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Syrien
"Ein Ende des Krieges ist noch kein gesellschaftlicher Frieden"

Voraussetzung für einen Friedensprozess in Syrien ist nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Volker Perthes ein tatsächliches Ende aller Kampfhandlungen. Der IS sei nahezu besiegt, doch die Auseinandersetzungen zwischen Rebellen und Regierungstruppen hielten an, sagte Perthes im Dlf. Beide Parteien müssten an einen Tisch geholt werden.

Volker Perthes im Gespräch mit Silvia Engels | 23.11.2017
    Der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes, posiert am 30.09.2015 in Berlin.
    Der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes, war zeitweise auch Vermittler im Syrienkonflikt (dpa / picture alliance / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Silvia Engels: Anfang der Woche reiste der syrische Staatschef Assad nach Sotschi, um mit dem russischen Präsidenten Putin über die Lage in seinem Land zu beraten. Gestern nun traf sich Putin in Sotschi mit seinen Amtskollegen aus dem Iran und der Türkei. Auch in diesen Gesprächen mit Hassan Rohani und Recep Tayyip Erdogan ging es um Syrien. – Am Telefon ist nun Volker Perthes. 2015 war er im Auftrag des UN-Sonderbeauftragten de Mistura zeitweise Vermittler im Syrien-Konflikt. Er ist und bleibt zudem Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Guten Morgen, Herr Perthes.
    Volker Perthes: Schönen guten Morgen, Frau Engels.
    Engels: Nun wurden nach dem Treffen in Sotschi ja große Initiativen angekündigt. Man möchte Syrien stabilisieren. Wie bewerten Sie die Ergebnisse von gestern?
    Perthes: Erst mal ist das wichtig, dass die Führer von drei Staaten, die sehr, sehr großen Einfluss in Syrien haben, sich hier getroffen haben, sich gemeinsam darauf verständigt haben, dass sie die Lage in Syrien stabilisieren wollen. Russland hat ganz eindeutig das Heft in der Hand, ist der Staat, der die diplomatischen Initiativen geleitet hat. Und es gibt im Prinzip einen vierten Partner, das ist Saudi-Arabien. Hier findet seit gestern eine Konferenz der syrischen Oppositionskräfte statt unter saudischer Führung, nicht nur auf saudischer Einladung, wo versucht wird, eine neue Oppositionsdelegation für die nächste Runde der Genfer Verhandlungen, die wir hier in Genf ab nächste Woche haben dürften, zusammenzustellen.
    Engels: Versuchen wir mal zu betrachten, wie eine Neuordnung aussehen könnte. Da hat der Gipfel in Sotschi ja gestern Syrien eine Verfassung und Wahlen unter UN-Aufsicht in Aussicht gestellt. Wird es dahin kommen, denn es sind ja auch nach wie vor die Garantiemächte, wenn man sie so nennen darf, nicht einig?
    Perthes: Nein, die Garantiemächte sind nicht einig. Sie wollen sehr Unterschiedliches in Syrien. Da können wir gerne gleich noch drüber sprechen. Aber wenn sie sich alle einig wären, dann ständen sie auch nur auf einer Seite im Syrien-Konflikt, und insofern ist es schon gut, dass wir mit der Türkei, mit Iran und mit Russland zumindest drei Parteien haben, die im Krieg zum Teil jedenfalls auch unterschiedliche Kräfte unterstützt haben. Nur so kann man von außen wahrscheinlich versuchen, einen Kompromiss zustande zu bringen.
    Verfassung – das haben Sie angesprochen – und Wahlen sind Kernelemente der UNO-Sicherheitsresolution 2254 von Ende 2015. Friedliche Lösung, langfristige haltbare friedliche Lösung sagt diese Resolution, auf die sich alle berufen, wird nicht gehen ohne eine neue oder eine veränderte Verfassung und wird nicht gehen ohne freie faire Wahlen, die von der UNO überwacht werden sollen. Aber die UNO erwähnt natürlich noch andere Elemente, und das heißt vor allem eine inklusive glaubwürdige Regierung und ein politischer Transitionsprozess. Das wird von Russland und Iran als sehr viel weniger wichtig angesehen beziehungsweise die Vorstellungen von Transition sind sehr viel enger, als das bei der UNO und erst recht als das beim Westen der Fall wäre.
    "Autoritären Staaten fallen zur Konfliktlösung oft nur freie Wahlen ein"
    Engels: Sie haben die UN-Maßstäbe für freie Wahlen angesprochen. Aber wie realistisch ist denn die Umsetzung, wenn diejenigen, die es vorantreiben – ich nenne mal die Staaten Russland, Iran, Türkei, aber auch Saudi-Arabien -, selber Länder sind, die mit den westlichen Maßstäben von Demokratie nicht unbedingt übereinstimmen?
