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Neues Leben im Dorf

Ein Fläche von 124 Fußballfeldern wird laut Umweltbundesamt jeden Tag in Deutschland planiert, geteert und zugebaut für Siedlungen, Straßen und Gewerbegebiete, die oft auf der grünen Wiese entstehen. Auf der anderen Seiten veröden Ortskerne, gerade in kleinen Gemeinden. Ein Umdenken ist gefragt.

Von Anke Petermann | 09.02.2006
    Die Bevölkerung geht zwar zurück, doch darauf kann man sich nicht ausruhen, meint Brigitte Dahlbender, Vorsitzende des BUND Baden-Württemberg. Denn gleichzeitig wachse der individuelle Anspruch auf mehr Wohnraum. Und:

    "In den Innenbereichen fallen die alten Hofstrukturen brach, weil die Landwirte aufgeben. Es wird ein großes Generationensterben geben in der Landwirtschaft, und bisher gibt es nur marginale Anstrengungen, diese Bereich wieder in die Nutzung zu bringen. Im Moment ist der Trend, Neubaugebiete auszuweisen und dann im Inneren tote Ortskerne zu haben."

    Ein Trend, der in Rheinhessen nach wie vor stark ist. Die Region im Rheinknie zwischen Bingen und Worms ist Spitze – im Bevölkerungswachstum und im Flächenverbrauch, sagt Harald Müller vom Stadtentwicklungsamt Mainz. Diese Stadt hat in den letzten Jahren massiv Einwohner ans rheinhessische Umland verloren. Dass offensive Erschließung hohe Folgekosten für Verkehrswege und soziale Infrastruktur wie Kindergärten und Schulen nach sich zieht, blendet die Kommunalpolitik oft aus. "Alle starren auf die Einkommensteuer als Einnahmequelle", sagt ein Bürgermeister von der Weinstraße. Anders in Wallmerod im Westerwald. Nachdem eine Erhebung in der gesamten Verbandsgemeinde 48 Leerstände in 5000 Wohngebäuden und einige hundert drohende Nutzungsprobleme und Brachen ausgemacht hatte, leisteten die Bürgermeister von 21 Orten Ende 2004 eine Art Rütli-Schwur, so erzählt der Architekt Patrick Weyand. Sie sagten:
    "Wir sind sehr restriktiv mit Neubauland. Wir versuchen, das zu kompensieren, da sich innerhalb der Ortskerne sehr viele leer stehende Grundstücke befinden. Die versuchen wir erst mal wieder zu bebauen, bevor wir wieder auf grünen Wiese bauen, sehr viel Geld in die Erschließung investieren und sich gar nicht abzeichnet, wann das wieder in den Gemeindesäckel hineinkommt."

    Zur Rettung der alten Ortskerne legte die Verbandsgemeinde einen Förderplan auf. Mit rund 100.000 Euro Zinszuschüssen wurden bislang 24 Gebäude vom alten Gehöft bis zur 50er Jahre Flüchtlingsunterkunft saniert oder umgebaut. Baulücken wurden geschlossen. Da ganze Straßenzüge mit fortschreitendem Verfall sozial zu kippen drohten, war die Einsicht:

    "Sie können die Probleme aktiv jetzt angehen oder sie können sich die Augen zuhalten und warten, wie sich das entwickelt, dann werden sie aber in fünf, sechs Jahren viel mehr Energie und Finanzmittel aufwenden müssen, um überhaupt jemanden noch in diese Bereiche hineinzubekommen, besser agieren als reagieren, und das haben alle Ortsbürgermeister erkannt."

    Und ortsansässige Architekten wie Patrick Weyand zogen mit. Für die Initiative "Leben im Dorf" waren er und andere mit Vorschlägen für "neues Wohnen in alten Gebäuden" in Vorleistung gegangen. Jetzt werden die Architekten mit Aufträgen belohnt. Mit Hilfe einer ökologischen Gemeindefinanzreform, so meint Brigitte Dahlbender vom BUND, müsste man auch andernorts ein Umsteuern in Gang bringen:
    "Bisher verdient ein Kommune daran, dass sie Flächen ausweist, durch Neubau- oder Gewerbegebiete. Bisher leiden dann Kommunen finanzielle Verluste, wenn sie sagen, wir weisen keine neuen Gebiete aus, wir entwickeln im Innenbereich. Und ich denke, das kann nicht sein, das muss geändert werden. Auch müssen Flächennutzungssteuer, Grundsteuer geändert werden, um hier flächendeckend Anreize zu schaffen."