Juniorpartner bleiben kann, darüber entscheidet nicht die Freiheitliche Partei, sondern Sebastian Kurz, und Sebastian Kurz muss die Gefahr sehen, wenn er etwa mit einem Vizekanzler Hofer weitermacht, dass er ständig angesprochen wird auf diese Korruptions- und Mafiazustände, die an der Spitze seines Regierungspartners sehr deutlich geworden sind. Das heißt, rational auf seinen eigenen Vorteil bedacht, müsste Kurz die Koalition für beendet erklären, Neuwahlen anstreben, aber die Koalitionsoptionen für danach offenlassen.
Müller: Ich sehe gerade, dass Heinz-Christian Strache auch sein Statement beendet hat. Das war keine Pressekonferenz, sondern ein Pressestatement, also ohne Nachfragen der Journalisten. Danke, dass Sie bis hierhin auch für uns Zeit gefunden haben. Ich möchte noch eine Frage noch abschließend stellen in unserem Interview. In einer Woche sind Europawahlen – mit welchen Konsequenzen sind jetzt diese Ereignisse in Wien verbunden?
Pelinka: Es ist da wirklich eine Prognose schwer zu stellen. Vermutlich wird die Freiheitliche Partei Nachteile davon haben. In welchem Ausmaß, ist schwer zu sagen. Vermutlich könnten die Oppositionsparteien hier Energie gewinnen, aber ich rechne nicht mit größeren Verschiebungen vom Status quo gestern bis zur Wahl am nächsten Sonntag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.