    Perthes: Interessanterweise fällt auch Staaten, die selber eher autoritär oder mit gelenkter Demokratie regiert werden, bei Konfliktlösungen oft nichts Besseres ein als zu sagen, dann lasst uns doch freie Wahlen haben, damit wir am Ende ein inklusives Regime zustande bekommen, was alle wichtigen, alle relevanten Kräfte integriert, um Frieden haltbar zu machen. Demokratie ist häufig auch ein Rezept für solche Staaten, die nicht unbedingt, jedenfalls nicht nach westlichen Maßstäben, demokratisch regiert sind. Aber richtig ist, dass der Demokratieaspekt bei den dreien, die sich in Sotschi getroffen haben, nicht der wichtigste ist, sondern der wichtigste ist Stabilisierung, Ende des Schieß- und Bombenkrieges zunächst gegen den Islamischen Staat, der nahezu besiegt ist, aber auch zwischen den bewaffneten Rebellen und der Regierung. Da haben diese drei Staaten in der Vergangenheit auch ganz gut zusammengearbeitet. In der Vergangenheit heißt in den letzten elf Monaten. Herausgekommen sind dabei vier mehr oder weniger fragile sogenannte Deeskalationszonen in Syrien. Das sind Zonen, in denen die bewaffneten Rebellen nicht besiegt worden sind durch Assad und seine militärischen Verbündeten und in denen vor allem Russland gesagt hat, um den Krieg zwischen Rebellen, zwischen Opposition und Regime zu beenden, ist es richtiger, hier den Konflikt gewissermaßen einzufrieren und den Rebellen Schutz- oder Deeskalationszonen zu gewähren.
    Engels: Gekämpft wird nach wie vor in Syrien und die Gegner sind vielfach Gruppen, die bislang von westlichen Kräften unterstützt wurden, auch von den USA. Sind sie die großen Verlierer? Wird da jetzt ein blutiger Frieden installiert?
    Perthes: Es wird ein Frieden installiert oder ein Ende des Krieges installiert - das ist vielleicht richtiger zu sagen -, der noch kein gesellschaftlicher Frieden ist. Und das ist die große Herausforderung gerade auch für Russland, wenn es sich als Garantor eines Friedens hier etablieren will. Nun kann man vielleicht nicht alles gleich am ersten Tag oder in den ersten Momenten verlangen. Wichtig ist, dass der Schießkrieg und der Bombenkrieg aufhört, damit überhaupt ein Stück an Grundvertrauen entstehen kann, dass Parteien wieder miteinander reden. Das ist zurzeit ja nicht der Fall. Auch bei den Verhandlungen hier in Genf ist es in den ersten sieben Runden, die wir seit 2016 gehabt haben, nicht dazu gekommen, dass Regierungsvertreter und Oppositionsvertreter direkt miteinander sprechen. Das ist die Herausforderung für die jetzt kommende achte Runde, tatsächlich Regierungsvertreter und Oppositionsvertreter nicht nur an einen Ort, sondern auch an einen Tisch zu bekommen. Das kann gelingen und wäre eine ganz wichtige Voraussetzung dafür, einen inklusiven Friedensprozess auf den Weg zu bringen, dessen Voraussetzung aber – ich wiederhole mich da – tatsächlich ein Ende des Schießens und Bombardierens ist.
    "Frieden kann am Festhalten an Assad scheitern"
    Engels: Mittelfristiges Ziel also ein gesellschaftlicher, ein inklusiver Frieden. Das ist ein hoher Anspruch, nicht nur wenn man betrachtet, dass Syrien auch vor dem Bürgerkrieg ein Polizeistaat war, also keine demokratischen Strukturen etabliert hatte, und natürlich auch schwer einen gesellschaftlichen Frieden aufzubauen, wenn Assad im Amt bleibt, dem ja schwere Menschenrechtsverbrechen zur Last gelegt werden.
    Perthes: Ja, das ist sicherlich richtig, und das ist auch nach wie vor ein Knackpunkt. Die Oppositionskräfte, die sich seit gestern in Riad treffen, halten in ihrer Erklärung, jedenfalls in dem, was bisher als Entwurf für eine Schlusserklärung vorgelegt worden ist, daran fest, dass Assad zu Beginn einer Transitions-, einer Übergangsperiode gehen müsse. Für die drei externen Garantoren, über die wir geredet haben, die sich in Sotschi getroffen haben, also Russland, Iran und Türkei, ist das entweder keine Forderung mehr – das gilt für die Türkei -, oder es war nie eine Forderung, denn Russland und Iran sind in den Syrien-Krieg eingetreten, um das System von Baschar al-Assad zu stabilisieren. Für Russland gibt es da eine eher, ich will mal sagen, geopolitisch-strategische Rationalität. Die heißt, man will kein weiteres Libyen sehen, keinen weiteren Staat sehen, der im Chaos versinkt, und deshalb stabilisieren sie lieber Assad und seine Regierung. Für Iran gibt es viel mehr an ideologischer Nähe auch zum System von Baschar al-Assad und man wollte ihn deshalb an der Macht erhalten. Das ist beiden soweit gelungen und sie werden von der Opposition verlangen, dass sie Assad zumindest auf absehbare Zeit weiterhin als Präsidenten akzeptieren, und daran kann ein Frieden, der über eine Beendigung des Krieges hinausgeht, tatsächlich scheitern.
    Engels: Was ist Ihre Erwartung? Wird es unter diesen gestellten Konditionen dann einen Frieden, aber mit Assad geben?
    Perthes: Ich will hier nicht spekulieren. Dazu bin ich auch zu sehr nach wie vor in den Verhandlungen involviert. Was mir wichtig ist, ist tatsächlich auch den Krieg, auch die militärische Auseinandersetzung zwischen bewaffneten Rebellen und Regierung in Syrien, die ja noch an vielen Orten anhält, zu beenden. Das gilt insbesondere für die Umgebung von Damaskus; das gilt aber auch für die Provinz Idlib an der türkischen Grenze. Und aus der Stabilisierung heraus dann Chancen zu schaffen für einen innersyrischen Prozess, wie ich finde unter Leitung der Vereinten Nationen, der über Verfassung und Wahlen die Grundlagen dafür schafft, dass wir tatsächlich diesen gesellschaftlichen Frieden, von dem wir geredet haben, irgendwann erreichen können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.