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Stummfilm "Stadt ohne Juden"
"Ein deutliches Anti-Nazi-Statement"

Der satirische Stummfilm "Stadt ohne Juden" war in den 1920ern nur kurze Zeit in den Wiener Kinos zu sehen. Die Rechte fühlte sich provoziert von den reumütigen Antisemiten, die Ende ihre Fehler einsehen. Der Film sei ein Kunstwerk, das seine Aktualität nicht verloren habe, sagte Nikolaus Wostry, Sammlungsleiter des Filmarchiv Austria, im DLF.

Nikolaus Wostry im Gespräch mit Mascha Drost |
    Filmstill "Stadt ohne Juden" von 1924 mit dem Schriftzug des Filmtitels
    Filmstill "Stadt ohne Juden" von 1924 (Filmarchiv Austria)
    Mascha Drost: Es war einer der wichtigsten Filmfunde der letzten Jahre, auch wenn die Geschichte dieses Fundes klischeebeladener kaum sein kann. Auf einem Flohmarkt in Paris - ausgerechnet! - findet sich zufällig das Band eines verschollen geglaubten Stummfilmes, des 1924 gedrehten Films "Stadt ohne Juden".
    Entstanden nach der literarischen Vorlage von Hugo Bettauer, erzählt der Film eine Geschichte, die einem bekannt vorkommt. Inflation, Arbeitslosigkeit - für alles, was im historischen Wien, das im Film "Utopia" heißt, schiefläuft, werden die Juden verantwortlich gemacht und vertrieben. Aber - und das ist der bedeutende Unterschied - im Film merken die Einwohner, dass sie einen Fehler begangen haben, wie "verdorft" ihre Stadt auf einmal ist, wie leer. Selbst der glühendste Antisemit begreift das und wacht schließlich erleichtert auf. Versöhnliches Ende. Alles nur geträumt, zumindest 1924….
    Zeitgleich zur Kinopremiere von "Stadt ohne Juden" findet im Filmarchiv Austria eine große Ausstellung statt - und über Film und Ausstellung habe ich vor der Sendung mit dem Sammlungsleiter Nikolaus Wostry gesprochen.
    Inwieweit hat der Film zukünftige Ereignisse vorweggenommen? Wie prophetisch wollte er sein?
    Nikolaus Wostry: "Stadt ohne Juden" hat natürlich nicht den Holocaust vorwegnehmen können, aber er zeigt uns Bilder, die in ihrer Eindringlichkeit mit dem Wissen um den Holocaust einem geradezu die Luft abschneiden. Also, man sieht die Bilder von den Vertriebenen wie sie in endlosen Zügen im Winter sich auf den Weg machen, und es sind natürlich sofort die Assoziationen da zu diesen Todesmärschen, die dann 1945 nach der Auflösung der Konzentrationslager sich dann in Richtung Westen in Bewegung gesetzt haben. Der Film selbst ist aber wiederum wie der Roman eine Satire. Er macht sich mit sehr viel schwarzem Humor geradezu über diese Situation in Wien unmittelbar nach der Gründung der Ersten Republik lustig.
    "Deutliches Anti-Nazi-Statement"
    Drost: Was wollte denn der Film damals zeigen? Was wollte er sagen? Was war seine Message, würde man heute vielleicht fragen?
    Wostry: Mit dem Finden dieses neuen Materials in Paris ist es eigentlich sehr klar geworden, dass dieser Film tatsächlich ein sehr deutliches Anti-Nazi-Statement ist. Es ist ein Statement dagegen, dass man Mauern errichtet, dass man Menschen aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Herkunft einfach aus der Gesellschaft ausschließt und mit denen einfach politisches Kleingeld macht. Es ist ja so, dass es nicht nur der Antisemitismus allein ist sondern die politische Situation, die auf das Korn genommen wird. Und was man in diesem Film noch deutlich sieht und was bisher nicht vorhanden war, sind Aufnahmen von Menschen, die nicht nur einfach antisemitisch sind und verbal ausfällig werden, sondern die auch direkt brutale Gewalt einsetzen, um Menschen aufgrund ihrer anderen Religion oder ihrer Zugehörigkeit zu attackieren. Also, man hat wirklich pogromartige Szenen mittlerweile in dem Film.
