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Streit in der Mailänder Pinakothek Brera
Zwischen Markt und Museum

Ein neuer Direktor bringt frischen Wind in die von Napoleon gegründete Pinakothek Brera in Mailand. Doch jetzt stellt er ein Gemälde von Caravaggio aus Privatbesitz aus, dessen Zuschreibung umstritten ist. In Italien hat das eine Diskussion über den schmalen Grad zwischen Kunsthandel und Kunstwissenschaft ausgelöst.

Von Henning Klüver | 22.11.2016
    James Bradburne, Direktor der Pinakothek in Mailand, vor dem Caravaggio zugeschriebenen Werk "Judith enthauptet Holofernes". Rechts daneben eine Kopie, die dem flämischen Maler Louis Finson zugeschrieben wird.
    James Bradburne, Direktor der Pinakothek in Mailand, vor dem Caravaggio zugeschriebenen Werk "Judith enthauptet Holofernes". Rechts daneben eine Kopie, die dem flämischen Maler Louis Finson zugeschrieben wird. (dpa / picture alliance / Matteo Bazzi)
    Selten wurde ein Mord so realistisch in einem Gemälde dargestellt. Blut spritzt und man glaubt, den Schrei des Opfers zu hören. Judith enthauptet, assistiert von einer alten Dienerin, ihren Todfeind Holofernes. Michelangelo Merisi, den die Kunstgeschichte Caravaggio nennt, ist ein Meister in naturalistischen Dramaturgien. Das Motiv der Enthauptung hatte er bereits 1602 in Rom dargestellt. Ein paar Jahre später malte er in Neapel eine neue Fassung. Die galt bislang als verschollen.
    Kürzlich wurde in Frankreich eine Leinwand gefunden, die manche Kritiker für das Original halten, und zum Kauf angeboten. Dass diese Arbeit aus Privatbesitz nun in der Mailänder Pinakothek Brera gezeigt wird, löste zum Teil heftige Kritik in den italienischen Medien aus. Und der Kunsthistoriker Giovanni Agosti verließ deswegen den wissenschaftlichen Beirat des Museums.
    "Ich bin der Überzeugung, dass die Beziehungen zwischen der Welt des Handels und der der Museen offen, ehrlich und zugleich auf ein notwendiges Minimum beschränkt sein sollten."
    Das Museum als Markplatz?
    Der 55-jährige Professor kennt den Museumsbetrieb aus eigener Anschauung. Bevor er an die Universität Mailand berufen wurde, war er zehn Jahre lang im Amt für Denkmalschutz beschäftigt, dem auch die staatliche Pinakothek Brera beigeordnet war.
    "Das Museum sollte ein Ort der Kultur sein, der offen für die Allgemeinheit ist, wo aber die Allgemeinheit von der Wissenschaft gefilterte Informationen erhält. Ein Ort, der nichts mit Handel oder Werbung zu tun haben sollte."
    Giovanni Agostis Zweifel kann James Bradburne, der neue Direktor der Pinakothek, nicht ganz teilen. Der international erfahrene Museumswissenschaftler hatte unter anderem von 1999 bis 2003 das Frankfurter Museum für Angewandte Kunst geleitet. Zuletzt stand er der gemischt öffentlich-privaten Ausstellungseinrichtung Palazzo Strozzi in Florenz vor. Er stellt das umstrittene Bild dem unbestritten echten Caravaggio der Brera, einem "Abendmahl in Emmaus" gegenüber.
    "Unseren Caravaggio, den wir haben wir auch auf dem Markt gekauft. Woher kommen die Werke? Sie werden entweder gegeben, entweder gestohlen von Napoleon oder entweder gekauft. Was ist das Problem?"
    120 Millionen Euro für einen Caravaggio
    Agosti befürchtet, dass die Ausstellung des umstrittenen Bildes dem Eigentümer helfen könnte, den Wert zu steigern. Zumal der zur Bedingung gemacht hatte, dass es mit einer Bildlegende ausgestellt wird, die es als einen echten Caravaggio ausweist. Bradburne hält dagegen:
    "Es ist schon auf dem Markt als ein Caravaggio angeboten für 120 Millionen Euro. Wir verkaufen nicht das Werk. Wir haben keinen Einfluss. Wir können nicht machen, dass es teurer wird."
    Die Darstellung der "Enthauptung" ist vom französischen Staat, der ein Vorkaufsrecht gelten machen kann, für drei Jahre lang für den Verkauf gesperrt worden. Der Preis, falls sich das Bild als echt erweisen sollte, liegt also bereits fest. Mailand ist in der Bildlegende dem Wunsch des Eigentümers auf Zuschreibung gefolgt. Zugleich weist ein Sternchen auf einen Zusatztext hin, der besagt, dass diese Zuschreibung eine Bedingung für die Ausstellung sei und dass das Museum und seine Fachleute nicht unbedingt dieser Meinung seien.
    Ein Studientag Ende Januar
    James Bradburne sieht die Rolle des Museums in der einer Werkstatt, eines Labors, in dem Wissenschaftler aus aller Welt diesen angeblichen Caravaggio bei einem Studientag Ende Januar unter die Lupe nehmen sollen.
    "Wir laden die Experten ein, eine Diskussion zu führen. Es ist eine transparente Ausstellung mit einem kritischen Ziel. Das ist kein Markt, kein Supermarkt, das ist ein Labor und das ist präzis das, was ein Museum machen muss in seiner Mission."
    Ohne die Sperrung für den Verkauf, versichert Bradburne, hätte er ein auf dem Markt angebotenes Werk niemals eingeladen. Auch wenn man im Fall Brera-Caravaggio der Argumentation des Mailänder Museumsdirektors folgen kann, bewegt sich die Beziehung zwischen Markt und Museum, zwischen Kunsthandel und Kunstwissenschaft auf einem schmalen Grad.