Tagebuch - Mittwoch, 8. März 2006

Wir sind wieder unterwegs. Quer durch Mali, von der Hauptstadt Bamako nach Gao, der letzten größeren Stadt vor der Sahara. Hier geht es nach Algerien. Oder in den Niger. Oder nach Mauretanien: auf jeden Fall in Richtung Norden. Von hier aus starten die Pick-Ups, die die "clandestins", wie die illegalen Einwanderer auf französisch genannt werden, für viel Geld ihrem Ziel Europa vermeintlich näher bringen. Gao ist Sammelpunkt. Hier treffen Malier, Senegalesen, Nigerianer, Ivorer aufeinander. Hier werden heimlich auch Inder oder Pakistanis vorbeigeschleust. 1200 Kilometer sind es von Bamako nach Gao.

Von Rüdiger Maack |
    Zu sehen gibt es heute nicht viel. Das liegt am Harmattan. Das ist der Name eines Wüstenwindes, der viel Staub aufwirbelt. Mehr, als man sich vorstellen kann. Er legt sich in Ohrmuscheln und Nasenlöcher. Man riecht ihn förmlich. Er legt sich auf Windschutzscheiben und Polstersessel in Hotels und Betten und Koffer und Haare. Er legt sich auf alles. Die Landschaft liegt in dunstigem Nebel, die Sonne verschwimmt dahinter zu einem gelben Punkt am Himmel. Die Malier frieren: 28 Grad sind ihnen zu kalt.

    Unsere Reise kostet sechs Vögeln das Leben und ungezählten Ziegen, Schafen, Rindern, Eseln und Kamelen die Nervenruhe: Sie werden von Amadou aus dem Weg gehupt. Amadou ist unser Fahrer.


    Amadou ist ein Peul (sprich: Pöhhl), wie die Fulani auf französisch genannt werden – ein Angehöriger einer der größten ethnischen Gruppen in Westafrika. Traditionell sind sie Nomaden und Viehzüchter. Wir stoßen auf unserer Fahrt immer wieder auf Peul-Hirten mit ihren blauen Umhängen. Es gibt zwei Arten von Peul in Mali, sagt Amadou, und er gehört zur zweiten: seßhaft geworden und urban. Mali, meint Amadou, hört sowieso hinter der Hauptstadt Bamako auf. Fürs karge Leben auf dem Land hat er nicht allzuviel übrig.

    Kurz vor Gao hört die Straße auf. Eine Fähre soll uns über den Niger setzen. Wir halten an, kurz bevor der Lehmweg ins Wasser führt. Einen Kai gibt es nicht.

    Amadou steigt aus und entdeckt, daß sich an einem Vorderreifen ein Stück Gummi gelöst hat. Irgendeines der Millionen Schlaglöcher, durch die wir gebrettert sind, muß wohl zu tief gewesen sein. Amadou zerrt kurz daran herum und reißt es schließlich ab. Das Gewebe des Reifens liegt jetzt frei. Ich frage vorsichtig nach einem Ersatzreifen. "Kein Problem", sagt Amadou, "der hält wie neu."

    Er muss es wissen, denn seit Jahren schon fährt Amadou in der Hauptstadt Bamako Taxi. Und fährt nicht schlecht damit: er hat zwei kleine Kinder, eine fröhliche Ehefrau und eine Mietwohnung mit 3 Zimmern. Amadou findet, dass eine Ehefrau reicht und mehr als drei Kinder auch nicht sein müssen, und jetzt baut er ein Haus. Das wird noch eine Weile dauern, einen Teil des Kellers hat er aber schon fertig. Der Rest wird schon werden, da vertraut er auf Allah. Das Problem ist nur, daß ein Sack Zement 5.000 Franc CFA (fast 8 Euro) kostet. Das ist viel Geld.

    Um den Hausbau zu finanzieren, hat er kürzlich sein zweites Taxi verkauft.
    Amadou war auf dem Weg zum Unternehmer mit seinen beiden Taxen. Nur den wenigsten Taxifahrern in Bamako gehören ihre Autos, sie fahren für schlechten Lohn. Er wollte expandieren, aber dann kamen die beiden Kinder dazwischen; jetzt baut er eben ein Haus. Aber darüber redet Amadou nicht gern.

    Es ist nämlich in Mali und vielen anderen afrikanischen Ländern nicht ratsam, wenn die Nachbarn wissen, was man so hat und was man so macht. Denn dann kommt leicht Neid auf, und er sorgt für bohrende Fragen: Warum hat Amadou zwei Taxen und ich habe keines? Und warum leiht er mir kein Geld, wo er doch so reich ist? Bildet er sich ein, etwas Besseres zu sein? Daß Amadou vielleicht ein bisschen fleißiger ist als die anderen und cleverer und besser organisiert, das wird dann nicht bedacht.

    Und wenn der Neid erst einmal geweckt ist und der böse Blick auf Amadous glückliches Schicksal fällt, dann kann es ganz schnell passieren, daß ihm sein Auto abhanden kommt. Oder die Reifen. Oder dass er einen Unfall hat.

    Es gibt Wissenschaftler, die sagen: Neid und Egalitarismus - der feste Glaube, daß alle Menschen das gleiche Schicksal zu teilen hätten - sind Gründe dafür, daß Afrika es trotz aller Hilfe nicht schafft, wirtschaftlich auf eigene Beine zu kommen.
    Die Fähre nach Gao: nebenan bauen chinesische Ingenieure eine Brücke, dann wird sie wohl überflüssig.
    Die Fähre nach Gao: nebenan bauen chinesische Ingenieure eine Brücke, dann wird sie wohl überflüssig. (Rüdiger Maack)
    Amadou heißt nicht Amadou und er möchte nicht unbedingt, dass man sein Gesicht hier sieht. Das hat seine Gründe.
    Amadou heißt nicht Amadou und er möchte nicht unbedingt, dass man sein Gesicht hier sieht. Das hat seine Gründe. (Rüdiger Maack)