    Drost: Welche Reaktionen gab es auf den Film denn bei dem zeitgenössischen Publikum?
    Wostry: "Stadt ohne Juden" ist in den fünf größten Wiener Premierenkinos angelaufen. Er war sehr erfolgreich, ist aber nach relativ kurzer Zeit abgesetzt worden. Und wir wissen heute, dass einfach der Film gestört wurde. Es hat sich die ganze Rechte provoziert gefühlt, es wurden Aufführungen gestört. Wir wissen auch, dass bei der Aufführung in Deutschland der Film sehr heftige Reaktionen provoziert hat. Und es ist so, dass wir annehmen müssen, dass auch eine Art Selbstzensur stattgefunden hat. Das heißt, die Überlieferungsgeschichte des Filmes zeigt uns, dass Eingriffe nach der Premiere vorgenommen wurden, direkt in den Vorführkopien. Es wurden Szenen herausgeschnitten, es wurden Szenen umgestellt und vermutlich auch mit Zwischentiteln in ihrer Drastik einfach reduziert.
    "Wien – Welthauptstadt des politischen Antisemitismus'"
    Drost: Man begegnet im Film ja auch den Stereotypen, also zum Beispiel den armen Ostjuden und dann auch den reichen Wiener Juden. Hat dieser Film bewusst mit den Klischees gespielt, oder hat er sie in gewisser Weise auch bedient?
    Wostry: Er hat mit Klischees gespielt, und er hat sie auch bedient. Dazu muss man aber vielleicht sagen, dass seit dem Holocaust ein Spielen mit Klischees unmöglich geworden ist. Es gibt auch sowas wie einen jüdischen Witz, eine gewisse jüdische Selbstironie, die aus unserer heutigen Sicht mit dem Wissen um das enorme Leiden der jüdischen Mitbürger undenkbar ist. Das ist auch ein Element, bereits in Hugo Bettauers Roman. Aber zum anderen ist es so, dass er natürlich seinen Witz bereits in Richtung dieses politischen Antisemitismus hin ausspielt. Und da, finde ich, hat er seine wirklichen Stärken. Man muss ja leider sagen, dass Wien quasi die Welthauptstadt dieses politischen Antisemitismus' war. Hier hat bereits im 19. Jahrhundert ein ziemlich rabiater Antisemitismus sich vor allem politisch ausgedrückt und hat die Ängste von Menschen einfach instrumentalisiert. Hitler hat sich in Wien auch inspirieren lassen. Das waren sehr prägende Jahre. Hitler bezieht sich auch deutlich auf den antisemitischen Bürgermeister Dr. Karl Lueger, der auch im Film und im Roman vorkommt.
    Drost: Parallel zur Aufführung des Films gibt es ja auch eine Ausstellung. Und der Titel ist ja nicht nur "Stadt ohne Juden", sondern "Stadt ohne Juden, Muslime, Flüchtlinge, Ausländer". Also, weniger erinnern an das Geschehen als auch die Mahnung "Wehret den Anfängen".
    Wostry: So ist es. Und man kann ja auch sagen, dass die Situation zu Beginn der Ersten Republik durchaus vergleichbar ist mit der Situation heute. Während des Ersten Weltkrieges hat sich eine Flüchtlingsbewegung innerhalb der Monarchie in Richtung Wien in Bewegung gesetzt: 120 000 Menschen, sehr viele davon jüdische Menschen, die hier als Flüchtlinge aufgenommen wurden. Die Erste Republik nach 1918 hat nur noch 20 000 Menschen, und die werden plötzlich zu einem Problem. Sie sind eigentlich nicht das Problem, aber die Politik erkennt, dass man damit politisches Kleingeld münzen kann. Und das ist die schlimme Situation, glaube ich, die wir auch heute wieder vorfinden, dass Ängste ganz gezielt instrumentalisiert werden. Und das wollten wir auch mit dieser Ausstellung eigentlich zeigen, dass dieser Film seine Aktualität hat.
    Drost: Nikolaus Wostry über "Stadt ohne Juden". Film und Ausstellung laufen derzeit im Filmarchiv Austria
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.