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Tagebuch - Donnerstag, 9. März 2006

Ich kenne kaum einen deprimierenderen Ort als Gao - ein gottverlassenes Kaff am Ende der Teerstraße. Die Autorität der staatlichen Behörden endet ungefähr fünf Kilometer hinter der Stadtgrenze. Von da an bewegen sich auch Provinzfürsten nur noch mit Eskorte.

Von Rüdiger Maack | 09.03.2006
    Auch viele Jahre, nachdem eine Rebellion im Norden Malis auf friedlichem Wege beendet wurde, entzieht sich der Norden des Landes staatlicher Kontrolle. Die Region bildet mit dem angrenzenden Niger und Südalgerien ein Niemandsland, in dem Straßenräuber, Schmuggler und Menschenhändler das Sagen haben. Jetzt versuchen die Regierungen der drei Länder, das zu ändern: mit massiver amerikanischer Hilfe. Im besten Hotel Gaos ist ein ganzer Block für die Amerikaner reserviert. Sie bauen Horchposten in der Sahara, mit der sie Telefon-, Funk- und Internetverkehr abhören. Sie bilden die malische Armee aus und veranstalten Manöver. Seit sie da sind, ist die Überquerung der Sahara teurer geworden für Illegale. Die Schlepper verlangen einen Risikozuschlag. Früher starteten die Transporte fast täglich in Gao. Heute sind es nur ein oder zwei die Woche. Zu gefährlich, zu viele Kontrollen.

    Gao, das ist eine Ansammlung meist flacher Lehmbauten in Lehmfarben. Dazwischen Zementhäuser mit Flachdächern in Lehmfarben. Nach Sonnenuntergang versinkt die Stadt in Stille, ab und an plärrt ein Radio, da und dort meckert eine Ziege oder blökt ein Schaf. Ein paar Händler schließen ihre Verkaufsstände ab.
    Auch der Markt in Gao ist staubig und voller Fliegen. Abends verschwinden die Fliegen und die Mücken kommen. Sie sind aggressiv und fallen über alle her, die sich noch im Freien aufhalten.


    Illegale Migranten zum Beispiel. Sie übernachten unter freiem Himmel, in Hinterhöfen oder auf Vorplätzen von Häusern. Sie haben nichts mehr. Kein Geld. Und keine Hoffnung. Die meisten wurden aus Algerien abgeschoben und sind jetzt hier gestrandet – mit nichts als ihren Kleidern am Leib. Sie müssen betteln gehen, wenn sie genug Geld zusammen bekommen wollen, um in ihre Heimat zurückzukehren. Viele stecken fest.
    Arbeit gibt es nicht. Die Einheimischen haben ja selbst kaum etwas.

    Wo sind die, die auf ihre Chance hoffen, nach Europa zu kommen? Die, die noch Geld haben, sind nicht zu sehen. Sie werden an der Stadt vorbei geschleust, halten sich nur ein paar Tage hinter hohen Mauern auf, die Schlepper versorgen sie, dann geht es weiter. Andere stecken zum Teil in Lagern außerhalb der Stadt. In Sammelunterkünften, die "Ghettos" genannt werden und in denen die malischen Besitzer ein strenges Regiment führen. Besucher sind unerwünscht. Das wird mit Nachdruck versichert – wenn es denn sein muss, auch mit der Faust. Zum ersten Mal treffen wir auch auf Frauen, die sich alleine auf den Weg machen nach Europa. Nachts sitzen sie vor einem kleinen Schuppen in einer fast unbeleuchteten Straße, gleich neben der Diskothek "Badji". Sie sitzen auf Hockern in der Dunkelheit und warten auf Freier. Fast alle sind Nigerianerinnen. Ihre Zuhälter sind nicht weit weg. Sie beschützen die Frauen vor neugierigen Fragen.


    Wir gehen zurück zum Hotel und überqueren den großen staubigen "Platz der Unabhängigkeit". Dort stehen die nicht klimatisierten, klapprigen Busse in Richtung Bamako oder Burkina Faso. Um einen Bus, der eigentlich schon in die Hauptstadt unterwegs sein sollte, drängt sich eine Gruppe laut schimpfender und wild gestikulierender Männer. Eine junge Frau, vielleicht 17 oder 18 Jahre alt, wird von einem deutlich älteren Mann mit verspiegelter Sonnenbrille am Oberarm festgehalten. Es ist ihr Onkel, sagt er. Seine Nichte hat den Bus Richtung Bamako nehmen wollen, um vor ihrem Mann zu fliehen. Ihr Gesichtsausdruck wechselt zwischen Wut und Verzweiflung. Sie erzählt, dass sie es nicht mehr ertragen könne, ständig von ihrem Mann geschlagen zu werden. Die Männer sind empört: Wie könne sie es wagen, Mann und Kinder allein lassen? Und so schleppen sie die junge Frau, die sich heftig wehrt, über den staubigen Platz nach Hause.

    In Mali ist der Mann per Gesetz der Chef der Familie. Der Rest muss ihm gehorchen. In vielen Ländern Afrikas sind die Frauen noch weit davon entfernt, ihre Rechte einklagen zu können. In Bamako, der Hauptstadt, gibt es Bürgerinitiativen für missbrauchte Mädchen und Frauen. Bis nach Gao sind sie noch nicht gekommen.
    Hinter dem Markt von Gao ist das Tor zur Wüste: Staub, Abfall und Dreck sind jedenfalls schon da.
    Hinter dem Markt von Gao ist das Tor zur Wüste: Staub, Abfall und Dreck sind jedenfalls schon da. (Rüdiger Maack)
    Der Platz der Unabhängigkeit. Der ganze Stolz der Stadt Gao in Mali.
    Der Platz der Unabhängigkeit. Der ganze Stolz der Stadt Gao. (Rüdiger Maack)