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Studentenproteste in Santiago de Chile
Das Geschäft der Privatunis

85 Prozent der Unis in Chile sind in privater Hand, ein Relikt aus der Diktaturzeit Pinochets. Familien verschulden sich auf Jahre, damit ihre Kinder studieren können. Eine Hochschulreform hin zu mehr öffentlicher und kostenloser Bildung wurde jetzt vom Verfassungsgericht kassiert.

Von Marsida Lluca | 20.04.2018
    Studenten am 9. Mai 2017 beim Protestmarsch gegen die Erziehungsreformen in der chilenischen Hauptstadt Santiago.
    Studenten protestieren in der chilenischen Hauptstadt Santiago (picture alliance / Martin Bernetti)
    "Wir sind wieder auf der Straße, die Bildung wird nicht verkauft, sondern verteidigt," skandieren tausende Studierende, Schüler und Lehrkräfte entlang der Alameda, der Hauptstraße von Santiago de Chile. Mit Sprechchören und Trommeln machen sie ihrem Frust Luft. Darüber, dass die Hochschulbildung weiterhin ein lukratives Geschäft ist. Ganz vorne mit dabei ist Mario Aguilar, der Vorsitzende des Bunds chilenischer Schulen:
    "In Chile ist die Bildung immer noch ein Konsumgut und Teil des Marktes. Aus europäischer Sicht ist das schwer zu verstehen, aber die Bildung ist hier einer brutalen Marktlogik unterworfen. Der Zugang hängt davon ab, wie viel Geld jemand hat. Wir müssen das Thema Bildung wieder in den Mittelpunkt rücken."
    Teure Hochschulen, wenig Plätze und viele Skandale
    Kostenlose Bildung und Bildung als Menschenrecht, das wird in Chile vor allem seit den letzten zehn Jahren massiv gefordert. Das noch aus der Diktaturzeit Pinochets stammende Bildungssystem der 1980er-Jahre hat dazu geführt, dass Schulen und Hochschulen sehr teuer sind. Plätze an staatlichen Universitäten sind begehrt und knapp. Und der Großteil der Universitäten ist nicht nur privat organisert, sondern hat in den vergangenen Jahren auch mit Skandalen Schlagzeilen gemacht. Zum Beispiel wurden erst Studiengebühren eingezogen, und dann machte die Hochschule ohne Gegenleistung dicht. Auch die Qualität des Lehrangebots sei mangelhaft, kritisiert Alfonso Mohor, Sprecher der chilenischen Studierendenorganisationen:
    "Wir hatten Krisen und Studierende standen mit nichts da. Es gibt ein großes Risiko, dass die Gebühren dem Gewinnstreben dienen, anstatt, dass sie in die Bildung investiert werden. Wir sehen die Bildung aber als ein Recht an, das garantiert werden sollte und auch eine gute Qualität aufweisen muss."
    Private Bildungsanbieter profitieren von Gerichtsentscheid
    Unter der noch bis Anfang diesen Jahres regierenden Präsidentin Michelle Bachelets wurden zumindest einige Reformen angestoßen - hin zu mehr öffentlicher und kostenloser Bildung. Ein wichtiger Teil der Reform sollte auch am System ansetzen. Doch just dieser Teil wurde vom chilenischen Verfassungsgericht vor kurzem als verfassungswidrig erklärt. In Zukunft können Mitarbeiter von privaten Bildungseinrichtungen somit weiterhin hohe Gewinne erzielen. Dass sie es damit nicht übertreiben, sei schwierig zu kontrollieren, kritisieren auch staatliche Universitätsdirektoren in Chile.
    Das Problem sehen viele in der Verfassung selbst, die noch aus der Diktaturzeit stammt. Das sei ein großes Problem, erklärt Studentenfüher Alfonso Mohor:
    "Die Verfassung hat nicht die Familien im Blick, sondern vielmehr die Geschäfte der Unternehmen. Wir werden alles dafür tun, dass die Verfassung geändert wird."
    Unter Michelle Bachelet wurde auch ein Anlauf für eine umfassende Verfassungsänderung gestartet. Aber mit dem Regierungswechsel hin zum konservativen Unternehmer und Präsidenten Chiles Sebastian Piñera sind die Karten wieder neu gemischt. Deshalb wollen Studierende, Schüler und Lehrer jetzt erst recht wieder auf die Straße gehen, um von unten einen politischen Wandel zu bewirken.